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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Treitschkes Deutsche Geschichte.

will, so gelangen wir einfach zu dem Nonsens, daß Metternich dem König sagt:
Führen Sie gar keine Verfassung ein, brechen Sie Ihr Versprechen vom Jahre
1815, Sie können dies thun mit völliger Währung desselben!

Baumgarten hat also hier die eigentlich für die Streitfrage entscheidenden
Worte seines Aktenstückes einfach unterdrückt.

Es fällt mir nicht ein, an diese Beobachtung ähnliche Anklagen zu knüpfen
von historischer Gewissenlosigkeit, "willkürlicher Umbiegung der klarsten That¬
sachen" und dergleichen, wie sie Baumgarten in der heftigsten Weise gegen
Treitschke zu schleudern sich berechtigt glaubt. Die Eilfertigkeit, womit diese
Kritik in die Welt gesetzt werden mußte, kann wohl ausreichen, um jenes Über¬
sehen begreiflich zu machen, und verwunderlich bleibt es nur, daß Baumgarten
auch bei Abfassung seines letzten Artikels, in welchem er auf die Frage noch¬
mals zurückkommt, sich nicht veranlaßt gesehen zu haben scheint, das wichtige
Aktenstück selbst noch einmal genauer anzusehen, sondern die betreffende Stelle
nochmals mit Auslassung der entscheidenden Worte zitirt. Wollte jemand hier
den Straßburger Kritiker mit dem gleichen Maße messen, mit welchem er
Treitschke gemessen, und zusehen, "wie diesem Hochmut die eigue wissenschaftliche
Leistung entspricht," so läge die Versuchung zu kräftigeren stilistischen Wen¬
dungen im sittlichen Entrüstungsstile ja vielleicht auch nahe -- sie würden hie'-,
ebenso übel angebracht sein wie sie es dort sind.

Jedenfalls behält also in diesem Punkte, auf welchen der Kritiker so be¬
sonders Gewicht legte, die Auffassung Treitschkes vollständig Recht; die Anklage
Baumgartens fällt schwer auf ihn selbst zurück.

Freilich erhebt er noch andre Vorwürfe. Er tadelt, daß Treitschke den
Metternichschen Bericht nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben, daß er die¬
jenigen Stellen verschwiegen habe, welche allzu demütigend für den preußischen
König lauten; er rügt die hier wie bei andern Gelegenheiten hervortretende ein¬
seitige Vorliebe des Verfassers für den König, dessen Verhalten er ungerecht
beschönige, während auf Hardenberg die Verantwortung für alles Uhle ab¬
gewälzt werde; er kommt wiederholt zurück auf die feindselige und geringschätzige
Behandlung, welche Metternich überall zu Teil werde, und welche es unver¬
ständlich erscheinen lasse, wie dieser Mann dennoch einen so beherrschenden
Einfluß in Deutschland und in Europa habe ausüben können. Es wäre über
alle diese Fragen mancherlei zu sagen, mehr als ich den Lesern dieser Zeitschrift
für heute zumuten darf. Es ist keineswegs meine Meinung, für die Dar¬
stellung Treitschkes in allen Einzelheiten eintreten zu wollen; ich gebe vollständig
zu, daß an manchen Stellen sein Kolorit etwas grell, seine Ausdrucksweise
vielleicht allzu lebhaft ist; ich würde für meinen Teil Hell und Dunkel nicht
selten anders verteilen, in dem Aufsetzen starker Lichter sparsamer sein. Aber
ich zweifle auch hier, ob Baumgarten mit seinen Einwendungen gerade immer
das richtige trifft. Ich hebe nur eins hervor.


Treitschkes Deutsche Geschichte.

will, so gelangen wir einfach zu dem Nonsens, daß Metternich dem König sagt:
Führen Sie gar keine Verfassung ein, brechen Sie Ihr Versprechen vom Jahre
1815, Sie können dies thun mit völliger Währung desselben!

Baumgarten hat also hier die eigentlich für die Streitfrage entscheidenden
Worte seines Aktenstückes einfach unterdrückt.

Es fällt mir nicht ein, an diese Beobachtung ähnliche Anklagen zu knüpfen
von historischer Gewissenlosigkeit, „willkürlicher Umbiegung der klarsten That¬
sachen" und dergleichen, wie sie Baumgarten in der heftigsten Weise gegen
Treitschke zu schleudern sich berechtigt glaubt. Die Eilfertigkeit, womit diese
Kritik in die Welt gesetzt werden mußte, kann wohl ausreichen, um jenes Über¬
sehen begreiflich zu machen, und verwunderlich bleibt es nur, daß Baumgarten
auch bei Abfassung seines letzten Artikels, in welchem er auf die Frage noch¬
mals zurückkommt, sich nicht veranlaßt gesehen zu haben scheint, das wichtige
Aktenstück selbst noch einmal genauer anzusehen, sondern die betreffende Stelle
nochmals mit Auslassung der entscheidenden Worte zitirt. Wollte jemand hier
den Straßburger Kritiker mit dem gleichen Maße messen, mit welchem er
Treitschke gemessen, und zusehen, „wie diesem Hochmut die eigue wissenschaftliche
Leistung entspricht," so läge die Versuchung zu kräftigeren stilistischen Wen¬
dungen im sittlichen Entrüstungsstile ja vielleicht auch nahe — sie würden hie'-,
ebenso übel angebracht sein wie sie es dort sind.

Jedenfalls behält also in diesem Punkte, auf welchen der Kritiker so be¬
sonders Gewicht legte, die Auffassung Treitschkes vollständig Recht; die Anklage
Baumgartens fällt schwer auf ihn selbst zurück.

Freilich erhebt er noch andre Vorwürfe. Er tadelt, daß Treitschke den
Metternichschen Bericht nicht in allen Einzelheiten wiedergegeben, daß er die¬
jenigen Stellen verschwiegen habe, welche allzu demütigend für den preußischen
König lauten; er rügt die hier wie bei andern Gelegenheiten hervortretende ein¬
seitige Vorliebe des Verfassers für den König, dessen Verhalten er ungerecht
beschönige, während auf Hardenberg die Verantwortung für alles Uhle ab¬
gewälzt werde; er kommt wiederholt zurück auf die feindselige und geringschätzige
Behandlung, welche Metternich überall zu Teil werde, und welche es unver¬
ständlich erscheinen lasse, wie dieser Mann dennoch einen so beherrschenden
Einfluß in Deutschland und in Europa habe ausüben können. Es wäre über
alle diese Fragen mancherlei zu sagen, mehr als ich den Lesern dieser Zeitschrift
für heute zumuten darf. Es ist keineswegs meine Meinung, für die Dar¬
stellung Treitschkes in allen Einzelheiten eintreten zu wollen; ich gebe vollständig
zu, daß an manchen Stellen sein Kolorit etwas grell, seine Ausdrucksweise
vielleicht allzu lebhaft ist; ich würde für meinen Teil Hell und Dunkel nicht
selten anders verteilen, in dem Aufsetzen starker Lichter sparsamer sein. Aber
ich zweifle auch hier, ob Baumgarten mit seinen Einwendungen gerade immer
das richtige trifft. Ich hebe nur eins hervor.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/252>, abgerufen am 23.07.2024.