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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Neue Ergebnisse der Ratakombcnsorschuug,

Leistungen ersten Ranges anch unter den klassischen Archäologen sich einen geach¬
teten Namen gemacht hat.

Nun wird die wissenschaftliche Aufrichtigkeit de Rossis von niemand in
Zweifel gezogen werden; aber seine Schriften rufen häufig den Eindruck hervor,
daß er wenigstens unbewußt durch seine kirchliche Stellung und seine dogma¬
tischen Anschauungen beeinflußt werde. Er hat einst ausdrücklich die auf die
Monumente gegründete kirchliche Altertumswissenschaft als ein Gegenmittel gegen
die Irrtümer der Zeit im Bereiche des Kirchlichen und Religiösen bezeichnet
und dementsprechend seinen Arbeiten eine apologetische Richtung gegeben, wenn
diese auch nicht immer deutlich erkennbar hervortritt, Dazu kommt, daß das
eigentliche Arbeitsfeld de Rossis nur die römischen Katakomben sind. Zwar
haben sowohl er als auch andre, die von ihm angeregt waren, vereinzelt mich
weiter gegriffen; indeß war das nur fragmentarische Arbeit, und eine Darstel¬
lung, deren Objekt die Gesamtheit der altchristlichen Grabdenkmäler bildet und
die zudem den Anforderungen wissenschaftlicher Forschung, wie sie in der klas¬
sischen Archäologie die jüngere Schule übt, volle Genüge leistete, blieb ein
Desideratum.

Ein junger Gelehrter, dem wir schon eine Abhandlung über die Neapoli¬
tanische" Katakomben, sowie "Archäologische Studien über altchristliche Monu¬
mente" verdanken, Viktor Schultze, Privatdozent an der Leipziger Universität,
hat in einem kürzlich erschienenen Werke Die Katakomben*) diese Aufgabe zu
lösen versucht. In präziser Darstellung giebt er uns eine vollständige Übersicht
über die altchristlichen Katakomben, ihre Architektur, ihre Malerei und ihre"
reichen Inhalt an Inschriften, Gerätschaften, Schmucksachen, Amuleten n, s. w,,
und den Anhang feines Buches bildet eine Einzelbeschreibung von zwölf Kata¬
komben im Morgen- und Abendlande auf Grund seiner eignen Untersuchungen.

Man gewinnt aus Schultzes Buche zunächst einen schätzbaren Überblick über
den Stand der Katakonibenforschung der Gegenwart, Eine außerordentlich reiche
Literatur, die er sorgfältig verzeichnet hat, und die in ihren Anfängen bis an
das Ende des sechzehnten Jahrhunderts zurückreicht, hat sich um dieses Thema
angesammelt. Je näher man der Gegenwart kommt, umso mehr schwillt sie an,
England, Frankreich, Italien und Deutschland sind dabei beteiligt. Das ist an
sich gewiß erfreulich. Aber wie stark ist doch in dieser Literatur auch der
Dilettantismus vertreten! Es wäre im Interesse der Katakombenforschung zu
wünschen, daß dieser recht bald abgeschüttelt würde. Eine andre auffallende
Thatsache ist, daß durch diese Fülle von großen und kleinen Schriften eine
wunderbare Einmütigkeit geht: de Rossis Urteile und Vermutungen nicht minder
wie sein Material ziehen sich wie ein roter Faden durch alle hindurch. Wir



*) Die Katakomben, Die altchristlichen Grabstätten, Ihre Geschichte und ihre Mo¬
numente. Von Viktor Schultze, Leipzig, Drescher, 1882,
Neue Ergebnisse der Ratakombcnsorschuug,

Leistungen ersten Ranges anch unter den klassischen Archäologen sich einen geach¬
teten Namen gemacht hat.

Nun wird die wissenschaftliche Aufrichtigkeit de Rossis von niemand in
Zweifel gezogen werden; aber seine Schriften rufen häufig den Eindruck hervor,
daß er wenigstens unbewußt durch seine kirchliche Stellung und seine dogma¬
tischen Anschauungen beeinflußt werde. Er hat einst ausdrücklich die auf die
Monumente gegründete kirchliche Altertumswissenschaft als ein Gegenmittel gegen
die Irrtümer der Zeit im Bereiche des Kirchlichen und Religiösen bezeichnet
und dementsprechend seinen Arbeiten eine apologetische Richtung gegeben, wenn
diese auch nicht immer deutlich erkennbar hervortritt, Dazu kommt, daß das
eigentliche Arbeitsfeld de Rossis nur die römischen Katakomben sind. Zwar
haben sowohl er als auch andre, die von ihm angeregt waren, vereinzelt mich
weiter gegriffen; indeß war das nur fragmentarische Arbeit, und eine Darstel¬
lung, deren Objekt die Gesamtheit der altchristlichen Grabdenkmäler bildet und
die zudem den Anforderungen wissenschaftlicher Forschung, wie sie in der klas¬
sischen Archäologie die jüngere Schule übt, volle Genüge leistete, blieb ein
Desideratum.

