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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die französische ttolonialpolitik und England.

Marineinfanterie. Rivivre hat ungefähr halb soviel Truppen unter sich, und
so wird die gesamte Streitmacht der Franzosen in Tonkin, wenn Kapitän
Rvnvier, der Führer der Verstärkung, in Hanoi eintrifft, etwa 1100 Mann
betragen. Damit kann man keine großen Eroberungen nach der Gebirgskette
hin machen, welche sich zwischen der Gegend von Hanoi und der chinesischen
Provinz Juunan erhebt, dagegen genügt diese Truppenzahl wahrscheinlich für
die Franzosen, wenn sie sich im Osten des Gebirges behaupten wollen, und
ohne Zweifel wird ein kleines Danipfergeschwader hinreichen, die "Piraten von
der schwarzen Flagge," welche jetzt den Kapitän Riviere ccrniren, zu ver¬
scheuchen oder zu vernichten. Nach neueren Nachrichten aber.wäre die Ver¬
stärkung unter Rouvier nur der Vortrab einer größern Truppenmacht, welche
die Bestimmung hätte, ganz Tonkin zu erobern. Wäre das begründet und
gelänge die Absicht, so würden die Franzosen gewiß das Land nicht wieder
räumen, das ihnen den Weg nach den reichsten Provinzen Chinas erschlösse.
Es würde sich dann nur fragen, ob letzteres, welches die Oberhoheit über den
König Tuduk beansprucht, einer Eroberung des Landes durch die Franzosen
geduldig zusehen würde. Der Pariser Gesandte des Kaisers von China soll sich
dahin geäußert habe", daß die Regierung des Reiches der Mitte zwar vorläufig
nichts gegen die französische Expedition nach Tonkin einzuwenden habe, daß sie
aber das Protektorat über das Land mit Frankreich zu teilen wünsche, und
daß es am besten sein werde, jenem eine neutrale Stellung zu geben, wie sie
Belgien besitze. Da Frankreich dazu vermutlich nicht bereit sein wird, so wäre
es nicht unmöglich, daß sich über Tonkin ein Streit zwischen Peking und Paris
entspänne. Auch in England dürfte der Feldzugsplan der Franzosen nicht mit
günstigen Augen betrachtet werden; denn schon vor nenn Jahren wies Lord
Beacousfield, damals noch Herr Disraeli, darauf hin, daß eine französische
Besetzung Tonkins die Malakkastraße, den Haupthandelsweg der Engländer "ach
China, in bedenklicher Weise bedrohen werde, und noch mehr Sorge verursacht
den britischen Kaufleuten die Aussicht auf einen Krieg zwischen China und
Frankreich, denn ein solcher würde den englisch-chinesischen Handel um sehr
bedeutende Summen verkürze".

Wie die nach Tonkin bestimmte Armada vorläufig zu ziemlich kleinen
Dimensionen zusammengeschrumpft ist, so auch die Expedition nach dem Kongo,
die ursprünglich ebenfalls in großem Stil nntcrnvnune" werden sollte. Die
Kammer hat für die Unterstützung Brazzas und zur Ausführung seines Traktats
mit dem Negerkönige Makoto die Summe von 1 020 000 Mark bewilligt, und
das Unternehmen ist aus einem militärischen Feldzuge zu einem wissenschaft¬
lichen geworden und wird von den Departements der Marine und des Aus¬
wärtigen geleitet. Herr de Brazza wird mit wenigen Begleitern in das
Kongothal eindringen und diese interessante Gegend mit der Niederlassung der
Franzosen am Gabun zu verbinden suchen. Wieviel zu erreichen er imstande


Die französische ttolonialpolitik und England.

Marineinfanterie. Rivivre hat ungefähr halb soviel Truppen unter sich, und
so wird die gesamte Streitmacht der Franzosen in Tonkin, wenn Kapitän
Rvnvier, der Führer der Verstärkung, in Hanoi eintrifft, etwa 1100 Mann
betragen. Damit kann man keine großen Eroberungen nach der Gebirgskette
hin machen, welche sich zwischen der Gegend von Hanoi und der chinesischen
Provinz Juunan erhebt, dagegen genügt diese Truppenzahl wahrscheinlich für
die Franzosen, wenn sie sich im Osten des Gebirges behaupten wollen, und
ohne Zweifel wird ein kleines Danipfergeschwader hinreichen, die „Piraten von
der schwarzen Flagge," welche jetzt den Kapitän Riviere ccrniren, zu ver¬
scheuchen oder zu vernichten. Nach neueren Nachrichten aber.wäre die Ver¬
stärkung unter Rouvier nur der Vortrab einer größern Truppenmacht, welche
die Bestimmung hätte, ganz Tonkin zu erobern. Wäre das begründet und
gelänge die Absicht, so würden die Franzosen gewiß das Land nicht wieder
räumen, das ihnen den Weg nach den reichsten Provinzen Chinas erschlösse.
Es würde sich dann nur fragen, ob letzteres, welches die Oberhoheit über den
König Tuduk beansprucht, einer Eroberung des Landes durch die Franzosen
geduldig zusehen würde. Der Pariser Gesandte des Kaisers von China soll sich
dahin geäußert habe», daß die Regierung des Reiches der Mitte zwar vorläufig
nichts gegen die französische Expedition nach Tonkin einzuwenden habe, daß sie
aber das Protektorat über das Land mit Frankreich zu teilen wünsche, und
daß es am besten sein werde, jenem eine neutrale Stellung zu geben, wie sie
Belgien besitze. Da Frankreich dazu vermutlich nicht bereit sein wird, so wäre
es nicht unmöglich, daß sich über Tonkin ein Streit zwischen Peking und Paris
entspänne. Auch in England dürfte der Feldzugsplan der Franzosen nicht mit
günstigen Augen betrachtet werden; denn schon vor nenn Jahren wies Lord
Beacousfield, damals noch Herr Disraeli, darauf hin, daß eine französische
Besetzung Tonkins die Malakkastraße, den Haupthandelsweg der Engländer »ach
China, in bedenklicher Weise bedrohen werde, und noch mehr Sorge verursacht
den britischen Kaufleuten die Aussicht auf einen Krieg zwischen China und
Frankreich, denn ein solcher würde den englisch-chinesischen Handel um sehr
bedeutende Summen verkürze».

