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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Lyrische Dichtungen und Dichter.

Poet, dem in der Musen heil'gen Tempel
Das.Haupt der Kranz des höchsten Ruhmes schmückt;
Deß Werk, ein hohes, herrliches Exempel
In Ewigkeit wird strahlen unverrückt u. s. w.

so sind wir in der That um Biedermcyer und Genossen gemahnt.

selbständiger in der Empfindung, durchgebildet in der Form, zu poetischen
Individualitäten gereift, treten zwei Lyriker vor uns, deren Namen sich schon
guten Klanges erfreuen: Heinrich Zeise und Ernst Scherenberg. Die Dichtungen
des ältern von ihnen Aus meiner Liedermappe von Heinrich Zeise
(Hannover, Arnold Weichelt) erscheinen als zweite vermehrte Auflage und
mögen zum größern Teil in frühere Tage zurückreichen. Sie bewähren, daß
der Dichter von seiner Muse durch das Leben begleitet worden ist, die meisten
seiner neueren Liedweisen quellen so frisch, warm und ungekünstelt hervor wie
die besten der älteren Gedichte Zeises. Man kann kaum sagen, daß in dieser
Sammlung von Liedern und Gelegenheitsgedichten im besten Sinne einzelne
besonders hervorragen. Die Eigenart des Dichters bringt es mit sich, daß er
mich seine innersten Empfindungen, seiue eigensten Erlebnisse in eine lyrische Form
kleidet, welche zur Allgemeinheit spricht. Vurns, Beranger, die mit Unrecht ver¬
gessenen deutschen geselligen Lyriker vom Ende des vorigen Jahrhunderts haben
ihn hierin beeinflußt. Und man kann nicht leugnen, daß Zeises Wald- und
Wanderlieder, seine kernhaften Trvstsprüche im Wechsel des Lebens, seine genu߬
frohen Trinklieder und zahlreichen Liebesgesange auf jeden Leser kräftig und
unmittelbar wirken. Es ist Mark und Gesundheit, Gefühl für alle Schönheit
des Lebens, männlicher Ernst und ein feiner, an der Natur genährter Sinn in
ihnen, die Verse des Lyrikers meist tadellos und oft einschmeichelnd und voll
Wohllautes. Gleichwohl macht sich ein gewisses Gefühl der Ermüdung beim
Lesen so zahlreicher fast gleichartiger und völlig gleichwertiger Gedichte geltend.
Zeise sinkt unter die Durchschnittslinie des Empfiudnngsgehnlts und Ausdrucks
seiner Lieder selten herab, aber er erhebt sich beinahe nie über dieselbe. Keine
Weise, die uns ins tiefste Herz hineinklänge, kein Bild, das immer wieder vor
uns stünde, kein Gedicht, das sich der Erinnerung unvergeßlich einprägte!
Daran mag auch der Zufall seinen Anteil haben -- immerhin aber würde es
uns nicht leicht fallen, sollten wir aus den guten Gedichten dieser Liedermappe
ein Dutzend der vortrefflichsten herausheben.

Zeigt sich Zeise im ganzen als eine lebensfrohe und harmlose Dichternatur
(nur durch die letzten Gedichte seines Bandes geht ein Hauch des Schmerzes
und einer herben Resignation), so stellt sich Ernst Scherenberg auch in seinen
Neuen Gedichten (Leipzig, Ernst Keil) vorwiegend elegisch, jedenfalls tief
ernst gestimmt dar. Der Grundton des ersten Gedichts:


Gern vergaß ich, was ich litt,
Neuem Lcnzcsgruß zu lauschen --

Lyrische Dichtungen und Dichter.

Poet, dem in der Musen heil'gen Tempel
Das.Haupt der Kranz des höchsten Ruhmes schmückt;
Deß Werk, ein hohes, herrliches Exempel
In Ewigkeit wird strahlen unverrückt u. s. w.

so sind wir in der That um Biedermcyer und Genossen gemahnt.

selbständiger in der Empfindung, durchgebildet in der Form, zu poetischen
Individualitäten gereift, treten zwei Lyriker vor uns, deren Namen sich schon
guten Klanges erfreuen: Heinrich Zeise und Ernst Scherenberg. Die Dichtungen
des ältern von ihnen Aus meiner Liedermappe von Heinrich Zeise
(Hannover, Arnold Weichelt) erscheinen als zweite vermehrte Auflage und
mögen zum größern Teil in frühere Tage zurückreichen. Sie bewähren, daß
der Dichter von seiner Muse durch das Leben begleitet worden ist, die meisten
seiner neueren Liedweisen quellen so frisch, warm und ungekünstelt hervor wie
die besten der älteren Gedichte Zeises. Man kann kaum sagen, daß in dieser
Sammlung von Liedern und Gelegenheitsgedichten im besten Sinne einzelne
besonders hervorragen. Die Eigenart des Dichters bringt es mit sich, daß er
mich seine innersten Empfindungen, seiue eigensten Erlebnisse in eine lyrische Form
kleidet, welche zur Allgemeinheit spricht. Vurns, Beranger, die mit Unrecht ver¬
gessenen deutschen geselligen Lyriker vom Ende des vorigen Jahrhunderts haben
ihn hierin beeinflußt. Und man kann nicht leugnen, daß Zeises Wald- und
Wanderlieder, seine kernhaften Trvstsprüche im Wechsel des Lebens, seine genu߬
frohen Trinklieder und zahlreichen Liebesgesange auf jeden Leser kräftig und
unmittelbar wirken. Es ist Mark und Gesundheit, Gefühl für alle Schönheit
des Lebens, männlicher Ernst und ein feiner, an der Natur genährter Sinn in
ihnen, die Verse des Lyrikers meist tadellos und oft einschmeichelnd und voll
Wohllautes. Gleichwohl macht sich ein gewisses Gefühl der Ermüdung beim
Lesen so zahlreicher fast gleichartiger und völlig gleichwertiger Gedichte geltend.
Zeise sinkt unter die Durchschnittslinie des Empfiudnngsgehnlts und Ausdrucks
seiner Lieder selten herab, aber er erhebt sich beinahe nie über dieselbe. Keine
Weise, die uns ins tiefste Herz hineinklänge, kein Bild, das immer wieder vor
uns stünde, kein Gedicht, das sich der Erinnerung unvergeßlich einprägte!
Daran mag auch der Zufall seinen Anteil haben — immerhin aber würde es
uns nicht leicht fallen, sollten wir aus den guten Gedichten dieser Liedermappe
ein Dutzend der vortrefflichsten herausheben.

