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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der parlamentarische Konflikt in Frankreich,

Klausel, welche die Mitglieder der frühern französischen Herrscherfamilien von:
Dienst im Heere ausschließt, vorzüglich gegen die orleanistischen Prinzen ge¬
richtet ist, und diese kann man, da sie nicht gegen das dermcilige Regime ge¬
arbeitet haben, anständigerweisc nicht in die Verbannung schicken, und so umgeht
man das, indem man eine Maßregel gegen sie in Vorschlag bringt, welche aller
Wahrscheinlichkeit zufolge dieselbe Wirkung haben würde, indem die Prinzen
nach ihrer Entlassung aus der Armee freiwillig das Land räumen würden.
Daß man von einer solchen Maßregel üble Folgen fürchtet, zeigt eine Notiz
in der ^nstios, in welcher augedeutet wird, nächstens würde eine Anzahl von
Generalen und Obersten der Pariser Besatzung durch andre Offiziere ersetzt
werden -- ein sehr ungewöhnliches Verfahren, das nur in Zeiten heftiger
Krisen eingeschlagen zu werden Pflegt.

Inzwischen wurde es mit jedem Tage augenscheinlicher, daß das Kabinet
Fallieres nur einen provisorischen Charakter trug, und die Annahme, daß es
lediglich die bevorstehende Debatte des Senats über die Proskriptionsgcsetze ab¬
warten werde, um bei Präsident Grevy seine Entlassung zu erbitten, ver¬
breitete sich in immer weitern Kreisen. Es ist der Lage der Dinge offenbar
nicht gewachsen, und daneben fällt der eigentümliche Umstand ins Gewicht, daß
bei der Ernennung der neuen Minister mehrere auffällige Mißgriffe begangen
worden sind. So wurde das Dekret, welches den Vorsitzenden des Ministerrates
ernannte, gegen alles Herkommen nicht von Duelerc, sondern vom Justizminister
Deves unterzeichnet, und so wurde ferner die Wicderanstellung der Mitglieder
des Kabinets, welche ihre Entlassung gegeben hatten, niemals offiziell bekannt
gemacht. Die Abgeordneten von den Fraktionen der Rechten waren daher sehr
wohl berechtigt zu dem kühlen und kritischen Empfange, der ihrerseits dem neuen
Kabinet zu Teil wurde, als es zum erstenmal vor die Kammer trat; denn das
bei der Ersetzung Duclercs beobachtete Verfahre" stand weder im Einklange mit
den Regeln der parlamentarischen Regierung, noch war es der Form nach kor¬
rekt. Die republikanische Mehrheit geriet über diese Haltung der Rechten in
sittliche Entrüstung, aber man weiß jetzt, daß Grevy selbst die Lage nicht ohne
Bedenken ansieht und lebhaft wünscht, ohne weitern Aufschub ein endgiltiges
Kabinet zustande bringen zu können. Es würde in der That sonderbar sein,
wenn er, der sich sonst mit fast übertriebener Strenge an den Buchstaben der
Verfassung hält, ein solches Versehen begangen hätte; indeß mag sich das daraus
erklären, daß die Minister ihre Portefeuilles uur so lange behalten sollten, bis
die Frage wegen der Proskription der Prinzen gelöst wäre.

Das verlängerte Interregnum am Quai d'Orsay ist ein sehr charakteristisches
Zeichen für die Lage der Dinge, besonders wenn Jules Ferrh, der allgemein
als zukünftiger Premier betrachtet wird, sich, wie vermutet wird, energisch den
auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs widmen sollte. Drei der Mitglieder
des ehemaligen Ministeriums Gambetta, Rousseau-Waldeck, Raynal und General


Der parlamentarische Konflikt in Frankreich,

Klausel, welche die Mitglieder der frühern französischen Herrscherfamilien von:
Dienst im Heere ausschließt, vorzüglich gegen die orleanistischen Prinzen ge¬
richtet ist, und diese kann man, da sie nicht gegen das dermcilige Regime ge¬
arbeitet haben, anständigerweisc nicht in die Verbannung schicken, und so umgeht
man das, indem man eine Maßregel gegen sie in Vorschlag bringt, welche aller
Wahrscheinlichkeit zufolge dieselbe Wirkung haben würde, indem die Prinzen
nach ihrer Entlassung aus der Armee freiwillig das Land räumen würden.
Daß man von einer solchen Maßregel üble Folgen fürchtet, zeigt eine Notiz
in der ^nstios, in welcher augedeutet wird, nächstens würde eine Anzahl von
Generalen und Obersten der Pariser Besatzung durch andre Offiziere ersetzt
werden — ein sehr ungewöhnliches Verfahren, das nur in Zeiten heftiger
Krisen eingeschlagen zu werden Pflegt.

