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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Arach.

Einflusses der Börse auf Politik und Staat im Konstitutionalismus. Man
bezeichnete schon ums Jahr 1840 in Frankreich die Mehrzahl der Deputaten
als "Rothschilds Knappen"! andrerseits bezeichnete man unter Louis Philipp
auch die Bankiers als die eigentlichen Generale des Königs, und ein zeit¬
genössischer Schriftsteller, der dies hervorhebt (Szavnrdy, Politische und un-
politische Studien und Bilder), setzt hinzu, daß Louis Philipp gewußt habe,
"daß die Börse die Seele des Materialismus ist, der die moderne Gesellschaft
belebt; er wußte, was er that, wenn er die legitime Aristokratie zu Gunsten
der Aristokratie des Geldsackes enterbte," ein Bewußtsein, welches wir allerdings
noch bezweifeln möchten.

Ans den Gründen, die wir im Eingang unsrer Erörterung entwickelt haben,
war damals wie hente noch die französische Rente die Grundlage der Agiotage
an der Pariser Börse. Allein wie sehr auch diese Rente wegen ihrer allge¬
meinsten Verbreitung in alle Verzweigungen des nationalen Lebens hinein, die
ja von selten des Staates selbst seit Jahrhunderte" begünstigt und gefördert
worden war, zu einer kontinuirlichem Ausbeutung des kleinen Kapitalbesitzes ge¬
eignet war, so war ihre Wirksamkeit, wenn auch eine sehr sichere, doch auch
eine sehr langsame. Nur unter außergewöhnlichen Umständen ließ sich hier ein
großer Streich vollführen, und solche außerordentliche Umstände kamen doch
nicht täglich vor, wenn sie sich auch immer von Zeit zu Zeit machen ließen;
z. B. im Jahre 1824, wo Rothschild den damaligen Minister Villöle zur Kon-
vcrtirung der fünfprozentigen Rente in dreiprozentige zu veranlassen wußte,
ungefähr so wie in diesen Tagen den ungarischen Finanzminister, Grafen
Szapary.

Die gesamte Schuld Frankreichs betrug im Jahre 1824 3 066 783 666
Franks, womit im wesentlichen der Fonds, der damals der Börse zu ihren
Spekulationen zur Verfügung stand,*) da neben ihnen eigentlich nur noch
spanische und neapolitanische Schuld i" Paris an der Börse zirkulirten, erschöpft
war. Nach dem Projekt Rothschilds, der sich -- angeblich zur Durchführung
desselben -- mit allen großen Finanzhäusern verband, sollten zunächst 1000
Millionen zur Konversion kommen, dergestalt, daß für 76 Franks alte 6prozentige
Rente 100 Franks neue gegeben werden sollten. Die damalige Konversionsidee Roth¬
schilds gleicht der heutigen in Ungarn wie ein El dem andern. Es sollte nicht
wirklich konvertirt werden, nicht so, wie es dem Begriff einer Konversion entspricht,
daß den Inhabern alter Renten der entsprechende Betrag neuer mit einer
Prämie oder ohne eine solche zum Umtausch angeboten werden sollte. Das wäre



5) Schon im Jahre 18S4 war an innern Titeln der Spielfonds der Pariser Börse
von weniger als vier Milliarden ans nahezu vierzehn Milliarden gestiegen. Hiervon be¬
trugen die Verbindlichkeiten des Staates über sechs Milliarden, die der Eisenbahnen gegen
zwei Milliarden; die Titel der großen Kredit- und Versicherungsgesellschaften machten den
Rest aus.
Grenzboten I. 1833, 37
Der zweite Pariser Arach.

Einflusses der Börse auf Politik und Staat im Konstitutionalismus. Man
bezeichnete schon ums Jahr 1840 in Frankreich die Mehrzahl der Deputaten
als „Rothschilds Knappen"! andrerseits bezeichnete man unter Louis Philipp
auch die Bankiers als die eigentlichen Generale des Königs, und ein zeit¬
genössischer Schriftsteller, der dies hervorhebt (Szavnrdy, Politische und un-
politische Studien und Bilder), setzt hinzu, daß Louis Philipp gewußt habe,
„daß die Börse die Seele des Materialismus ist, der die moderne Gesellschaft
belebt; er wußte, was er that, wenn er die legitime Aristokratie zu Gunsten
der Aristokratie des Geldsackes enterbte," ein Bewußtsein, welches wir allerdings
noch bezweifeln möchten.

Ans den Gründen, die wir im Eingang unsrer Erörterung entwickelt haben,
war damals wie hente noch die französische Rente die Grundlage der Agiotage
an der Pariser Börse. Allein wie sehr auch diese Rente wegen ihrer allge¬
meinsten Verbreitung in alle Verzweigungen des nationalen Lebens hinein, die
ja von selten des Staates selbst seit Jahrhunderte» begünstigt und gefördert
worden war, zu einer kontinuirlichem Ausbeutung des kleinen Kapitalbesitzes ge¬
eignet war, so war ihre Wirksamkeit, wenn auch eine sehr sichere, doch auch
eine sehr langsame. Nur unter außergewöhnlichen Umständen ließ sich hier ein
großer Streich vollführen, und solche außerordentliche Umstände kamen doch
nicht täglich vor, wenn sie sich auch immer von Zeit zu Zeit machen ließen;
z. B. im Jahre 1824, wo Rothschild den damaligen Minister Villöle zur Kon-
vcrtirung der fünfprozentigen Rente in dreiprozentige zu veranlassen wußte,
ungefähr so wie in diesen Tagen den ungarischen Finanzminister, Grafen
Szapary.

