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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Schutz der nationalen Arbeit.

die Landwirtschaft. Nie auch hat man die deutschen Kammern so bereit ge¬
sehen im Geldbewilligen wie Ende der sechziger Jahre, und allerwärts wurden
die Beamtengehalte aufgebessert.

Fragen wir nach der Ursache dieses jähen Aufblühens der deutschen In¬
dustrie, so finden wir sie im amerikanischen Kriege, der im Jahre 1861 begann.
Infolge dieses Krieges war die Verschiffung von Baumwolle aus Amerika un¬
möglich, vierzehn Millionen Ballen waren während der nächsten vier Jahre dem
Weltmarkt entzogen, und sofort trat ein rapides Steigen der Baumwollengarn¬
preise el", und damit derjenige aller Gespinnste. Und so wirkte der amerikanische
Krieg in Deutschland faktisch wie ein bedeutender Schutzzoll auf Garne.

Dieser Krieg dauerte vier Jahre, und diese wenigen Jahre Schutz habe"
genügt, der deutschen Industrie den mächtigen Aufschwung zu verleihen, den
wir in den sechziger Jahren gesehen haben. Aber eine Lehre hat man nicht
daraus gezogen.

Die während dieser Periode entstandenen industriellen Unternehmungen
haben das Lehrgeld, welches jedes neue Etablissement bezahlen muß, verdient,
sich gekräftigt und bestehen heute noch. Viele später, ohne Hilfe dieses künst¬
lichen Schutzzolles, entstandenen Unternehmungen gingen zwar zu Grunde, wurden
aber von den Nachfolgern billig gekauft und bestehen dadurch ebenfalls fort zum
Segen des Landes. Von da an aber, nachdem mit Beendigung des amerika¬
nischen Krieges der künstliche Schutzzoll gefallen war, lind unter der gleichen
Wirkung des deutsch-frauzöPscheu Handelsvertrages entstanden wenig neue Unter¬
nehmungen mehr.

Die wirtschaftliche Krisis im Jahre 1873 war zunächst hervorgerufen
dnrch den Börsenkrach. Dadurch, daß plötzlich alle Werte sanken, war jeder,
der irgend Papiere besaß, auf einmal ärmer geworden. Wer erst 100000 Mark
besaß und darnach lebte, hatte auf einmal nur noch 20000 Mark oder noch
weniger. Darnach mußte die Lebensweise geregelt, es mußte gespart werden,
und dieses Sparen in ganz Europa bewirkte die wirtschaftliche Krisis, die in
Deutschland umso fühlbarer war, als die Überproduktion des Auslandes den
deutschen Markt offen fand und sich dahin warf. Und das war der härteste
Schlag für die junge deutsche Industrie, daß sie mit dem Auslande, welches
infolge der Krisis mit Verlust verkaufte, koniurrireu mußte.

Das hauptsächlichste Argument, welches man gegen das Schutzzollsystem
aufstellt, ist der Konsument. Man sagt, der Konsument hat darunter zu leiden
und zwar zum Nutzen einzelner. Diese Behauptung erscheint im ersten Augen¬
blick sehr einleuchtend, denn der Konsument ist eben derjenige, der kaufen muß,
und der einzelne ist irgend ein Fabrikbesitzer, der sich allein den Schutzzoll zu
Nutzen macht und sich auf Kosten der Käufer bereichert. Betrachten wir aber
einmal die Sache näher und untersuchen wir, wer der Konsument und wer der
einzelne ist.


Schutz der nationalen Arbeit.

die Landwirtschaft. Nie auch hat man die deutschen Kammern so bereit ge¬
sehen im Geldbewilligen wie Ende der sechziger Jahre, und allerwärts wurden
die Beamtengehalte aufgebessert.

Fragen wir nach der Ursache dieses jähen Aufblühens der deutschen In¬
dustrie, so finden wir sie im amerikanischen Kriege, der im Jahre 1861 begann.
Infolge dieses Krieges war die Verschiffung von Baumwolle aus Amerika un¬
möglich, vierzehn Millionen Ballen waren während der nächsten vier Jahre dem
Weltmarkt entzogen, und sofort trat ein rapides Steigen der Baumwollengarn¬
preise el», und damit derjenige aller Gespinnste. Und so wirkte der amerikanische
Krieg in Deutschland faktisch wie ein bedeutender Schutzzoll auf Garne.

Dieser Krieg dauerte vier Jahre, und diese wenigen Jahre Schutz habe»
genügt, der deutschen Industrie den mächtigen Aufschwung zu verleihen, den
wir in den sechziger Jahren gesehen haben. Aber eine Lehre hat man nicht
daraus gezogen.

Die während dieser Periode entstandenen industriellen Unternehmungen
haben das Lehrgeld, welches jedes neue Etablissement bezahlen muß, verdient,
sich gekräftigt und bestehen heute noch. Viele später, ohne Hilfe dieses künst¬
lichen Schutzzolles, entstandenen Unternehmungen gingen zwar zu Grunde, wurden
aber von den Nachfolgern billig gekauft und bestehen dadurch ebenfalls fort zum
Segen des Landes. Von da an aber, nachdem mit Beendigung des amerika¬
nischen Krieges der künstliche Schutzzoll gefallen war, lind unter der gleichen
Wirkung des deutsch-frauzöPscheu Handelsvertrages entstanden wenig neue Unter¬
nehmungen mehr.