Zeigt sich Zeise im ganzen als eine lebensfrohe und harmlose Dichternatur
(nur durch die letzten Gedichte seines Bandes geht ein Hauch des Schmerzes
und einer herben Resignation), so stellt sich Ernst Scherenberg auch in seinen
Neuen Gedichten (Leipzig, Ernst Keil) vorwiegend elegisch, jedenfalls tief
ernst gestimmt dar. Der Grundton des ersten Gedichts:


Gern vergaß ich, was ich litt,
Neuem Lcnzcsgruß zu lauschen —

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[0323] Lyrische Dichtungen und Dichter. Poet, dem in der Musen heil'gen Tempel Das.Haupt der Kranz des höchsten Ruhmes schmückt; Deß Werk, ein hohes, herrliches Exempel In Ewigkeit wird strahlen unverrückt u. s. w. so sind wir in der That um Biedermcyer und Genossen gemahnt. selbständiger in der Empfindung, durchgebildet in der Form, zu poetischen Individualitäten gereift, treten zwei Lyriker vor uns, deren Namen sich schon guten Klanges erfreuen: Heinrich Zeise und Ernst Scherenberg. Die Dichtungen des ältern von ihnen Aus meiner Liedermappe von Heinrich Zeise (Hannover, Arnold Weichelt) erscheinen als zweite vermehrte Auflage und mögen zum größern Teil in frühere Tage zurückreichen. Sie bewähren, daß der Dichter von seiner Muse durch das Leben begleitet worden ist, die meisten seiner neueren Liedweisen quellen so frisch, warm und ungekünstelt hervor wie die besten der älteren Gedichte Zeises. Man kann kaum sagen, daß in dieser Sammlung von Liedern und Gelegenheitsgedichten im besten Sinne einzelne besonders hervorragen. Die Eigenart des Dichters bringt es mit sich, daß er mich seine innersten Empfindungen, seiue eigensten Erlebnisse in eine lyrische Form kleidet, welche zur Allgemeinheit spricht. Vurns, Beranger, die mit Unrecht ver¬ gessenen deutschen geselligen Lyriker vom Ende des vorigen Jahrhunderts haben ihn hierin beeinflußt. Und man kann nicht leugnen, daß Zeises Wald- und Wanderlieder, seine kernhaften Trvstsprüche im Wechsel des Lebens, seine genu߬ frohen Trinklieder und zahlreichen Liebesgesange auf jeden Leser kräftig und unmittelbar wirken. Es ist Mark und Gesundheit, Gefühl für alle Schönheit des Lebens, männlicher Ernst und ein feiner, an der Natur genährter Sinn in ihnen, die Verse des Lyrikers meist tadellos und oft einschmeichelnd und voll Wohllautes. Gleichwohl macht sich ein gewisses Gefühl der Ermüdung beim Lesen so zahlreicher fast gleichartiger und völlig gleichwertiger Gedichte geltend. Zeise sinkt unter die Durchschnittslinie des Empfiudnngsgehnlts und Ausdrucks seiner Lieder selten herab, aber er erhebt sich beinahe nie über dieselbe. Keine Weise, die uns ins tiefste Herz hineinklänge, kein Bild, das immer wieder vor uns stünde, kein Gedicht, das sich der Erinnerung unvergeßlich einprägte! Daran mag auch der Zufall seinen Anteil haben — immerhin aber würde es uns nicht leicht fallen, sollten wir aus den guten Gedichten dieser Liedermappe ein Dutzend der vortrefflichsten herausheben. Zeigt sich Zeise im ganzen als eine lebensfrohe und harmlose Dichternatur (nur durch die letzten Gedichte seines Bandes geht ein Hauch des Schmerzes und einer herben Resignation), so stellt sich Ernst Scherenberg auch in seinen Neuen Gedichten (Leipzig, Ernst Keil) vorwiegend elegisch, jedenfalls tief ernst gestimmt dar. Der Grundton des ersten Gedichts: Gern vergaß ich, was ich litt, Neuem Lcnzcsgruß zu lauschen —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/323>, abgerufen am 23.07.2024.