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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die französische Rolonialpolitik und England.

langte neulich zur Deckung der Okkupationskosten von der Kammer 25 Mil¬
lionen Mark, und 20 Millionen wurden bewilligt. Bis jetzt hat der franzö¬
sische Steuerzahler für die Besetzung Tunesieus eine Summe ausbringen müssen,
die dreißig Franken pro Kopf der Bevölkerung des mmektirten Landes gleich¬
kommt. Das wird aber ohne Zweifel noch eine gute Weile so fortgehen, und
wenn Frankreich dort gegenwärtig 33 000 Mann Soldaten zu unterhalten hat,
so werden sich dieselben schwerlich so bald, wie der Kriegsminister neulich in der
Kammer hoffte, auf 20- bis 22 000 Mann vermindern lassen, und auch diese
Zahl erscheint noch groß, wenn man bedenkt, daß die ehemalige Regentschaft
höchstens dritthalb Millionen Einwohner zahlt. Bei der Debatte über den
Gegenstand wurde wieder die alte Klage laut, die tunesische Expedition habe
nur den Vorteil von Finanziers bezweckt. Etwas mag davon wahr sein, aber
im wesentlichen hatten, wie Waddingtons obenerwähnte Erklärung beweist, die
französischen Staatsmänner die Größe Frankreichs und die Verstärkung der
Stellung desselben am Mittelmeere dabei vor Augen. Über die gesamte französische
Kolonialpolitik aber schließen wir uns der Ansicht des VÄI^ lÄc^raM an, welcher
über die verschiednen Akte dieser Politik sagt: "Sie entspringen nicht dem tief¬
gefühlten und dringenden Bedürfnisse eines Volkes, das in seinen Ursitzen zu
zahlreich geworden ist. . . . Wären die Franzosen eine rasch wachsende Nation,
wimmelte ihr Land von Männern und Frauen, die sich mit jedem Jahre er¬
heblich mehrten, so würde ein eifriges Umschauen nach einer auswärtigen Unter¬
kunft für diesen Überschuß der Bevölkerung ganz natürlich sein. Die Statistik
aber lehrt uns, daß die Bevölkerung trotz einer starken Einwanderung von aus¬
wärts, die jährlich an hunderttausend Köpfe beträgt, nur sehr langsam wächst.
Indeß muß Frankreich am besten wissen, welche Politik ihm am dienlichsten ist,
ob eine auf innere Entwicklung oder eine auf Ausdehnung nach anßen hin ge¬
richtete. Das ist sein unbestreitbares Recht. Aber die, welche ihn: wohlwollen,
dürfen wohl bezweifeln, ob es klug ist, fragwürdige Unternehmungen in ent¬
legene" Ländern und fernen Meeren zu beginnen." Und über die Stimmung,
welcher die Forderungen der antienglischen Liga entsprungen sind, sagt das
Blatt in einem andern Artikel, wie uns dünkt, gleichfalls großenteils zutreffend:
"Die einfache Wahrheit scheint zu sein, daß unsre guten Nachbarn jetzt übel
gelaunt sind. Das verdrießliche Bewußtsein, daß sie durch eigne Schuld bei den
ägyptischen Wirren nicht zum besten gefahren sind, und daß Europa ihre Ver¬
suche, eine Verlorne Position wiederzugewinnen, mehr mit Lächeln als mit Teil¬
nahme betrachtet, läßt sie fortwährend die Haltung des Protestirenden annehmen
und querulirend versichern, daß sie sich vor niemand fürchten. Mit der Zeit
wird eine ruhigere Stimmung sich bei ihnen einstellen, und inzwischen können
sie versichert sein, daß die Engländer ihnen eine Ausdehnung ihres Kolonial¬
besitzes von allen Dingen am wenigsten mißgönnen werden. Es ist sonderbar,
daß die Franzosen, wenn sie ihren eifersüchtigen und verdrießlichen Anfall haben,


Die französische Rolonialpolitik und England.