Wie die nach Tonkin bestimmte Armada vorläufig zu ziemlich kleinen
Dimensionen zusammengeschrumpft ist, so auch die Expedition nach dem Kongo,
die ursprünglich ebenfalls in großem Stil nntcrnvnune» werden sollte. Die
Kammer hat für die Unterstützung Brazzas und zur Ausführung seines Traktats
mit dem Negerkönige Makoto die Summe von 1 020 000 Mark bewilligt, und
das Unternehmen ist aus einem militärischen Feldzuge zu einem wissenschaft¬
lichen geworden und wird von den Departements der Marine und des Aus¬
wärtigen geleitet. Herr de Brazza wird mit wenigen Begleitern in das
Kongothal eindringen und diese interessante Gegend mit der Niederlassung der
Franzosen am Gabun zu verbinden suchen. Wieviel zu erreichen er imstande


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[0293] Die französische ttolonialpolitik und England. Marineinfanterie. Rivivre hat ungefähr halb soviel Truppen unter sich, und so wird die gesamte Streitmacht der Franzosen in Tonkin, wenn Kapitän Rvnvier, der Führer der Verstärkung, in Hanoi eintrifft, etwa 1100 Mann betragen. Damit kann man keine großen Eroberungen nach der Gebirgskette hin machen, welche sich zwischen der Gegend von Hanoi und der chinesischen Provinz Juunan erhebt, dagegen genügt diese Truppenzahl wahrscheinlich für die Franzosen, wenn sie sich im Osten des Gebirges behaupten wollen, und ohne Zweifel wird ein kleines Danipfergeschwader hinreichen, die „Piraten von der schwarzen Flagge," welche jetzt den Kapitän Riviere ccrniren, zu ver¬ scheuchen oder zu vernichten. Nach neueren Nachrichten aber.wäre die Ver¬ stärkung unter Rouvier nur der Vortrab einer größern Truppenmacht, welche die Bestimmung hätte, ganz Tonkin zu erobern. Wäre das begründet und gelänge die Absicht, so würden die Franzosen gewiß das Land nicht wieder räumen, das ihnen den Weg nach den reichsten Provinzen Chinas erschlösse. Es würde sich dann nur fragen, ob letzteres, welches die Oberhoheit über den König Tuduk beansprucht, einer Eroberung des Landes durch die Franzosen geduldig zusehen würde. Der Pariser Gesandte des Kaisers von China soll sich dahin geäußert habe», daß die Regierung des Reiches der Mitte zwar vorläufig nichts gegen die französische Expedition nach Tonkin einzuwenden habe, daß sie aber das Protektorat über das Land mit Frankreich zu teilen wünsche, und daß es am besten sein werde, jenem eine neutrale Stellung zu geben, wie sie Belgien besitze. Da Frankreich dazu vermutlich nicht bereit sein wird, so wäre es nicht unmöglich, daß sich über Tonkin ein Streit zwischen Peking und Paris entspänne. Auch in England dürfte der Feldzugsplan der Franzosen nicht mit günstigen Augen betrachtet werden; denn schon vor nenn Jahren wies Lord Beacousfield, damals noch Herr Disraeli, darauf hin, daß eine französische Besetzung Tonkins die Malakkastraße, den Haupthandelsweg der Engländer »ach China, in bedenklicher Weise bedrohen werde, und noch mehr Sorge verursacht den britischen Kaufleuten die Aussicht auf einen Krieg zwischen China und Frankreich, denn ein solcher würde den englisch-chinesischen Handel um sehr bedeutende Summen verkürze». Wie die nach Tonkin bestimmte Armada vorläufig zu ziemlich kleinen Dimensionen zusammengeschrumpft ist, so auch die Expedition nach dem Kongo, die ursprünglich ebenfalls in großem Stil nntcrnvnune» werden sollte. Die Kammer hat für die Unterstützung Brazzas und zur Ausführung seines Traktats mit dem Negerkönige Makoto die Summe von 1 020 000 Mark bewilligt, und das Unternehmen ist aus einem militärischen Feldzuge zu einem wissenschaft¬ lichen geworden und wird von den Departements der Marine und des Aus¬ wärtigen geleitet. Herr de Brazza wird mit wenigen Begleitern in das Kongothal eindringen und diese interessante Gegend mit der Niederlassung der Franzosen am Gabun zu verbinden suchen. Wieviel zu erreichen er imstande

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/293>, abgerufen am 23.07.2024.