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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Neue Ergebnisse der Rcitakoml'e"forschung,

stehen hier vor einem Autoritätsglauben, der bei allem Respekt vor der wissen¬
schaftlichen Bedeutung des römischen Gelehrten doch als verderblich bezeichnet
werden muß, und so ist es doppelt erfreulich, daß Schultze sich von vornherein
auf einen kritischen Standpunkt stellt. Die Folge ist denn mich, daß er in einer
ganzen Reihe wichtiger Fragen zu den traditionellen Anschmmngcn in Wider¬
spruch tritt. Da seine Beweisführung sich überall ans das vorliegende Quellen¬
material stützt und haltlosen Konjekturen ebenso beharrlich ausweicht wie den
Verlockungen der Apologetik, so ist damit ein bedeutender Schritt vorwärts
gethan.

Im folgenden heben wir einiges hervor, was sich auf das Verhältnis des
altchristlichen Kulturlebens zu dein antiken bezieht, einmal, weil gerade hierfür
die Katakombenfvrschung überraschende Resultate ergeben hat, dann, weil die
Zuufttheologen diesem Verhältnisse gegenüber eine auffallende Gleichgiltigkeit
zeigen. Solange man aber nicht weiß, wie auf dein Gebiete wisseuschnftlichen,
sozialen, ethischen und auch religiösen Lebens heidnisches und christliches Volks-
tum sich verhielten, solange kann man anch von einem Verständnis der alten
Kirchengeschichte nicht sprechen.

Der dritte Hauptteil von Schultzes Darstellung handelt über die Bildwerke
der Katakomben, und es ist hier zunächst die Rede von dem Entwicklungsgange
der altchristlichen Kunst, Daß die herkömmliche Meinung von dem angeblichen
Knnsthasse der alten Christen falsch sei, wußten wir schon. Hier wird nun zum
erstenmale gezeigt, was eine besonnene Forschung längst hätte bemerken sollen,
daß die christliche Kunst durchaus auf dem Boden der antiken Kunst entstanden
ist und diese als Voraussetzung hat. "Es gab eine Zeit, wo die Kunst in der
Kirche die unverändert heidnische war." Dieser überraschende, aber durchaus
richtige Satz, der über die vorsichtigen Konzessionen des französischen Archäo¬
logen Raoul-Rochette weit hinausgeht, ist ein wichtiger Schluß von den ältesten
Wandmalereien, insbesondre von den Deckengemälden in den Neapolitanischen
Katakomben.

Es läßt sich genau beobachten, wie dann das Christliche auf der antiken
Basis mehr und mehr Boden gewinnt, wie die Künstler von Schritt zu Schritt
weiter gehen. Aber auch in einer Zeit, wo man von einer fertigen christlichen Kunst
reden darf, im dritten und vierten Jahrhundert, erinnern noch zahlreiche Trümmcr-
stücke aus der Antike, die mit fortgeschleppt worden, an das frühere Verhältnis.
Eros und Psyche, die Dioskuren, Figuren und Gruppen ans dem Nereiden-
eyklus wie aus dem bacchischen Kreise, das Gorgoneivn, die Sirenen u. a. tauchen
immer wieder mitten unter den biblischen Darstellungen auf. Auch in zahl¬
reichen Einzelheiten in den christlichen Bildern selbst scheint die antike Kunst und
Vorstellung hindurch.

Noch merkwürdiger aber ist es, daß auch die altchristliche Symbolik sich
nach Maßgabe der Antike gestaltet hat. Der beliebten Art und Weise der tires-


Neue Ergebnisse der Rcitakoml'e»forschung,

stehen hier vor einem Autoritätsglauben, der bei allem Respekt vor der wissen¬
schaftlichen Bedeutung des römischen Gelehrten doch als verderblich bezeichnet
werden muß, und so ist es doppelt erfreulich, daß Schultze sich von vornherein
auf einen kritischen Standpunkt stellt. Die Folge ist denn mich, daß er in einer
ganzen Reihe wichtiger Fragen zu den traditionellen Anschmmngcn in Wider¬
spruch tritt. Da seine Beweisführung sich überall ans das vorliegende Quellen¬
material stützt und haltlosen Konjekturen ebenso beharrlich ausweicht wie den
Verlockungen der Apologetik, so ist damit ein bedeutender Schritt vorwärts
gethan.

Im folgenden heben wir einiges hervor, was sich auf das Verhältnis des
altchristlichen Kulturlebens zu dein antiken bezieht, einmal, weil gerade hierfür
die Katakombenfvrschung überraschende Resultate ergeben hat, dann, weil die
Zuufttheologen diesem Verhältnisse gegenüber eine auffallende Gleichgiltigkeit
zeigen. Solange man aber nicht weiß, wie auf dein Gebiete wisseuschnftlichen,
sozialen, ethischen und auch religiösen Lebens heidnisches und christliches Volks-
tum sich verhielten, solange kann man anch von einem Verständnis der alten
Kirchengeschichte nicht sprechen.