langte neulich zur Deckung der Okkupationskosten von der Kammer 25 Mil¬
lionen Mark, und 20 Millionen wurden bewilligt. Bis jetzt hat der franzö¬
sische Steuerzahler für die Besetzung Tunesieus eine Summe ausbringen müssen,
die dreißig Franken pro Kopf der Bevölkerung des mmektirten Landes gleich¬
kommt. Das wird aber ohne Zweifel noch eine gute Weile so fortgehen, und
wenn Frankreich dort gegenwärtig 33 000 Mann Soldaten zu unterhalten hat,
so werden sich dieselben schwerlich so bald, wie der Kriegsminister neulich in der
Kammer hoffte, auf 20- bis 22 000 Mann vermindern lassen, und auch diese
Zahl erscheint noch groß, wenn man bedenkt, daß die ehemalige Regentschaft
höchstens dritthalb Millionen Einwohner zahlt. Bei der Debatte über den
Gegenstand wurde wieder die alte Klage laut, die tunesische Expedition habe
nur den Vorteil von Finanziers bezweckt. Etwas mag davon wahr sein, aber
im wesentlichen hatten, wie Waddingtons obenerwähnte Erklärung beweist, die
französischen Staatsmänner die Größe Frankreichs und die Verstärkung der
Stellung desselben am Mittelmeere dabei vor Augen. Über die gesamte französische
Kolonialpolitik aber schließen wir uns der Ansicht des VÄI^ lÄc^raM an, welcher
über die verschiednen Akte dieser Politik sagt: „Sie entspringen nicht dem tief¬
gefühlten und dringenden Bedürfnisse eines Volkes, das in seinen Ursitzen zu
zahlreich geworden ist. . . . Wären die Franzosen eine rasch wachsende Nation,
wimmelte ihr Land von Männern und Frauen, die sich mit jedem Jahre er¬
heblich mehrten, so würde ein eifriges Umschauen nach einer auswärtigen Unter¬
kunft für diesen Überschuß der Bevölkerung ganz natürlich sein. Die Statistik
aber lehrt uns, daß die Bevölkerung trotz einer starken Einwanderung von aus¬
wärts, die jährlich an hunderttausend Köpfe beträgt, nur sehr langsam wächst.
Indeß muß Frankreich am besten wissen, welche Politik ihm am dienlichsten ist,
ob eine auf innere Entwicklung oder eine auf Ausdehnung nach anßen hin ge¬
richtete. Das ist sein unbestreitbares Recht. Aber die, welche ihn: wohlwollen,
dürfen wohl bezweifeln, ob es klug ist, fragwürdige Unternehmungen in ent¬
legene» Ländern und fernen Meeren zu beginnen." Und über die Stimmung,
welcher die Forderungen der antienglischen Liga entsprungen sind, sagt das
Blatt in einem andern Artikel, wie uns dünkt, gleichfalls großenteils zutreffend:
„Die einfache Wahrheit scheint zu sein, daß unsre guten Nachbarn jetzt übel
gelaunt sind. Das verdrießliche Bewußtsein, daß sie durch eigne Schuld bei den
ägyptischen Wirren nicht zum besten gefahren sind, und daß Europa ihre Ver¬
suche, eine Verlorne Position wiederzugewinnen, mehr mit Lächeln als mit Teil¬
nahme betrachtet, läßt sie fortwährend die Haltung des Protestirenden annehmen
und querulirend versichern, daß sie sich vor niemand fürchten. Mit der Zeit
wird eine ruhigere Stimmung sich bei ihnen einstellen, und inzwischen können
sie versichert sein, daß die Engländer ihnen eine Ausdehnung ihres Kolonial¬
besitzes von allen Dingen am wenigsten mißgönnen werden. Es ist sonderbar,
daß die Franzosen, wenn sie ihren eifersüchtigen und verdrießlichen Anfall haben,


