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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Harmonie der Farben und der Töne,

Wenn aber derartige grobmaterielle Versuche einer Parallelisirung von
Farben und Tönen entschieden zurückzuweisen sind, weil sie auf einer völligen
Verkennung der verschiednen Natur der betreffenden Erscheinungs- und An-
schmiungsformen beruhen, so schließt dies nicht aus, daß in mancher Hinsicht
eine Art Ähnlichkeit zwischen den optischen und akustischen Gesetzen obwaltet,
eine Ähnlichkeit, die einfach darin ihren Erklärungsgrund hat, daß diese Gesetze
sich auf die beiden höchsten Sinne beziehen, welche -- im Unterschiede von der
chemischen Natur des Geruches und Geschmackes und der mechanischen des Tast¬
sinnes -- allein ästhetischer Empfindungen im spezifischen Sinne des Wortes
fähig sind. Aber wir werden sehen, daß gerade die nähere Bestimmung dieser
Ähnlichkeiten den Beweis liefert, daß daneben eine so große prinzipielle Ver¬
schiedenheit zwischen ihnen herrscht, daß von einer Parallelisirung ihrer Er¬
scheinungen keine Rede sein kann.

Äußerlich lassen sich alle Ähnlichkeiten zwischen den beiden Wahrnehmungs¬
sphären des Auges und Ohres darauf zurückführen, daß die Erscheinungs- oder
richtiger Anschauungsformen sowohl der Farben wie der Töne auf Schwin¬
gungen, einerseits der Seh-, andrerseits der Gehörnerven, oder -- wenn man
mit den Physikern diese subjektiven Anschauungsformen nach außen projizirt,
d. h. auf ihre unbekannte objektive Ursache beziehen will -- auf sogenannten
Äther-, beziehentlich Luftschwingungen beruhen. Aber selbst diese scheinbare
Gleichheit der Bewegungsformen enthält nicht bloß wesentliche Unterschiede, sondern
verwandelt sich bei näherer Betrachtung zum Teil sogar in einen Widerspruch,
Denn abgesehen davon, daß der Unterschied in der Geschwindigkeit, mit welcher
sich Licht und Schall bewegen, ein so kolossaler ist, daß kaum noch von einer
formalen Ähnlichkeit zwischen ihnen gesprochen werden kann -- beispielsweise
würde der Schall zur Zurücklegung des Weges, welchen das Licht in einer
Sekunde durchmißt (nämlich 42 000 Meilen), fast vier Monate brauchen, da
er in der Sekunde nur etwa 1050 Fuß zurücklegt --, und daß ohnehin der
Schall, bei günstiger Leitung, mir auf eine sehr kurze Eutfernung -- Kanonen¬
donner z, B, nur auf wenige Meilen -- sich fortpflanzt, während das Licht
noch von den viele Millionen Meilen entfernten Fixsternen unser Auge trifft,
so ist besonders der Umstand von Wichtigkeit, daß die Medien für das Licht
in ganz entgegengesetzter Weise als die Medien für den Schall wirken, indem
der letztere durch ein dichteres Medium, z, B. die Erde, besser geleitet wird als
dnrch ein dünneres, z, B. die Luft, während beim Licht gerade das Gegenteil
stattfindet. Ferner Kanonendonner oder Pferdegetrappel wird noch deutlich
gehört, wenn man das Ohr ans die Erde legt, während die Luft den Schall
nicht mehr vermittelt, und unter der Luftpumpe giebt eine Glocke überhaupt
keinen Ton mehr von sich. Ferner, wenn man, auf Grund einer vorgeblichen
Analogie zwischen Farben und Tönen, etwa die dunklern (tiefern) Farben mit
den tiefern Tönen in Parallele stellen wollte, so würde sich auch in dieser Be-


Die Harmonie der Farben und der Töne,

Wenn aber derartige grobmaterielle Versuche einer Parallelisirung von
Farben und Tönen entschieden zurückzuweisen sind, weil sie auf einer völligen
Verkennung der verschiednen Natur der betreffenden Erscheinungs- und An-
schmiungsformen beruhen, so schließt dies nicht aus, daß in mancher Hinsicht
eine Art Ähnlichkeit zwischen den optischen und akustischen Gesetzen obwaltet,
eine Ähnlichkeit, die einfach darin ihren Erklärungsgrund hat, daß diese Gesetze
sich auf die beiden höchsten Sinne beziehen, welche — im Unterschiede von der
chemischen Natur des Geruches und Geschmackes und der mechanischen des Tast¬
sinnes — allein ästhetischer Empfindungen im spezifischen Sinne des Wortes
fähig sind. Aber wir werden sehen, daß gerade die nähere Bestimmung dieser
Ähnlichkeiten den Beweis liefert, daß daneben eine so große prinzipielle Ver¬
schiedenheit zwischen ihnen herrscht, daß von einer Parallelisirung ihrer Er¬
scheinungen keine Rede sein kann.