Die wirtschaftliche Krisis im Jahre 1873 war zunächst hervorgerufen
dnrch den Börsenkrach. Dadurch, daß plötzlich alle Werte sanken, war jeder,
der irgend Papiere besaß, auf einmal ärmer geworden. Wer erst 100000 Mark
besaß und darnach lebte, hatte auf einmal nur noch 20000 Mark oder noch
weniger. Darnach mußte die Lebensweise geregelt, es mußte gespart werden,
und dieses Sparen in ganz Europa bewirkte die wirtschaftliche Krisis, die in
Deutschland umso fühlbarer war, als die Überproduktion des Auslandes den
deutschen Markt offen fand und sich dahin warf. Und das war der härteste
Schlag für die junge deutsche Industrie, daß sie mit dem Auslande, welches
infolge der Krisis mit Verlust verkaufte, koniurrireu mußte.

Das hauptsächlichste Argument, welches man gegen das Schutzzollsystem
aufstellt, ist der Konsument. Man sagt, der Konsument hat darunter zu leiden
und zwar zum Nutzen einzelner. Diese Behauptung erscheint im ersten Augen¬
blick sehr einleuchtend, denn der Konsument ist eben derjenige, der kaufen muß,
und der einzelne ist irgend ein Fabrikbesitzer, der sich allein den Schutzzoll zu
Nutzen macht und sich auf Kosten der Käufer bereichert. Betrachten wir aber
einmal die Sache näher und untersuchen wir, wer der Konsument und wer der
einzelne ist.


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[0350] Schutz der nationalen Arbeit. die Landwirtschaft. Nie auch hat man die deutschen Kammern so bereit ge¬ sehen im Geldbewilligen wie Ende der sechziger Jahre, und allerwärts wurden die Beamtengehalte aufgebessert. Fragen wir nach der Ursache dieses jähen Aufblühens der deutschen In¬ dustrie, so finden wir sie im amerikanischen Kriege, der im Jahre 1861 begann. Infolge dieses Krieges war die Verschiffung von Baumwolle aus Amerika un¬ möglich, vierzehn Millionen Ballen waren während der nächsten vier Jahre dem Weltmarkt entzogen, und sofort trat ein rapides Steigen der Baumwollengarn¬ preise el», und damit derjenige aller Gespinnste. Und so wirkte der amerikanische Krieg in Deutschland faktisch wie ein bedeutender Schutzzoll auf Garne. Dieser Krieg dauerte vier Jahre, und diese wenigen Jahre Schutz habe» genügt, der deutschen Industrie den mächtigen Aufschwung zu verleihen, den wir in den sechziger Jahren gesehen haben. Aber eine Lehre hat man nicht daraus gezogen. Die während dieser Periode entstandenen industriellen Unternehmungen haben das Lehrgeld, welches jedes neue Etablissement bezahlen muß, verdient, sich gekräftigt und bestehen heute noch. Viele später, ohne Hilfe dieses künst¬ lichen Schutzzolles, entstandenen Unternehmungen gingen zwar zu Grunde, wurden aber von den Nachfolgern billig gekauft und bestehen dadurch ebenfalls fort zum Segen des Landes. Von da an aber, nachdem mit Beendigung des amerika¬ nischen Krieges der künstliche Schutzzoll gefallen war, lind unter der gleichen Wirkung des deutsch-frauzöPscheu Handelsvertrages entstanden wenig neue Unter¬ nehmungen mehr. Die wirtschaftliche Krisis im Jahre 1873 war zunächst hervorgerufen dnrch den Börsenkrach. Dadurch, daß plötzlich alle Werte sanken, war jeder, der irgend Papiere besaß, auf einmal ärmer geworden. Wer erst 100000 Mark besaß und darnach lebte, hatte auf einmal nur noch 20000 Mark oder noch weniger. Darnach mußte die Lebensweise geregelt, es mußte gespart werden, und dieses Sparen in ganz Europa bewirkte die wirtschaftliche Krisis, die in Deutschland umso fühlbarer war, als die Überproduktion des Auslandes den deutschen Markt offen fand und sich dahin warf. Und das war der härteste Schlag für die junge deutsche Industrie, daß sie mit dem Auslande, welches infolge der Krisis mit Verlust verkaufte, koniurrireu mußte. Das hauptsächlichste Argument, welches man gegen das Schutzzollsystem aufstellt, ist der Konsument. Man sagt, der Konsument hat darunter zu leiden und zwar zum Nutzen einzelner. Diese Behauptung erscheint im ersten Augen¬ blick sehr einleuchtend, denn der Konsument ist eben derjenige, der kaufen muß, und der einzelne ist irgend ein Fabrikbesitzer, der sich allein den Schutzzoll zu Nutzen macht und sich auf Kosten der Käufer bereichert. Betrachten wir aber einmal die Sache näher und untersuchen wir, wer der Konsument und wer der einzelne ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/350>, abgerufen am 23.07.2024.