Der dritte Hauptteil von Schultzes Darstellung handelt über die Bildwerke
der Katakomben, und es ist hier zunächst die Rede von dem Entwicklungsgange
der altchristlichen Kunst, Daß die herkömmliche Meinung von dem angeblichen
Knnsthasse der alten Christen falsch sei, wußten wir schon. Hier wird nun zum
erstenmale gezeigt, was eine besonnene Forschung längst hätte bemerken sollen,
daß die christliche Kunst durchaus auf dem Boden der antiken Kunst entstanden
ist und diese als Voraussetzung hat. „Es gab eine Zeit, wo die Kunst in der
Kirche die unverändert heidnische war." Dieser überraschende, aber durchaus
richtige Satz, der über die vorsichtigen Konzessionen des französischen Archäo¬
logen Raoul-Rochette weit hinausgeht, ist ein wichtiger Schluß von den ältesten
Wandmalereien, insbesondre von den Deckengemälden in den Neapolitanischen
Katakomben.

Es läßt sich genau beobachten, wie dann das Christliche auf der antiken
Basis mehr und mehr Boden gewinnt, wie die Künstler von Schritt zu Schritt
weiter gehen. Aber auch in einer Zeit, wo man von einer fertigen christlichen Kunst
reden darf, im dritten und vierten Jahrhundert, erinnern noch zahlreiche Trümmcr-
stücke aus der Antike, die mit fortgeschleppt worden, an das frühere Verhältnis.
Eros und Psyche, die Dioskuren, Figuren und Gruppen ans dem Nereiden-
eyklus wie aus dem bacchischen Kreise, das Gorgoneivn, die Sirenen u. a. tauchen
immer wieder mitten unter den biblischen Darstellungen auf. Auch in zahl¬
reichen Einzelheiten in den christlichen Bildern selbst scheint die antike Kunst und
Vorstellung hindurch.

Noch merkwürdiger aber ist es, daß auch die altchristliche Symbolik sich
nach Maßgabe der Antike gestaltet hat. Der beliebten Art und Weise der tires-


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[0317] Neue Ergebnisse der Rcitakoml'e»forschung, stehen hier vor einem Autoritätsglauben, der bei allem Respekt vor der wissen¬ schaftlichen Bedeutung des römischen Gelehrten doch als verderblich bezeichnet werden muß, und so ist es doppelt erfreulich, daß Schultze sich von vornherein auf einen kritischen Standpunkt stellt. Die Folge ist denn mich, daß er in einer ganzen Reihe wichtiger Fragen zu den traditionellen Anschmmngcn in Wider¬ spruch tritt. Da seine Beweisführung sich überall ans das vorliegende Quellen¬ material stützt und haltlosen Konjekturen ebenso beharrlich ausweicht wie den Verlockungen der Apologetik, so ist damit ein bedeutender Schritt vorwärts gethan. Im folgenden heben wir einiges hervor, was sich auf das Verhältnis des altchristlichen Kulturlebens zu dein antiken bezieht, einmal, weil gerade hierfür die Katakombenfvrschung überraschende Resultate ergeben hat, dann, weil die Zuufttheologen diesem Verhältnisse gegenüber eine auffallende Gleichgiltigkeit zeigen. Solange man aber nicht weiß, wie auf dein Gebiete wisseuschnftlichen, sozialen, ethischen und auch religiösen Lebens heidnisches und christliches Volks- tum sich verhielten, solange kann man anch von einem Verständnis der alten Kirchengeschichte nicht sprechen. Der dritte Hauptteil von Schultzes Darstellung handelt über die Bildwerke der Katakomben, und es ist hier zunächst die Rede von dem Entwicklungsgange der altchristlichen Kunst, Daß die herkömmliche Meinung von dem angeblichen Knnsthasse der alten Christen falsch sei, wußten wir schon. Hier wird nun zum erstenmale gezeigt, was eine besonnene Forschung längst hätte bemerken sollen, daß die christliche Kunst durchaus auf dem Boden der antiken Kunst entstanden ist und diese als Voraussetzung hat. „Es gab eine Zeit, wo die Kunst in der Kirche die unverändert heidnische war." Dieser überraschende, aber durchaus richtige Satz, der über die vorsichtigen Konzessionen des französischen Archäo¬ logen Raoul-Rochette weit hinausgeht, ist ein wichtiger Schluß von den ältesten Wandmalereien, insbesondre von den Deckengemälden in den Neapolitanischen Katakomben. Es läßt sich genau beobachten, wie dann das Christliche auf der antiken Basis mehr und mehr Boden gewinnt, wie die Künstler von Schritt zu Schritt weiter gehen. Aber auch in einer Zeit, wo man von einer fertigen christlichen Kunst reden darf, im dritten und vierten Jahrhundert, erinnern noch zahlreiche Trümmcr- stücke aus der Antike, die mit fortgeschleppt worden, an das frühere Verhältnis. Eros und Psyche, die Dioskuren, Figuren und Gruppen ans dem Nereiden- eyklus wie aus dem bacchischen Kreise, das Gorgoneivn, die Sirenen u. a. tauchen immer wieder mitten unter den biblischen Darstellungen auf. Auch in zahl¬ reichen Einzelheiten in den christlichen Bildern selbst scheint die antike Kunst und Vorstellung hindurch. Noch merkwürdiger aber ist es, daß auch die altchristliche Symbolik sich nach Maßgabe der Antike gestaltet hat. Der beliebten Art und Weise der tires-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/317>, abgerufen am 23.07.2024.