Die gesamte Schuld Frankreichs betrug im Jahre 1824 3 066 783 666
Franks, womit im wesentlichen der Fonds, der damals der Börse zu ihren
Spekulationen zur Verfügung stand,*) da neben ihnen eigentlich nur noch
spanische und neapolitanische Schuld i» Paris an der Börse zirkulirten, erschöpft
war. Nach dem Projekt Rothschilds, der sich — angeblich zur Durchführung
desselben — mit allen großen Finanzhäusern verband, sollten zunächst 1000
Millionen zur Konversion kommen, dergestalt, daß für 76 Franks alte 6prozentige
Rente 100 Franks neue gegeben werden sollten. Die damalige Konversionsidee Roth¬
schilds gleicht der heutigen in Ungarn wie ein El dem andern. Es sollte nicht
wirklich konvertirt werden, nicht so, wie es dem Begriff einer Konversion entspricht,
daß den Inhabern alter Renten der entsprechende Betrag neuer mit einer
Prämie oder ohne eine solche zum Umtausch angeboten werden sollte. Das wäre



5) Schon im Jahre 18S4 war an innern Titeln der Spielfonds der Pariser Börse
von weniger als vier Milliarden ans nahezu vierzehn Milliarden gestiegen. Hiervon be¬
trugen die Verbindlichkeiten des Staates über sechs Milliarden, die der Eisenbahnen gegen
zwei Milliarden; die Titel der großen Kredit- und Versicherungsgesellschaften machten den
Rest aus.
Grenzboten I. 1833, 37
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[0297] Der zweite Pariser Arach. Einflusses der Börse auf Politik und Staat im Konstitutionalismus. Man bezeichnete schon ums Jahr 1840 in Frankreich die Mehrzahl der Deputaten als „Rothschilds Knappen"! andrerseits bezeichnete man unter Louis Philipp auch die Bankiers als die eigentlichen Generale des Königs, und ein zeit¬ genössischer Schriftsteller, der dies hervorhebt (Szavnrdy, Politische und un- politische Studien und Bilder), setzt hinzu, daß Louis Philipp gewußt habe, „daß die Börse die Seele des Materialismus ist, der die moderne Gesellschaft belebt; er wußte, was er that, wenn er die legitime Aristokratie zu Gunsten der Aristokratie des Geldsackes enterbte," ein Bewußtsein, welches wir allerdings noch bezweifeln möchten. Ans den Gründen, die wir im Eingang unsrer Erörterung entwickelt haben, war damals wie hente noch die französische Rente die Grundlage der Agiotage an der Pariser Börse. Allein wie sehr auch diese Rente wegen ihrer allge¬ meinsten Verbreitung in alle Verzweigungen des nationalen Lebens hinein, die ja von selten des Staates selbst seit Jahrhunderte» begünstigt und gefördert worden war, zu einer kontinuirlichem Ausbeutung des kleinen Kapitalbesitzes ge¬ eignet war, so war ihre Wirksamkeit, wenn auch eine sehr sichere, doch auch eine sehr langsame. Nur unter außergewöhnlichen Umständen ließ sich hier ein großer Streich vollführen, und solche außerordentliche Umstände kamen doch nicht täglich vor, wenn sie sich auch immer von Zeit zu Zeit machen ließen; z. B. im Jahre 1824, wo Rothschild den damaligen Minister Villöle zur Kon- vcrtirung der fünfprozentigen Rente in dreiprozentige zu veranlassen wußte, ungefähr so wie in diesen Tagen den ungarischen Finanzminister, Grafen Szapary. Die gesamte Schuld Frankreichs betrug im Jahre 1824 3 066 783 666 Franks, womit im wesentlichen der Fonds, der damals der Börse zu ihren Spekulationen zur Verfügung stand,*) da neben ihnen eigentlich nur noch spanische und neapolitanische Schuld i» Paris an der Börse zirkulirten, erschöpft war. Nach dem Projekt Rothschilds, der sich — angeblich zur Durchführung desselben — mit allen großen Finanzhäusern verband, sollten zunächst 1000 Millionen zur Konversion kommen, dergestalt, daß für 76 Franks alte 6prozentige Rente 100 Franks neue gegeben werden sollten. Die damalige Konversionsidee Roth¬ schilds gleicht der heutigen in Ungarn wie ein El dem andern. Es sollte nicht wirklich konvertirt werden, nicht so, wie es dem Begriff einer Konversion entspricht, daß den Inhabern alter Renten der entsprechende Betrag neuer mit einer Prämie oder ohne eine solche zum Umtausch angeboten werden sollte. Das wäre 5) Schon im Jahre 18S4 war an innern Titeln der Spielfonds der Pariser Börse von weniger als vier Milliarden ans nahezu vierzehn Milliarden gestiegen. Hiervon be¬ trugen die Verbindlichkeiten des Staates über sechs Milliarden, die der Eisenbahnen gegen zwei Milliarden; die Titel der großen Kredit- und Versicherungsgesellschaften machten den Rest aus. Grenzboten I. 1833, 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/297>, abgerufen am 23.07.2024.