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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Ministervera'nderung in Frankreich.

der Gewalt sind? So werden sich namentlich Generale und andre höhere
Offiziere fragen, die der Linken verdächtig erscheinen, und so wird Mißbehagen
und Ungewißheit auch über die Führer der Armee sich verbreiten, denen das
Gegenteil dieser Empfindungen im Interesse des Staates vor allem zu
wünschen ist.

Wie diese Schwierigkeiten sich lösen werden, und wie diese langwierige Krisis
auf die nahe Zukunft Frankreichs wirken wird, ist nicht leicht zu sagen. Das
Land hat in sich Kräfte, die jeden Verlust leicht und rasch wieder ausgleichen.
Der Fleiß, die Unternehmungslust und die Sparsamkeit der Franzosen scheinen
im Verein mit andern von ihren löblichen Eigenschaften sehr wohl imstande zu
sein, die Irrtümer und Mißgriffe einer ganzen Reihe von Revolutionen wieder
gut zu machen. Aber wir müssen uns andrerseits erinnern, daß die Nation nie
zuvor von einer Schuldenlast bedrückt worden ist wie der jetzigen. Napoleon I.,
der auf dem ganzen europäischen Festlande Kriegskontributionen eintrieb, war
dadurch in den Stand gesetzt, Frankreich zu schonen. Auch unter dem zweiten
Kaiser war es in Schulden- und Steuersachen auszuhalten. Seit 1870 aber
haben sich die jährlichen Abgaben mehr als verdoppelt, und die in Aussicht ge¬
nommenen öffentlichen Arbeiten drohen die Last noch erheblich schwerer zu machen.
Die politischen Wirren dieser Tage haben sicherlich nicht zur Förderung der
gewerblichen und kommerziellen Interessen des Landes beigetragen, und es ver¬
steht sich von selbst, daß die Kapitalisten im heutigen Frankreich ihr Geld nicht
so leicht ans Unternehmungen verwenden werden wie unter einer festen Regierung.

Was endlich die auswärtigen Angelegenheiten betrifft, so wird man jetzt
wohl die kluge Voraussicht des Fürsten Bismarck erkennen, mit der er im
Gegensatze zu Graf Arnim die Errichtung und Befestigung der französischen
Republik nach Möglichkeit begünstigte und förderte. Er sah voraus, daß der
Parlamentarismus, die Demokratie, die halbe oder ganze Anarchie zu Hause
Frankreich nach außen hin machtlos und bündnisunfühig machen würde. Es ist
sicher, daß, während eine russische Allianz mit Gamvetta kaum möglich war,
ein Einverständnis zwischen dem Zaren und Herrn Clemenceau, dem zukünftigen
Ministerpräsidenten, völlig undenkbar ist. Nicht nur würde Nußland, mit dem
wir jetzt besser als je zuvor stehen, die Berührung vermeiden, sonder" Cle-
meneean, der stehende Heere und kriegerische Abenteuer verabscheut, ist stolz auf
ein Frankreich, das seine Thatkraft und seine Hilfsmittel einzig und allein auf
den Weiterbau der heimischen Verhältnisse zu verwenden entschlossen ist.

Zum Schlüsse noch eine Betrachtung. Man kann die französische Republik
nicht mehr jung nennen. Sie existirt gesetzlich schon zehn und praktisch sogar
dreizehn Jahre. Sie hat reichlich Zeit gehabt, sich fest und tief zu gründen
und ein Gebäude mit neuem Recht, neuer Ordnung und neuem Gedeihen auf¬
zuführen, und doch scheint sie damit geringen Erfolg gehabt zu haben. Wenigstens
haben ein paar Mauerauschläge mit den Worten "Prinz" nud "Napoleon" auf


Die Ministervera'nderung in Frankreich.

der Gewalt sind? So werden sich namentlich Generale und andre höhere
Offiziere fragen, die der Linken verdächtig erscheinen, und so wird Mißbehagen
und Ungewißheit auch über die Führer der Armee sich verbreiten, denen das
Gegenteil dieser Empfindungen im Interesse des Staates vor allem zu
wünschen ist.

Wie diese Schwierigkeiten sich lösen werden, und wie diese langwierige Krisis
auf die nahe Zukunft Frankreichs wirken wird, ist nicht leicht zu sagen. Das
Land hat in sich Kräfte, die jeden Verlust leicht und rasch wieder ausgleichen.
Der Fleiß, die Unternehmungslust und die Sparsamkeit der Franzosen scheinen
im Verein mit andern von ihren löblichen Eigenschaften sehr wohl imstande zu
sein, die Irrtümer und Mißgriffe einer ganzen Reihe von Revolutionen wieder
gut zu machen. Aber wir müssen uns andrerseits erinnern, daß die Nation nie
zuvor von einer Schuldenlast bedrückt worden ist wie der jetzigen. Napoleon I.,
der auf dem ganzen europäischen Festlande Kriegskontributionen eintrieb, war
dadurch in den Stand gesetzt, Frankreich zu schonen. Auch unter dem zweiten
Kaiser war es in Schulden- und Steuersachen auszuhalten. Seit 1870 aber
haben sich die jährlichen Abgaben mehr als verdoppelt, und die in Aussicht ge¬
nommenen öffentlichen Arbeiten drohen die Last noch erheblich schwerer zu machen.
Die politischen Wirren dieser Tage haben sicherlich nicht zur Förderung der
gewerblichen und kommerziellen Interessen des Landes beigetragen, und es ver¬
steht sich von selbst, daß die Kapitalisten im heutigen Frankreich ihr Geld nicht
so leicht ans Unternehmungen verwenden werden wie unter einer festen Regierung.