Äußerlich lassen sich alle Ähnlichkeiten zwischen den beiden Wahrnehmungs¬
sphären des Auges und Ohres darauf zurückführen, daß die Erscheinungs- oder
richtiger Anschauungsformen sowohl der Farben wie der Töne auf Schwin¬
gungen, einerseits der Seh-, andrerseits der Gehörnerven, oder — wenn man
mit den Physikern diese subjektiven Anschauungsformen nach außen projizirt,
d. h. auf ihre unbekannte objektive Ursache beziehen will — auf sogenannten
Äther-, beziehentlich Luftschwingungen beruhen. Aber selbst diese scheinbare
Gleichheit der Bewegungsformen enthält nicht bloß wesentliche Unterschiede, sondern
verwandelt sich bei näherer Betrachtung zum Teil sogar in einen Widerspruch,
Denn abgesehen davon, daß der Unterschied in der Geschwindigkeit, mit welcher
sich Licht und Schall bewegen, ein so kolossaler ist, daß kaum noch von einer
formalen Ähnlichkeit zwischen ihnen gesprochen werden kann — beispielsweise
würde der Schall zur Zurücklegung des Weges, welchen das Licht in einer
Sekunde durchmißt (nämlich 42 000 Meilen), fast vier Monate brauchen, da
er in der Sekunde nur etwa 1050 Fuß zurücklegt —, und daß ohnehin der
Schall, bei günstiger Leitung, mir auf eine sehr kurze Eutfernung — Kanonen¬
donner z, B, nur auf wenige Meilen — sich fortpflanzt, während das Licht
noch von den viele Millionen Meilen entfernten Fixsternen unser Auge trifft,
so ist besonders der Umstand von Wichtigkeit, daß die Medien für das Licht
in ganz entgegengesetzter Weise als die Medien für den Schall wirken, indem
der letztere durch ein dichteres Medium, z, B. die Erde, besser geleitet wird als
dnrch ein dünneres, z, B. die Luft, während beim Licht gerade das Gegenteil
stattfindet. Ferner Kanonendonner oder Pferdegetrappel wird noch deutlich
gehört, wenn man das Ohr ans die Erde legt, während die Luft den Schall
nicht mehr vermittelt, und unter der Luftpumpe giebt eine Glocke überhaupt
keinen Ton mehr von sich. Ferner, wenn man, auf Grund einer vorgeblichen
Analogie zwischen Farben und Tönen, etwa die dunklern (tiefern) Farben mit
den tiefern Tönen in Parallele stellen wollte, so würde sich auch in dieser Be-


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[0267] Die Harmonie der Farben und der Töne, Wenn aber derartige grobmaterielle Versuche einer Parallelisirung von Farben und Tönen entschieden zurückzuweisen sind, weil sie auf einer völligen Verkennung der verschiednen Natur der betreffenden Erscheinungs- und An- schmiungsformen beruhen, so schließt dies nicht aus, daß in mancher Hinsicht eine Art Ähnlichkeit zwischen den optischen und akustischen Gesetzen obwaltet, eine Ähnlichkeit, die einfach darin ihren Erklärungsgrund hat, daß diese Gesetze sich auf die beiden höchsten Sinne beziehen, welche — im Unterschiede von der chemischen Natur des Geruches und Geschmackes und der mechanischen des Tast¬ sinnes — allein ästhetischer Empfindungen im spezifischen Sinne des Wortes fähig sind. Aber wir werden sehen, daß gerade die nähere Bestimmung dieser Ähnlichkeiten den Beweis liefert, daß daneben eine so große prinzipielle Ver¬ schiedenheit zwischen ihnen herrscht, daß von einer Parallelisirung ihrer Er¬ scheinungen keine Rede sein kann. Äußerlich lassen sich alle Ähnlichkeiten zwischen den beiden Wahrnehmungs¬ sphären des Auges und Ohres darauf zurückführen, daß die Erscheinungs- oder richtiger Anschauungsformen sowohl der Farben wie der Töne auf Schwin¬ gungen, einerseits der Seh-, andrerseits der Gehörnerven, oder — wenn man mit den Physikern diese subjektiven Anschauungsformen nach außen projizirt, d. h. auf ihre unbekannte objektive Ursache beziehen will — auf sogenannten Äther-, beziehentlich Luftschwingungen beruhen. Aber selbst diese scheinbare Gleichheit der Bewegungsformen enthält nicht bloß wesentliche Unterschiede, sondern verwandelt sich bei näherer Betrachtung zum Teil sogar in einen Widerspruch, Denn abgesehen davon, daß der Unterschied in der Geschwindigkeit, mit welcher sich Licht und Schall bewegen, ein so kolossaler ist, daß kaum noch von einer formalen Ähnlichkeit zwischen ihnen gesprochen werden kann — beispielsweise würde der Schall zur Zurücklegung des Weges, welchen das Licht in einer Sekunde durchmißt (nämlich 42 000 Meilen), fast vier Monate brauchen, da er in der Sekunde nur etwa 1050 Fuß zurücklegt —, und daß ohnehin der Schall, bei günstiger Leitung, mir auf eine sehr kurze Eutfernung — Kanonen¬ donner z, B, nur auf wenige Meilen — sich fortpflanzt, während das Licht noch von den viele Millionen Meilen entfernten Fixsternen unser Auge trifft, so ist besonders der Umstand von Wichtigkeit, daß die Medien für das Licht in ganz entgegengesetzter Weise als die Medien für den Schall wirken, indem der letztere durch ein dichteres Medium, z, B. die Erde, besser geleitet wird als dnrch ein dünneres, z, B. die Luft, während beim Licht gerade das Gegenteil stattfindet. Ferner Kanonendonner oder Pferdegetrappel wird noch deutlich gehört, wenn man das Ohr ans die Erde legt, während die Luft den Schall nicht mehr vermittelt, und unter der Luftpumpe giebt eine Glocke überhaupt keinen Ton mehr von sich. Ferner, wenn man, auf Grund einer vorgeblichen Analogie zwischen Farben und Tönen, etwa die dunklern (tiefern) Farben mit den tiefern Tönen in Parallele stellen wollte, so würde sich auch in dieser Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/267>, abgerufen am 23.07.2024.