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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschkes Deutsche Geschichte.

anschaulicher Lebensbilder, die sprechende Natürlichkeit der Charakterschilderungen,
das hinreißende Pathos bei der Entwicklung der großen, allgemeinen, idealen
Gesichtspunkte? Das mag dem einen wertvoller erscheinen als dem andern,
aber man muß es doch stehen lassen, und wir sollten uns freuen, daß in der
Reihe unsrer zahlreichen lebenden deutscher Historiker -- nach Antlitz und Artung
trotz aller Schuleinheit doch eine recht bunte Reihe -- dieser Mann steht als
eine bedeutende und eigenartige Erscheinung, welche die Liebe der Jugend besitzt
und die Achtung des Alters verdient, und sollten uns damit zufrieden geben,
daß nicht allen Bäumen eine Rinde wächst.

Baumgarten hat in seinem letzten Artikel wiederholt seine Anerkennung für
diejenigen Teile des Treitschkcschen Buches ausgesprochen, welche sich speziell ans
die innere Geschichte des preußischen Staates in deu Jahren 1816 bis 1819
beziehen. Dieser Akt der Gerechtigkeit konnte nicht umgangen werden gegenüber
deu unzweifelhaft grundlegenden Verdiensten dieser Abschnitte, die einen sehr
großen Teil des Bandes füllen und auf Grund eindringlichster Aktenstudien zum
erstenmale den hochwichtigen Prozeß der preußischen Neugründung in jenen
Jahren, die Schwierigkeiten und ersten Erfolge der neuen Verwaltungsordnung,
den Beginn der Kämpfe um die Verfassungsfrage, die Heeresvrganisativn und
vor allem die Begründung der neuen preußischen Zollpolitik in gründlichster und '
aufklärendster Weise behandeln. Auch den wichtigen Abschnitten über die An¬
fänge des dentschen Bundestags und über die Beziehungen Preußens zu dem¬
selben wird das Lob belehrender Aufklärung nicht vorenthalten. Gegenüber
dieser nicht zu versagenden Anerkennung fällt die Gewaltsamkeit und Unbilligkeit
des Gesamturteils und die ketzerrichterische Harte des ganzen kritischen Auftretens
um so mehr ins Gewicht.

Ich fasse meinen Eindruck zusammen: Diesem Manne und diesem Buche ist
öffentlich Unbill geschehen, und da kein andrer es that, habe ich mich veranlaßt
gesehen, dies hier auszusprechen und zu begründen.

Bücher dieser Art bestehen, und Rezensionen werden vergessen. Die Kundigen
entnehmen ans diesen, was wert ist, behalten zu werden; die Nation wird sich
an das Ganze halten und ihr Verhältnis zu demselben feststellen. Der Spruch
erfolgt vielleicht nicht in vierzehn Tagen; aber das Urteil der Nation wird darüber
entscheiden, ob Treitschkes "Deutsche Geschichte" eine unwissenschaftliche, politisch '
schädliche Parteischrift ist oder eine Zierde unsrer historischen Literatur.


B. Lrdmcninsdörffer.


Treitschkes Deutsche Geschichte.

anschaulicher Lebensbilder, die sprechende Natürlichkeit der Charakterschilderungen,
das hinreißende Pathos bei der Entwicklung der großen, allgemeinen, idealen
Gesichtspunkte? Das mag dem einen wertvoller erscheinen als dem andern,
aber man muß es doch stehen lassen, und wir sollten uns freuen, daß in der
Reihe unsrer zahlreichen lebenden deutscher Historiker — nach Antlitz und Artung
trotz aller Schuleinheit doch eine recht bunte Reihe — dieser Mann steht als
eine bedeutende und eigenartige Erscheinung, welche die Liebe der Jugend besitzt
und die Achtung des Alters verdient, und sollten uns damit zufrieden geben,
daß nicht allen Bäumen eine Rinde wächst.

Baumgarten hat in seinem letzten Artikel wiederholt seine Anerkennung für
diejenigen Teile des Treitschkcschen Buches ausgesprochen, welche sich speziell ans
die innere Geschichte des preußischen Staates in deu Jahren 1816 bis 1819
beziehen. Dieser Akt der Gerechtigkeit konnte nicht umgangen werden gegenüber
deu unzweifelhaft grundlegenden Verdiensten dieser Abschnitte, die einen sehr
großen Teil des Bandes füllen und auf Grund eindringlichster Aktenstudien zum
erstenmale den hochwichtigen Prozeß der preußischen Neugründung in jenen
Jahren, die Schwierigkeiten und ersten Erfolge der neuen Verwaltungsordnung,
den Beginn der Kämpfe um die Verfassungsfrage, die Heeresvrganisativn und
vor allem die Begründung der neuen preußischen Zollpolitik in gründlichster und '
aufklärendster Weise behandeln. Auch den wichtigen Abschnitten über die An¬
fänge des dentschen Bundestags und über die Beziehungen Preußens zu dem¬
selben wird das Lob belehrender Aufklärung nicht vorenthalten. Gegenüber
dieser nicht zu versagenden Anerkennung fällt die Gewaltsamkeit und Unbilligkeit
des Gesamturteils und die ketzerrichterische Harte des ganzen kritischen Auftretens
um so mehr ins Gewicht.

