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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die lNinisterveränderung in Frankreich.

Linke" fürchteten, sie wollten der Börse zu Gefallen Frankreich in einen neuen
mexikanischen "der tunesischen Krieg stürzen. Dieselbe Angst davor, daß eine
Jnterpellation von den Bänken der letzter" Seite sich in eine Anklage verwandeln
könnte, zwang die Mehrheit des Ministeriums Duclere, den Prinzen Plon-Plon
zu verhaften und radikalen Vorschlägen zur Änderung der Gesetzgebung im
wesentlichen beizutreten. Da haben wir wieder einmal den Segen des Parla¬
mentarismus.

Es ist, wie es scheint, das Loos aller französischen Republiken, langsam
nach der Revolution und Anarchie hinzugleiten und dann von einer Eisenfnust
nnter despotische Herrschaft gebracht zu werden. Die Entfernung der Prinzen
von ihren Kommandos, die Entziehung der Wählbarkeit und die eventuelle Aus¬
treibung derselben aus dem Lande, welche die Regierung beantragt und die
Kammer beschlossen hat, sind nichts ungewöhnliches bei unsern Nachbarn jenseits
der Vogesen. In mehr komischer Gestalt zeigte sich diese Tendenz bei jeder
Negierungsveränderung in der Niederreißung von Statuen, in der Entfernung
von Emblemen der Monarchie, in der Umlaufung von Straßen und Plätzen
und in der Auslöschung von Inschriften. Als die erste Revolution die Ver¬
bannung über die Prinzen und Adlichen des alten Frankreichs verhängte, war das
begreiflich, ja natürlich; die Aristokratie hatte den Krieg in der Vendee entzündet
und sich mit dem Auslande verschworen, sie war in die Reihen der Landesfeinde
eingetreten und mit den Heeren derselben in Frankreich eingebrochen. Die Prinzen,
die man jetzt verfolgt, haben nichts der Art gethan, sie mögen Hoffnungen hegen,
die auf Restauration hinzielen, der Prinz Napoleon hat sich offen dazu bekannt,
aber die Herzöge des Hauses Orleans haben sich verhalten, als ob sie die Re¬
publik anerkennten, und d'Aumale hat sie, gleichviel, ob mit Hintergedanken,
wirklich und ausdrücklich anerkannt. Dennoch werden alle über einen Kamm
geschoren, und zwar einzig aus dem Grunde, weil die Republikaner die Lehre
vom fürstlichen Erbrechte hassen und fürchten. Sie wollen allgemeine Gleich¬
heit und statuiren doch eine schreiende Ungleichheit. Das Kind eines Prinzen
soll nicht mit dem Rechte auf eine Krone, das Kind eines Bauern uicht mit der
Aussicht auf politische Knechtschaft und Nichtbefähiguug zur Mitregierung durch
das Stimmrecht bei den Wahlen geboren werden. Aber während sie die erb¬
lichen Vorrechte bekämpfen, erklären sie mit Eifer, daß jene Nichtbefähigmig
erblich sei, und so ist es nichts mit ihrer Doktrin, daß alle Menschen gleich
geboren seien; denn Fürstenkinder sind dann politische Parias.

Und ebenso verstehen die Herren von der Linken die Freiheit, die sie fort¬
während im Munde führen -- beiläufig ganz mit der selbstsüchtigen Inkonse¬
quenz nach der Moral: "Ja, Bauer, das ist ganz was andres," die wir bei
unserm fortgeschrittenen Liberalismus gewohnt sind. Als die äußerste Linke,
die jetzt starken Einfluß übt und gute Aussicht hat, das Heft ganz in die Hand
zu bekommen, noch im Schatten stand und wenig Hoffnung hatte, ans Regiment


Die lNinisterveränderung in Frankreich.

Linke» fürchteten, sie wollten der Börse zu Gefallen Frankreich in einen neuen
mexikanischen »der tunesischen Krieg stürzen. Dieselbe Angst davor, daß eine
Jnterpellation von den Bänken der letzter» Seite sich in eine Anklage verwandeln
könnte, zwang die Mehrheit des Ministeriums Duclere, den Prinzen Plon-Plon
zu verhaften und radikalen Vorschlägen zur Änderung der Gesetzgebung im
wesentlichen beizutreten. Da haben wir wieder einmal den Segen des Parla¬
mentarismus.

Es ist, wie es scheint, das Loos aller französischen Republiken, langsam
nach der Revolution und Anarchie hinzugleiten und dann von einer Eisenfnust
nnter despotische Herrschaft gebracht zu werden. Die Entfernung der Prinzen
von ihren Kommandos, die Entziehung der Wählbarkeit und die eventuelle Aus¬
treibung derselben aus dem Lande, welche die Regierung beantragt und die
Kammer beschlossen hat, sind nichts ungewöhnliches bei unsern Nachbarn jenseits
der Vogesen. In mehr komischer Gestalt zeigte sich diese Tendenz bei jeder
Negierungsveränderung in der Niederreißung von Statuen, in der Entfernung
von Emblemen der Monarchie, in der Umlaufung von Straßen und Plätzen
und in der Auslöschung von Inschriften. Als die erste Revolution die Ver¬
bannung über die Prinzen und Adlichen des alten Frankreichs verhängte, war das
begreiflich, ja natürlich; die Aristokratie hatte den Krieg in der Vendee entzündet
und sich mit dem Auslande verschworen, sie war in die Reihen der Landesfeinde
eingetreten und mit den Heeren derselben in Frankreich eingebrochen. Die Prinzen,
die man jetzt verfolgt, haben nichts der Art gethan, sie mögen Hoffnungen hegen,
die auf Restauration hinzielen, der Prinz Napoleon hat sich offen dazu bekannt,
aber die Herzöge des Hauses Orleans haben sich verhalten, als ob sie die Re¬
publik anerkennten, und d'Aumale hat sie, gleichviel, ob mit Hintergedanken,
wirklich und ausdrücklich anerkannt. Dennoch werden alle über einen Kamm
geschoren, und zwar einzig aus dem Grunde, weil die Republikaner die Lehre
vom fürstlichen Erbrechte hassen und fürchten. Sie wollen allgemeine Gleich¬
heit und statuiren doch eine schreiende Ungleichheit. Das Kind eines Prinzen
soll nicht mit dem Rechte auf eine Krone, das Kind eines Bauern uicht mit der
Aussicht auf politische Knechtschaft und Nichtbefähiguug zur Mitregierung durch
das Stimmrecht bei den Wahlen geboren werden. Aber während sie die erb¬
lichen Vorrechte bekämpfen, erklären sie mit Eifer, daß jene Nichtbefähigmig
erblich sei, und so ist es nichts mit ihrer Doktrin, daß alle Menschen gleich
geboren seien; denn Fürstenkinder sind dann politische Parias.

Und ebenso verstehen die Herren von der Linken die Freiheit, die sie fort¬
während im Munde führen — beiläufig ganz mit der selbstsüchtigen Inkonse¬
quenz nach der Moral: „Ja, Bauer, das ist ganz was andres," die wir bei
unserm fortgeschrittenen Liberalismus gewohnt sind. Als die äußerste Linke,
die jetzt starken Einfluß übt und gute Aussicht hat, das Heft ganz in die Hand
zu bekommen, noch im Schatten stand und wenig Hoffnung hatte, ans Regiment


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/342>, abgerufen am 23.07.2024.