Ein junger Gelehrter, dem wir schon eine Abhandlung über die Neapoli¬
tanische» Katakomben, sowie „Archäologische Studien über altchristliche Monu¬
mente" verdanken, Viktor Schultze, Privatdozent an der Leipziger Universität,
hat in einem kürzlich erschienenen Werke Die Katakomben*) diese Aufgabe zu
lösen versucht. In präziser Darstellung giebt er uns eine vollständige Übersicht
über die altchristlichen Katakomben, ihre Architektur, ihre Malerei und ihre»
reichen Inhalt an Inschriften, Gerätschaften, Schmucksachen, Amuleten n, s. w,,
und den Anhang feines Buches bildet eine Einzelbeschreibung von zwölf Kata¬
komben im Morgen- und Abendlande auf Grund seiner eignen Untersuchungen.

Man gewinnt aus Schultzes Buche zunächst einen schätzbaren Überblick über
den Stand der Katakonibenforschung der Gegenwart, Eine außerordentlich reiche
Literatur, die er sorgfältig verzeichnet hat, und die in ihren Anfängen bis an
das Ende des sechzehnten Jahrhunderts zurückreicht, hat sich um dieses Thema
angesammelt. Je näher man der Gegenwart kommt, umso mehr schwillt sie an,
England, Frankreich, Italien und Deutschland sind dabei beteiligt. Das ist an
sich gewiß erfreulich. Aber wie stark ist doch in dieser Literatur auch der
Dilettantismus vertreten! Es wäre im Interesse der Katakombenforschung zu
wünschen, daß dieser recht bald abgeschüttelt würde. Eine andre auffallende
Thatsache ist, daß durch diese Fülle von großen und kleinen Schriften eine
wunderbare Einmütigkeit geht: de Rossis Urteile und Vermutungen nicht minder
wie sein Material ziehen sich wie ein roter Faden durch alle hindurch. Wir



*) Die Katakomben, Die altchristlichen Grabstätten, Ihre Geschichte und ihre Mo¬
numente. Von Viktor Schultze, Leipzig, Drescher, 1882,
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[0316] Neue Ergebnisse der Ratakombcnsorschuug, Leistungen ersten Ranges anch unter den klassischen Archäologen sich einen geach¬ teten Namen gemacht hat. Nun wird die wissenschaftliche Aufrichtigkeit de Rossis von niemand in Zweifel gezogen werden; aber seine Schriften rufen häufig den Eindruck hervor, daß er wenigstens unbewußt durch seine kirchliche Stellung und seine dogma¬ tischen Anschauungen beeinflußt werde. Er hat einst ausdrücklich die auf die Monumente gegründete kirchliche Altertumswissenschaft als ein Gegenmittel gegen die Irrtümer der Zeit im Bereiche des Kirchlichen und Religiösen bezeichnet und dementsprechend seinen Arbeiten eine apologetische Richtung gegeben, wenn diese auch nicht immer deutlich erkennbar hervortritt, Dazu kommt, daß das eigentliche Arbeitsfeld de Rossis nur die römischen Katakomben sind. Zwar haben sowohl er als auch andre, die von ihm angeregt waren, vereinzelt mich weiter gegriffen; indeß war das nur fragmentarische Arbeit, und eine Darstel¬ lung, deren Objekt die Gesamtheit der altchristlichen Grabdenkmäler bildet und die zudem den Anforderungen wissenschaftlicher Forschung, wie sie in der klas¬ sischen Archäologie die jüngere Schule übt, volle Genüge leistete, blieb ein Desideratum. Ein junger Gelehrter, dem wir schon eine Abhandlung über die Neapoli¬ tanische» Katakomben, sowie „Archäologische Studien über altchristliche Monu¬ mente" verdanken, Viktor Schultze, Privatdozent an der Leipziger Universität, hat in einem kürzlich erschienenen Werke Die Katakomben*) diese Aufgabe zu lösen versucht. In präziser Darstellung giebt er uns eine vollständige Übersicht über die altchristlichen Katakomben, ihre Architektur, ihre Malerei und ihre» reichen Inhalt an Inschriften, Gerätschaften, Schmucksachen, Amuleten n, s. w,, und den Anhang feines Buches bildet eine Einzelbeschreibung von zwölf Kata¬ komben im Morgen- und Abendlande auf Grund seiner eignen Untersuchungen. Man gewinnt aus Schultzes Buche zunächst einen schätzbaren Überblick über den Stand der Katakonibenforschung der Gegenwart, Eine außerordentlich reiche Literatur, die er sorgfältig verzeichnet hat, und die in ihren Anfängen bis an das Ende des sechzehnten Jahrhunderts zurückreicht, hat sich um dieses Thema angesammelt. Je näher man der Gegenwart kommt, umso mehr schwillt sie an, England, Frankreich, Italien und Deutschland sind dabei beteiligt. Das ist an sich gewiß erfreulich. Aber wie stark ist doch in dieser Literatur auch der Dilettantismus vertreten! Es wäre im Interesse der Katakombenforschung zu wünschen, daß dieser recht bald abgeschüttelt würde. Eine andre auffallende Thatsache ist, daß durch diese Fülle von großen und kleinen Schriften eine wunderbare Einmütigkeit geht: de Rossis Urteile und Vermutungen nicht minder wie sein Material ziehen sich wie ein roter Faden durch alle hindurch. Wir *) Die Katakomben, Die altchristlichen Grabstätten, Ihre Geschichte und ihre Mo¬ numente. Von Viktor Schultze, Leipzig, Drescher, 1882,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/316>, abgerufen am 23.07.2024.