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[0295] Die französische Rolonialpolitik und England. langte neulich zur Deckung der Okkupationskosten von der Kammer 25 Mil¬ lionen Mark, und 20 Millionen wurden bewilligt. Bis jetzt hat der franzö¬ sische Steuerzahler für die Besetzung Tunesieus eine Summe ausbringen müssen, die dreißig Franken pro Kopf der Bevölkerung des mmektirten Landes gleich¬ kommt. Das wird aber ohne Zweifel noch eine gute Weile so fortgehen, und wenn Frankreich dort gegenwärtig 33 000 Mann Soldaten zu unterhalten hat, so werden sich dieselben schwerlich so bald, wie der Kriegsminister neulich in der Kammer hoffte, auf 20- bis 22 000 Mann vermindern lassen, und auch diese Zahl erscheint noch groß, wenn man bedenkt, daß die ehemalige Regentschaft höchstens dritthalb Millionen Einwohner zahlt. Bei der Debatte über den Gegenstand wurde wieder die alte Klage laut, die tunesische Expedition habe nur den Vorteil von Finanziers bezweckt. Etwas mag davon wahr sein, aber im wesentlichen hatten, wie Waddingtons obenerwähnte Erklärung beweist, die französischen Staatsmänner die Größe Frankreichs und die Verstärkung der Stellung desselben am Mittelmeere dabei vor Augen. Über die gesamte französische Kolonialpolitik aber schließen wir uns der Ansicht des VÄI^ lÄc^raM an, welcher über die verschiednen Akte dieser Politik sagt: „Sie entspringen nicht dem tief¬ gefühlten und dringenden Bedürfnisse eines Volkes, das in seinen Ursitzen zu zahlreich geworden ist. . . . Wären die Franzosen eine rasch wachsende Nation, wimmelte ihr Land von Männern und Frauen, die sich mit jedem Jahre er¬ heblich mehrten, so würde ein eifriges Umschauen nach einer auswärtigen Unter¬ kunft für diesen Überschuß der Bevölkerung ganz natürlich sein. Die Statistik aber lehrt uns, daß die Bevölkerung trotz einer starken Einwanderung von aus¬ wärts, die jährlich an hunderttausend Köpfe beträgt, nur sehr langsam wächst. Indeß muß Frankreich am besten wissen, welche Politik ihm am dienlichsten ist, ob eine auf innere Entwicklung oder eine auf Ausdehnung nach anßen hin ge¬ richtete. Das ist sein unbestreitbares Recht. Aber die, welche ihn: wohlwollen, dürfen wohl bezweifeln, ob es klug ist, fragwürdige Unternehmungen in ent¬ legene» Ländern und fernen Meeren zu beginnen." Und über die Stimmung, welcher die Forderungen der antienglischen Liga entsprungen sind, sagt das Blatt in einem andern Artikel, wie uns dünkt, gleichfalls großenteils zutreffend: „Die einfache Wahrheit scheint zu sein, daß unsre guten Nachbarn jetzt übel gelaunt sind. Das verdrießliche Bewußtsein, daß sie durch eigne Schuld bei den ägyptischen Wirren nicht zum besten gefahren sind, und daß Europa ihre Ver¬ suche, eine Verlorne Position wiederzugewinnen, mehr mit Lächeln als mit Teil¬ nahme betrachtet, läßt sie fortwährend die Haltung des Protestirenden annehmen und querulirend versichern, daß sie sich vor niemand fürchten. Mit der Zeit wird eine ruhigere Stimmung sich bei ihnen einstellen, und inzwischen können sie versichert sein, daß die Engländer ihnen eine Ausdehnung ihres Kolonial¬ besitzes von allen Dingen am wenigsten mißgönnen werden. Es ist sonderbar, daß die Franzosen, wenn sie ihren eifersüchtigen und verdrießlichen Anfall haben,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/295>, abgerufen am 23.07.2024.