Inzwischen wurde es mit jedem Tage augenscheinlicher, daß das Kabinet
Fallieres nur einen provisorischen Charakter trug, und die Annahme, daß es
lediglich die bevorstehende Debatte des Senats über die Proskriptionsgcsetze ab¬
warten werde, um bei Präsident Grevy seine Entlassung zu erbitten, ver¬
breitete sich in immer weitern Kreisen. Es ist der Lage der Dinge offenbar
nicht gewachsen, und daneben fällt der eigentümliche Umstand ins Gewicht, daß
bei der Ernennung der neuen Minister mehrere auffällige Mißgriffe begangen
worden sind. So wurde das Dekret, welches den Vorsitzenden des Ministerrates
ernannte, gegen alles Herkommen nicht von Duelerc, sondern vom Justizminister
Deves unterzeichnet, und so wurde ferner die Wicderanstellung der Mitglieder
des Kabinets, welche ihre Entlassung gegeben hatten, niemals offiziell bekannt
gemacht. Die Abgeordneten von den Fraktionen der Rechten waren daher sehr
wohl berechtigt zu dem kühlen und kritischen Empfange, der ihrerseits dem neuen
Kabinet zu Teil wurde, als es zum erstenmal vor die Kammer trat; denn das
bei der Ersetzung Duclercs beobachtete Verfahre» stand weder im Einklange mit
den Regeln der parlamentarischen Regierung, noch war es der Form nach kor¬
rekt. Die republikanische Mehrheit geriet über diese Haltung der Rechten in
sittliche Entrüstung, aber man weiß jetzt, daß Grevy selbst die Lage nicht ohne
Bedenken ansieht und lebhaft wünscht, ohne weitern Aufschub ein endgiltiges
Kabinet zustande bringen zu können. Es würde in der That sonderbar sein,
wenn er, der sich sonst mit fast übertriebener Strenge an den Buchstaben der
Verfassung hält, ein solches Versehen begangen hätte; indeß mag sich das daraus
erklären, daß die Minister ihre Portefeuilles uur so lange behalten sollten, bis
die Frage wegen der Proskription der Prinzen gelöst wäre.

Das verlängerte Interregnum am Quai d'Orsay ist ein sehr charakteristisches
Zeichen für die Lage der Dinge, besonders wenn Jules Ferrh, der allgemein
als zukünftiger Premier betrachtet wird, sich, wie vermutet wird, energisch den
auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs widmen sollte. Drei der Mitglieder
des ehemaligen Ministeriums Gambetta, Rousseau-Waldeck, Raynal und General


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[0395] Der parlamentarische Konflikt in Frankreich, Klausel, welche die Mitglieder der frühern französischen Herrscherfamilien von: Dienst im Heere ausschließt, vorzüglich gegen die orleanistischen Prinzen ge¬ richtet ist, und diese kann man, da sie nicht gegen das dermcilige Regime ge¬ arbeitet haben, anständigerweisc nicht in die Verbannung schicken, und so umgeht man das, indem man eine Maßregel gegen sie in Vorschlag bringt, welche aller Wahrscheinlichkeit zufolge dieselbe Wirkung haben würde, indem die Prinzen nach ihrer Entlassung aus der Armee freiwillig das Land räumen würden. Daß man von einer solchen Maßregel üble Folgen fürchtet, zeigt eine Notiz in der ^nstios, in welcher augedeutet wird, nächstens würde eine Anzahl von Generalen und Obersten der Pariser Besatzung durch andre Offiziere ersetzt werden — ein sehr ungewöhnliches Verfahren, das nur in Zeiten heftiger Krisen eingeschlagen zu werden Pflegt. Inzwischen wurde es mit jedem Tage augenscheinlicher, daß das Kabinet Fallieres nur einen provisorischen Charakter trug, und die Annahme, daß es lediglich die bevorstehende Debatte des Senats über die Proskriptionsgcsetze ab¬ warten werde, um bei Präsident Grevy seine Entlassung zu erbitten, ver¬ breitete sich in immer weitern Kreisen. Es ist der Lage der Dinge offenbar nicht gewachsen, und daneben fällt der eigentümliche Umstand ins Gewicht, daß bei der Ernennung der neuen Minister mehrere auffällige Mißgriffe begangen worden sind. So wurde das Dekret, welches den Vorsitzenden des Ministerrates ernannte, gegen alles Herkommen nicht von Duelerc, sondern vom Justizminister Deves unterzeichnet, und so wurde ferner die Wicderanstellung der Mitglieder des Kabinets, welche ihre Entlassung gegeben hatten, niemals offiziell bekannt gemacht. Die Abgeordneten von den Fraktionen der Rechten waren daher sehr wohl berechtigt zu dem kühlen und kritischen Empfange, der ihrerseits dem neuen Kabinet zu Teil wurde, als es zum erstenmal vor die Kammer trat; denn das bei der Ersetzung Duclercs beobachtete Verfahre» stand weder im Einklange mit den Regeln der parlamentarischen Regierung, noch war es der Form nach kor¬ rekt. Die republikanische Mehrheit geriet über diese Haltung der Rechten in sittliche Entrüstung, aber man weiß jetzt, daß Grevy selbst die Lage nicht ohne Bedenken ansieht und lebhaft wünscht, ohne weitern Aufschub ein endgiltiges Kabinet zustande bringen zu können. Es würde in der That sonderbar sein, wenn er, der sich sonst mit fast übertriebener Strenge an den Buchstaben der Verfassung hält, ein solches Versehen begangen hätte; indeß mag sich das daraus erklären, daß die Minister ihre Portefeuilles uur so lange behalten sollten, bis die Frage wegen der Proskription der Prinzen gelöst wäre. Das verlängerte Interregnum am Quai d'Orsay ist ein sehr charakteristisches Zeichen für die Lage der Dinge, besonders wenn Jules Ferrh, der allgemein als zukünftiger Premier betrachtet wird, sich, wie vermutet wird, energisch den auswärtigen Angelegenheiten Frankreichs widmen sollte. Drei der Mitglieder des ehemaligen Ministeriums Gambetta, Rousseau-Waldeck, Raynal und General

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/395>, abgerufen am 23.07.2024.