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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschkes Deutsche Geschichte.

Baumgarten ereifert sich darüber, daß Treitschke Metternich mit einem
allerdings recht kräftigen Ausdruck einen der größten Lügner des neunzehnten
Jahrhunderts nennt und die Zuverlässigkeit mancher in den "nachgelassenen
Papieren" enthaltenen Berichte fiir sehr zweifelhaft hält. Seine in spätern Jahren
gemachten Aufzeichnungen über frühere Erlebnisse, giebt Baumgarten zu, mögen
bedenklich sein; aber anders verhalte es sich mit den amtlichen Schriftstücken,
die selbstverständlich auch kritisch zu prüfen seien, aber doch im ganzen die Prä-
sumtion der Wahrheit für sich hätten. Gegen diesen Satz ist im allgemeinen
wohl nichts einzuwenden, und namentlich dagegen nicht, daß auch Berichte über
soeben geschehenes doch einer kritischen Betrachtung zu unterwerfen sind. Aber
wie hat dies Baumgarten in dem eben behandelten Falle geübt? Er nimmt
einfach ohne jedes kritische Bedenken den Metternichschen Bericht vom 30. Juli
für die bare Wahrheit; er hebt nachdrücklich hervor, daß er "unsre einzige Quelle'
sei, und verfährt bei seiner Benutzung geuau so, als ob es ein anerkannter kritischer
Grundsatz wäre, daß die Angaben einer "einzigen" Quelle ohne weiteres als
vorläufiges gesichertes Material zu gelten hätten. Und wie viele Bedenken
erheben sich doch bei näherer Betrachtung gegen die Wahrheit, die Vollständig¬
keit, die Aufrichtigkeit dieses Berichtes. Von allen Gründen der UnWahrschein¬
lichkeit abgesehen, die sich aus unsrer Kenntnis der Persönlichkeit Friedrich
Wilhelms herleiten lassen, wie auffallend ist die Geflissentlichkeit, womit der
Briefsteller seinem Kaiser die Vorstellung beizubringen sucht von einem großen
Erfolg, den er auch in der Verfassungsfrage davon getragen, während er doch
thatsächlich über den Standpunkt, der bereits im vorhergehenden Herbste in
Aachen erreicht worden war, nicht hinausgekommen ist; er sucht die Vorstellung
zu erwecke", als sei Hardenberg nun völlig aus dem Sattel gehoben und von
dem König selbst preisgegeben, was beides nicht der Fall war; die armselige
Ratlosigkeit des preußischen Herrschers wird in die grellste Beleuchtung gestellt,
wie einen gefesselten Sklaven führt er ihn seinem Herrn vor. Hatte Metternich,
abgesehen von der Selbstgefälligkeit, die sich so leicht über das Gewicht der
eignen Erfolge täuscht, etwa besondre Gründe, hier dem Kaiser gegenüber so
stark aufzutragen? Man könnte diese Frage wohl auswerfen, zumal wenn man
bemerkt, daß Kaiser Franz offenbar garnicht der Meinung war, daß sein Minister
in der Verfassungsangelegenheit in Teplitz einen Sieg errungen habe. In seiner
Resolution auf die erhaltenen Berichte, welche sich in den "nachgelassenen Pa¬
pieren" gleichfalls abgedruckt findet (III, 269), spricht er in ziemlich kühlem und
trocknen Tone aus, daß er mit den getroffncn Arrangements und namentlich
auch mit den provinzialstündischen Absichten Preußens keineswegs sehr einver¬
standen sei. Wußte Metternich, daß sein Monarch eigentlich von der Teplitzcr
Zusammenkunft mehr gewünscht und erwartet hatte? War das für ihn eine
Veranlassung, wenigstens das Erreichte in möglichst brillantem Aufputz vorzu¬
führen? Und soll man dann, wenn man dies als möglich zugiebt, dieser


Treitschkes Deutsche Geschichte.

