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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Schutz der nationalen Arbeit.

sehen. Selbst einem Minderbemittelten nicht, einem verschämten Armen, der zu
seinem Unterhalte jährlich vielleicht 400 Mark braucht. Er würde eben, selbst
wenn alle Lebensbedürfnisse 10 Prozent teurer wären, dann 440 Mark brauchen,
während, wenn es allenthalben Arbeit giebt, auch die Arbeit solcher Leute: Nähen,
Häkeln, Stricken, Sticken, Schreiben :c. besser bezahlt werden muß, als es leider
heute der Fall ist.

Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, so kann man doch nicht das
ganze Wirtschaftssystem eines Landes nach den Bedürfnissen der Minderbemit¬
telten oder der verschämten Armen ?,e. einrichten; man kann doch nicht Handel,
Gewerbe, Landwirtschaft zu Grunde richten, nur damit dem Armen sein Brot
nicht verteuert werde. Das Wirtschaftssystem kann doch nur den Wohlstand
der ganzen Nation im Auge haben. Daß man die Minderbemittelten und
die Armen nicht vernachlässigen durs, versteht sich wohl von selbst, und für die
Annen sollte ganz anders gesorgt werden, als es jetzt geschieht und leider ge¬
schehen kann. Aber woran liegt es denn, daß unsre Armen so schlecht versorgt
werden? Denn das ist buchstäblich der Fall. Es liegt an der Armut der
Nation. Wenn aber durch Schutz der nationalen Arbeit die Nation wohlhabend
und reich wird, so wird sie auch für ihre Armen besser sorgen, sie wird nicht
mehr von der Armenlast sprechen, sondern von dem schönen Berufe, den Armen
und Notleidenden ausgiebig zu helfen. Warum sieht man denn keinen Juden
betteln? Weil die Juden ihre Armen reichlich ernähren, und das thun sie, weil
sie im Durchschnitt eben reicher sind als wir. Das bisher in Deutschland befolgte
Wirtschaftssystem aber erzeugt Arme, und weil sie erzeugt werden und in
immer größerm Maße überHand nehmen, so sollen mich noch die landwirtschaft¬
lichen Produkte durch Einfuhr ausländischer entwertet, es soll die Industrie und
dann konseguenterweise anch die Landwirtschaft ruinirt werden. Die Macht eines
jeden Staates ist bedingt durch das Blühen seiner Industrie und seiner Land¬
wirtschaft. Wenn die eine krankt, so leidet die andre mit. Wo beide blühen,
da ist Steuerkraft, Reichtum und Macht, und da blühen auch Künste und
Wissenschaften, und wo sie darniederliegen, da geht der Staat trotz aller Er¬
sparnisse der Machtlosigkeit und Verarmung entgegen, und die Akademien der
Künste und Wissenschaften bleiben -- unvollendet.

Was wird heute nicht zur Verbesserung unsrer Zustände alles vorgeschlagen!
Reform des Bankwesens, genossenschaftliche Organisation des Kredits, Ab¬
schaffung der indirekten Steuern und dergleichen mehr. Nichts ist einfacher als
das Kreditwesen. Jedes Geschäft, welches rentirt, hat Kredit, und das andre
hat keinen, und das ändert keine Reform und keine Organisation. Legen wir
heute, wie Amerika, auf Uhren einen Wertzoll von 50 Prozent, so wird jeder
tüchtige Uhrenarbeiter, der eine Uhrenfabrik gründen will, Kredit habe", bei
50 Pfennigen auf die Uhr aber keinen. Schützen wir die landwirtschaftlichen
Erzeugnisse so, daß ein Bauer, der 100 Mark Steuern bezahlt, 500 Mark


Schutz der nationalen Arbeit.

sehen. Selbst einem Minderbemittelten nicht, einem verschämten Armen, der zu
seinem Unterhalte jährlich vielleicht 400 Mark braucht. Er würde eben, selbst
wenn alle Lebensbedürfnisse 10 Prozent teurer wären, dann 440 Mark brauchen,
während, wenn es allenthalben Arbeit giebt, auch die Arbeit solcher Leute: Nähen,
Häkeln, Stricken, Sticken, Schreiben :c. besser bezahlt werden muß, als es leider
heute der Fall ist.

Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, so kann man doch nicht das
ganze Wirtschaftssystem eines Landes nach den Bedürfnissen der Minderbemit¬
telten oder der verschämten Armen ?,e. einrichten; man kann doch nicht Handel,
Gewerbe, Landwirtschaft zu Grunde richten, nur damit dem Armen sein Brot
nicht verteuert werde. Das Wirtschaftssystem kann doch nur den Wohlstand
der ganzen Nation im Auge haben. Daß man die Minderbemittelten und
die Armen nicht vernachlässigen durs, versteht sich wohl von selbst, und für die
Annen sollte ganz anders gesorgt werden, als es jetzt geschieht und leider ge¬
schehen kann. Aber woran liegt es denn, daß unsre Armen so schlecht versorgt
werden? Denn das ist buchstäblich der Fall. Es liegt an der Armut der
Nation. Wenn aber durch Schutz der nationalen Arbeit die Nation wohlhabend
und reich wird, so wird sie auch für ihre Armen besser sorgen, sie wird nicht
mehr von der Armenlast sprechen, sondern von dem schönen Berufe, den Armen
und Notleidenden ausgiebig zu helfen. Warum sieht man denn keinen Juden
betteln? Weil die Juden ihre Armen reichlich ernähren, und das thun sie, weil
sie im Durchschnitt eben reicher sind als wir. Das bisher in Deutschland befolgte
Wirtschaftssystem aber erzeugt Arme, und weil sie erzeugt werden und in
immer größerm Maße überHand nehmen, so sollen mich noch die landwirtschaft¬
lichen Produkte durch Einfuhr ausländischer entwertet, es soll die Industrie und
dann konseguenterweise anch die Landwirtschaft ruinirt werden. Die Macht eines
jeden Staates ist bedingt durch das Blühen seiner Industrie und seiner Land¬
wirtschaft. Wenn die eine krankt, so leidet die andre mit. Wo beide blühen,
da ist Steuerkraft, Reichtum und Macht, und da blühen auch Künste und
Wissenschaften, und wo sie darniederliegen, da geht der Staat trotz aller Er¬
sparnisse der Machtlosigkeit und Verarmung entgegen, und die Akademien der
Künste und Wissenschaften bleiben — unvollendet.