Was endlich die auswärtigen Angelegenheiten betrifft, so wird man jetzt
wohl die kluge Voraussicht des Fürsten Bismarck erkennen, mit der er im
Gegensatze zu Graf Arnim die Errichtung und Befestigung der französischen
Republik nach Möglichkeit begünstigte und förderte. Er sah voraus, daß der
Parlamentarismus, die Demokratie, die halbe oder ganze Anarchie zu Hause
Frankreich nach außen hin machtlos und bündnisunfühig machen würde. Es ist
sicher, daß, während eine russische Allianz mit Gamvetta kaum möglich war,
ein Einverständnis zwischen dem Zaren und Herrn Clemenceau, dem zukünftigen
Ministerpräsidenten, völlig undenkbar ist. Nicht nur würde Nußland, mit dem
wir jetzt besser als je zuvor stehen, die Berührung vermeiden, sonder» Cle-
meneean, der stehende Heere und kriegerische Abenteuer verabscheut, ist stolz auf
ein Frankreich, das seine Thatkraft und seine Hilfsmittel einzig und allein auf
den Weiterbau der heimischen Verhältnisse zu verwenden entschlossen ist.

Zum Schlüsse noch eine Betrachtung. Man kann die französische Republik
nicht mehr jung nennen. Sie existirt gesetzlich schon zehn und praktisch sogar
dreizehn Jahre. Sie hat reichlich Zeit gehabt, sich fest und tief zu gründen
und ein Gebäude mit neuem Recht, neuer Ordnung und neuem Gedeihen auf¬
zuführen, und doch scheint sie damit geringen Erfolg gehabt zu haben. Wenigstens
haben ein paar Mauerauschläge mit den Worten „Prinz" nud „Napoleon" auf


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[0344] Die Ministervera'nderung in Frankreich. der Gewalt sind? So werden sich namentlich Generale und andre höhere Offiziere fragen, die der Linken verdächtig erscheinen, und so wird Mißbehagen und Ungewißheit auch über die Führer der Armee sich verbreiten, denen das Gegenteil dieser Empfindungen im Interesse des Staates vor allem zu wünschen ist. Wie diese Schwierigkeiten sich lösen werden, und wie diese langwierige Krisis auf die nahe Zukunft Frankreichs wirken wird, ist nicht leicht zu sagen. Das Land hat in sich Kräfte, die jeden Verlust leicht und rasch wieder ausgleichen. Der Fleiß, die Unternehmungslust und die Sparsamkeit der Franzosen scheinen im Verein mit andern von ihren löblichen Eigenschaften sehr wohl imstande zu sein, die Irrtümer und Mißgriffe einer ganzen Reihe von Revolutionen wieder gut zu machen. Aber wir müssen uns andrerseits erinnern, daß die Nation nie zuvor von einer Schuldenlast bedrückt worden ist wie der jetzigen. Napoleon I., der auf dem ganzen europäischen Festlande Kriegskontributionen eintrieb, war dadurch in den Stand gesetzt, Frankreich zu schonen. Auch unter dem zweiten Kaiser war es in Schulden- und Steuersachen auszuhalten. Seit 1870 aber haben sich die jährlichen Abgaben mehr als verdoppelt, und die in Aussicht ge¬ nommenen öffentlichen Arbeiten drohen die Last noch erheblich schwerer zu machen. Die politischen Wirren dieser Tage haben sicherlich nicht zur Förderung der gewerblichen und kommerziellen Interessen des Landes beigetragen, und es ver¬ steht sich von selbst, daß die Kapitalisten im heutigen Frankreich ihr Geld nicht so leicht ans Unternehmungen verwenden werden wie unter einer festen Regierung. Was endlich die auswärtigen Angelegenheiten betrifft, so wird man jetzt wohl die kluge Voraussicht des Fürsten Bismarck erkennen, mit der er im Gegensatze zu Graf Arnim die Errichtung und Befestigung der französischen Republik nach Möglichkeit begünstigte und förderte. Er sah voraus, daß der Parlamentarismus, die Demokratie, die halbe oder ganze Anarchie zu Hause Frankreich nach außen hin machtlos und bündnisunfühig machen würde. Es ist sicher, daß, während eine russische Allianz mit Gamvetta kaum möglich war, ein Einverständnis zwischen dem Zaren und Herrn Clemenceau, dem zukünftigen Ministerpräsidenten, völlig undenkbar ist. Nicht nur würde Nußland, mit dem wir jetzt besser als je zuvor stehen, die Berührung vermeiden, sonder» Cle- meneean, der stehende Heere und kriegerische Abenteuer verabscheut, ist stolz auf ein Frankreich, das seine Thatkraft und seine Hilfsmittel einzig und allein auf den Weiterbau der heimischen Verhältnisse zu verwenden entschlossen ist. Zum Schlüsse noch eine Betrachtung. Man kann die französische Republik nicht mehr jung nennen. Sie existirt gesetzlich schon zehn und praktisch sogar dreizehn Jahre. Sie hat reichlich Zeit gehabt, sich fest und tief zu gründen und ein Gebäude mit neuem Recht, neuer Ordnung und neuem Gedeihen auf¬ zuführen, und doch scheint sie damit geringen Erfolg gehabt zu haben. Wenigstens haben ein paar Mauerauschläge mit den Worten „Prinz" nud „Napoleon" auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/344>, abgerufen am 03.07.2024.