Baumgarten ereifert sich darüber, daß Treitschke Metternich mit einem
allerdings recht kräftigen Ausdruck einen der größten Lügner des neunzehnten
Jahrhunderts nennt und die Zuverlässigkeit mancher in den „nachgelassenen
Papieren" enthaltenen Berichte fiir sehr zweifelhaft hält. Seine in spätern Jahren
gemachten Aufzeichnungen über frühere Erlebnisse, giebt Baumgarten zu, mögen
bedenklich sein; aber anders verhalte es sich mit den amtlichen Schriftstücken,
die selbstverständlich auch kritisch zu prüfen seien, aber doch im ganzen die Prä-
sumtion der Wahrheit für sich hätten. Gegen diesen Satz ist im allgemeinen
wohl nichts einzuwenden, und namentlich dagegen nicht, daß auch Berichte über
soeben geschehenes doch einer kritischen Betrachtung zu unterwerfen sind. Aber
wie hat dies Baumgarten in dem eben behandelten Falle geübt? Er nimmt
einfach ohne jedes kritische Bedenken den Metternichschen Bericht vom 30. Juli
für die bare Wahrheit; er hebt nachdrücklich hervor, daß er „unsre einzige Quelle'
sei, und verfährt bei seiner Benutzung geuau so, als ob es ein anerkannter kritischer
Grundsatz wäre, daß die Angaben einer „einzigen" Quelle ohne weiteres als
vorläufiges gesichertes Material zu gelten hätten. Und wie viele Bedenken
erheben sich doch bei näherer Betrachtung gegen die Wahrheit, die Vollständig¬
keit, die Aufrichtigkeit dieses Berichtes. Von allen Gründen der UnWahrschein¬
lichkeit abgesehen, die sich aus unsrer Kenntnis der Persönlichkeit Friedrich
Wilhelms herleiten lassen, wie auffallend ist die Geflissentlichkeit, womit der
Briefsteller seinem Kaiser die Vorstellung beizubringen sucht von einem großen
Erfolg, den er auch in der Verfassungsfrage davon getragen, während er doch
thatsächlich über den Standpunkt, der bereits im vorhergehenden Herbste in
Aachen erreicht worden war, nicht hinausgekommen ist; er sucht die Vorstellung
zu erwecke», als sei Hardenberg nun völlig aus dem Sattel gehoben und von
dem König selbst preisgegeben, was beides nicht der Fall war; die armselige
Ratlosigkeit des preußischen Herrschers wird in die grellste Beleuchtung gestellt,
wie einen gefesselten Sklaven führt er ihn seinem Herrn vor. Hatte Metternich,
abgesehen von der Selbstgefälligkeit, die sich so leicht über das Gewicht der
eignen Erfolge täuscht, etwa besondre Gründe, hier dem Kaiser gegenüber so
stark aufzutragen? Man könnte diese Frage wohl auswerfen, zumal wenn man
bemerkt, daß Kaiser Franz offenbar garnicht der Meinung war, daß sein Minister
in der Verfassungsangelegenheit in Teplitz einen Sieg errungen habe. In seiner
Resolution auf die erhaltenen Berichte, welche sich in den „nachgelassenen Pa¬
pieren" gleichfalls abgedruckt findet (III, 269), spricht er in ziemlich kühlem und
trocknen Tone aus, daß er mit den getroffncn Arrangements und namentlich
auch mit den provinzialstündischen Absichten Preußens keineswegs sehr einver¬
standen sei. Wußte Metternich, daß sein Monarch eigentlich von der Teplitzcr
Zusammenkunft mehr gewünscht und erwartet hatte? War das für ihn eine
Veranlassung, wenigstens das Erreichte in möglichst brillantem Aufputz vorzu¬
führen? Und soll man dann, wenn man dies als möglich zugiebt, dieser


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[0253] Treitschkes Deutsche Geschichte. Baumgarten ereifert sich darüber, daß Treitschke Metternich mit einem allerdings recht kräftigen Ausdruck einen der größten Lügner des neunzehnten Jahrhunderts nennt und die Zuverlässigkeit mancher in den „nachgelassenen Papieren" enthaltenen Berichte fiir sehr zweifelhaft hält. Seine in spätern Jahren gemachten Aufzeichnungen über frühere Erlebnisse, giebt Baumgarten zu, mögen bedenklich sein; aber anders verhalte es sich mit den amtlichen Schriftstücken, die selbstverständlich auch kritisch zu prüfen seien, aber doch im ganzen die Prä- sumtion der Wahrheit für sich hätten. Gegen diesen Satz ist im allgemeinen wohl nichts einzuwenden, und namentlich dagegen nicht, daß auch Berichte über soeben geschehenes doch einer kritischen Betrachtung zu unterwerfen sind. Aber wie hat dies Baumgarten in dem eben behandelten Falle geübt? Er nimmt einfach ohne jedes kritische Bedenken den Metternichschen Bericht vom 30. Juli für die bare Wahrheit; er hebt nachdrücklich hervor, daß er „unsre einzige Quelle' sei, und verfährt bei seiner Benutzung geuau so, als ob es ein anerkannter kritischer Grundsatz wäre, daß die Angaben einer „einzigen" Quelle ohne weiteres als vorläufiges gesichertes Material zu gelten hätten. Und wie viele Bedenken erheben sich doch bei näherer Betrachtung gegen die Wahrheit, die Vollständig¬ keit, die Aufrichtigkeit dieses Berichtes. Von allen Gründen der UnWahrschein¬ lichkeit abgesehen, die sich aus unsrer Kenntnis der Persönlichkeit Friedrich Wilhelms herleiten lassen, wie auffallend ist die Geflissentlichkeit, womit der Briefsteller seinem Kaiser die Vorstellung beizubringen sucht von einem großen Erfolg, den er auch in der Verfassungsfrage davon getragen, während er doch thatsächlich über den Standpunkt, der bereits im vorhergehenden Herbste in Aachen erreicht worden war, nicht hinausgekommen ist; er sucht die Vorstellung zu erwecke», als sei Hardenberg nun völlig aus dem Sattel gehoben und von dem König selbst preisgegeben, was beides nicht der Fall war; die armselige Ratlosigkeit des preußischen Herrschers wird in die grellste Beleuchtung gestellt, wie einen gefesselten Sklaven führt er ihn seinem Herrn vor. Hatte Metternich, abgesehen von der Selbstgefälligkeit, die sich so leicht über das Gewicht der eignen Erfolge täuscht, etwa besondre Gründe, hier dem Kaiser gegenüber so stark aufzutragen? Man könnte diese Frage wohl auswerfen, zumal wenn man bemerkt, daß Kaiser Franz offenbar garnicht der Meinung war, daß sein Minister in der Verfassungsangelegenheit in Teplitz einen Sieg errungen habe. In seiner Resolution auf die erhaltenen Berichte, welche sich in den „nachgelassenen Pa¬ pieren" gleichfalls abgedruckt findet (III, 269), spricht er in ziemlich kühlem und trocknen Tone aus, daß er mit den getroffncn Arrangements und namentlich auch mit den provinzialstündischen Absichten Preußens keineswegs sehr einver¬ standen sei. Wußte Metternich, daß sein Monarch eigentlich von der Teplitzcr Zusammenkunft mehr gewünscht und erwartet hatte? War das für ihn eine Veranlassung, wenigstens das Erreichte in möglichst brillantem Aufputz vorzu¬ führen? Und soll man dann, wenn man dies als möglich zugiebt, dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/253>, abgerufen am 23.07.2024.