Was wird heute nicht zur Verbesserung unsrer Zustände alles vorgeschlagen!
Reform des Bankwesens, genossenschaftliche Organisation des Kredits, Ab¬
schaffung der indirekten Steuern und dergleichen mehr. Nichts ist einfacher als
das Kreditwesen. Jedes Geschäft, welches rentirt, hat Kredit, und das andre
hat keinen, und das ändert keine Reform und keine Organisation. Legen wir
heute, wie Amerika, auf Uhren einen Wertzoll von 50 Prozent, so wird jeder
tüchtige Uhrenarbeiter, der eine Uhrenfabrik gründen will, Kredit habe», bei
50 Pfennigen auf die Uhr aber keinen. Schützen wir die landwirtschaftlichen
Erzeugnisse so, daß ein Bauer, der 100 Mark Steuern bezahlt, 500 Mark


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[0356] Schutz der nationalen Arbeit. sehen. Selbst einem Minderbemittelten nicht, einem verschämten Armen, der zu seinem Unterhalte jährlich vielleicht 400 Mark braucht. Er würde eben, selbst wenn alle Lebensbedürfnisse 10 Prozent teurer wären, dann 440 Mark brauchen, während, wenn es allenthalben Arbeit giebt, auch die Arbeit solcher Leute: Nähen, Häkeln, Stricken, Sticken, Schreiben :c. besser bezahlt werden muß, als es leider heute der Fall ist. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, so kann man doch nicht das ganze Wirtschaftssystem eines Landes nach den Bedürfnissen der Minderbemit¬ telten oder der verschämten Armen ?,e. einrichten; man kann doch nicht Handel, Gewerbe, Landwirtschaft zu Grunde richten, nur damit dem Armen sein Brot nicht verteuert werde. Das Wirtschaftssystem kann doch nur den Wohlstand der ganzen Nation im Auge haben. Daß man die Minderbemittelten und die Armen nicht vernachlässigen durs, versteht sich wohl von selbst, und für die Annen sollte ganz anders gesorgt werden, als es jetzt geschieht und leider ge¬ schehen kann. Aber woran liegt es denn, daß unsre Armen so schlecht versorgt werden? Denn das ist buchstäblich der Fall. Es liegt an der Armut der Nation. Wenn aber durch Schutz der nationalen Arbeit die Nation wohlhabend und reich wird, so wird sie auch für ihre Armen besser sorgen, sie wird nicht mehr von der Armenlast sprechen, sondern von dem schönen Berufe, den Armen und Notleidenden ausgiebig zu helfen. Warum sieht man denn keinen Juden betteln? Weil die Juden ihre Armen reichlich ernähren, und das thun sie, weil sie im Durchschnitt eben reicher sind als wir. Das bisher in Deutschland befolgte Wirtschaftssystem aber erzeugt Arme, und weil sie erzeugt werden und in immer größerm Maße überHand nehmen, so sollen mich noch die landwirtschaft¬ lichen Produkte durch Einfuhr ausländischer entwertet, es soll die Industrie und dann konseguenterweise anch die Landwirtschaft ruinirt werden. Die Macht eines jeden Staates ist bedingt durch das Blühen seiner Industrie und seiner Land¬ wirtschaft. Wenn die eine krankt, so leidet die andre mit. Wo beide blühen, da ist Steuerkraft, Reichtum und Macht, und da blühen auch Künste und Wissenschaften, und wo sie darniederliegen, da geht der Staat trotz aller Er¬ sparnisse der Machtlosigkeit und Verarmung entgegen, und die Akademien der Künste und Wissenschaften bleiben — unvollendet. Was wird heute nicht zur Verbesserung unsrer Zustände alles vorgeschlagen! Reform des Bankwesens, genossenschaftliche Organisation des Kredits, Ab¬ schaffung der indirekten Steuern und dergleichen mehr. Nichts ist einfacher als das Kreditwesen. Jedes Geschäft, welches rentirt, hat Kredit, und das andre hat keinen, und das ändert keine Reform und keine Organisation. Legen wir heute, wie Amerika, auf Uhren einen Wertzoll von 50 Prozent, so wird jeder tüchtige Uhrenarbeiter, der eine Uhrenfabrik gründen will, Kredit habe», bei 50 Pfennigen auf die Uhr aber keinen. Schützen wir die landwirtschaftlichen Erzeugnisse so, daß ein Bauer, der 100 Mark Steuern bezahlt, 500 Mark

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/356>, abgerufen am 23.07.2024.