Ich fasse meinen Eindruck zusammen: Diesem Manne und diesem Buche ist
öffentlich Unbill geschehen, und da kein andrer es that, habe ich mich veranlaßt
gesehen, dies hier auszusprechen und zu begründen.

Bücher dieser Art bestehen, und Rezensionen werden vergessen. Die Kundigen
entnehmen ans diesen, was wert ist, behalten zu werden; die Nation wird sich
an das Ganze halten und ihr Verhältnis zu demselben feststellen. Der Spruch
erfolgt vielleicht nicht in vierzehn Tagen; aber das Urteil der Nation wird darüber
entscheiden, ob Treitschkes „Deutsche Geschichte" eine unwissenschaftliche, politisch '
schädliche Parteischrift ist oder eine Zierde unsrer historischen Literatur.


B. Lrdmcninsdörffer.


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[0258] Treitschkes Deutsche Geschichte. anschaulicher Lebensbilder, die sprechende Natürlichkeit der Charakterschilderungen, das hinreißende Pathos bei der Entwicklung der großen, allgemeinen, idealen Gesichtspunkte? Das mag dem einen wertvoller erscheinen als dem andern, aber man muß es doch stehen lassen, und wir sollten uns freuen, daß in der Reihe unsrer zahlreichen lebenden deutscher Historiker — nach Antlitz und Artung trotz aller Schuleinheit doch eine recht bunte Reihe — dieser Mann steht als eine bedeutende und eigenartige Erscheinung, welche die Liebe der Jugend besitzt und die Achtung des Alters verdient, und sollten uns damit zufrieden geben, daß nicht allen Bäumen eine Rinde wächst. Baumgarten hat in seinem letzten Artikel wiederholt seine Anerkennung für diejenigen Teile des Treitschkcschen Buches ausgesprochen, welche sich speziell ans die innere Geschichte des preußischen Staates in deu Jahren 1816 bis 1819 beziehen. Dieser Akt der Gerechtigkeit konnte nicht umgangen werden gegenüber deu unzweifelhaft grundlegenden Verdiensten dieser Abschnitte, die einen sehr großen Teil des Bandes füllen und auf Grund eindringlichster Aktenstudien zum erstenmale den hochwichtigen Prozeß der preußischen Neugründung in jenen Jahren, die Schwierigkeiten und ersten Erfolge der neuen Verwaltungsordnung, den Beginn der Kämpfe um die Verfassungsfrage, die Heeresvrganisativn und vor allem die Begründung der neuen preußischen Zollpolitik in gründlichster und ' aufklärendster Weise behandeln. Auch den wichtigen Abschnitten über die An¬ fänge des dentschen Bundestags und über die Beziehungen Preußens zu dem¬ selben wird das Lob belehrender Aufklärung nicht vorenthalten. Gegenüber dieser nicht zu versagenden Anerkennung fällt die Gewaltsamkeit und Unbilligkeit des Gesamturteils und die ketzerrichterische Harte des ganzen kritischen Auftretens um so mehr ins Gewicht. Ich fasse meinen Eindruck zusammen: Diesem Manne und diesem Buche ist öffentlich Unbill geschehen, und da kein andrer es that, habe ich mich veranlaßt gesehen, dies hier auszusprechen und zu begründen. Bücher dieser Art bestehen, und Rezensionen werden vergessen. Die Kundigen entnehmen ans diesen, was wert ist, behalten zu werden; die Nation wird sich an das Ganze halten und ihr Verhältnis zu demselben feststellen. Der Spruch erfolgt vielleicht nicht in vierzehn Tagen; aber das Urteil der Nation wird darüber entscheiden, ob Treitschkes „Deutsche Geschichte" eine unwissenschaftliche, politisch ' schädliche Parteischrift ist oder eine Zierde unsrer historischen Literatur. B. Lrdmcninsdörffer.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/258>, abgerufen am 03.07.2024.