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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das Manifest des Prinzen Napoleon,

Bedenken und Mißtrauen gegen ihn. Weder die Mittelklasse noch die Arbeiter
setzten Vertrauen in seinen Charakter, und am wenigsten hielt man in der
Armee von ihm. Mag sein jetziger Angriff auf die Republik manchen nicht
unwillkommen gewesen sein, so hat sich doch gewiß nur das kleine Hänflein seiner
persönlichen Freunde jemals träumen lassen, von ihm die Rettung Frankreichs
aus seiner dermaligen unerfreulichen Lage zu erwarte". Damit soll keineswegs
behauptet werden, es mangle ihm an Fähigkeiten. Im Gegenteil, er besitzt
mehrere von den Eigenschaften, die Napoleon I. zu Erfolgen führten,
einen klaren Kopf, ein kühles Herz, die Mischung demokratischer Grundsätze
mit despotischen Zielen; aber es gebricht ihm an allen militärischen Eigen¬
schaften, selbst an der niedrigsten, an persönlichem Mute, und ebenso sehr fehlte
es ihm, nach allen den Manövern zu urteilen, mit denen er seine Zwecke
verfolgte, an dem, was wir politische Ehrlichkeit nennen. Immer zeigte er
während des zweiten Kaiserreichs ein doppeltes Gesicht, Er nahm von seinem
Vetter hohen Rang und reiches Einkommen an, trat aber bei Hofe und vor
dem Publikum als Radikaler in weltlichen und geistlichen Fragen auf, als eine
Art Egalitö, der im Hinblick auf die Möglichkeit, daß der Geist der Revolution
doch einmal die Oberhand gewinnen könne, sich den Rücken deckte und sür die
Zukunft empfahl. Als das Kaiserreich fiel, zog er den Imperialisten ganz aus,
und als Napoleon III. gestorben war, weigerte er sich wiederholt, dessen
Sohn als Erben seines Rechts anzuerkennen, zweifelsohne, weil er sich der
Hoffnung hingab, einmal Präsident der roten Republik werden zu können. Er
hatte damals das Suceessionsrecht, das er jetzt in seinem Manifest betont,
gänzlich vergessen; denn der wirkliche Erbe hatte wenig Aussichten, und er selbst
als Nächstberechtigter noch weniger. Die Assagaye eines Zulnkasfern änderte
dies, er wurde Erbe der Kaiserkrone und der regelmäßige dynastische Chef einer
zwar nicht sehr zahlreichen, aber festzusammenhaltenden und wohlorganisirten
Partei, Aber jetzt kamen ihm, wie man zu sage" pflegt, seine alten Sünden
zu Haus und zu Hofe. Er hatte seinem Vorgänger das Recht abgesprochen,
das ihm selbst jetzt zufiel, er hatte es überhaupt geleugnet und konnte es so¬
mit nicht für sich geltend machen. Er hatte die Kirche beleidigt, mit welcher
die Napoleons verbündet gewesen waren. Er hatte den Noten gespielt, ohne die
Noten für sich zu gewinne", wohl aber die Mittelklasse scheu vor seinen Ab¬
sichten gemacht. Er hatte mit all seiner Klugheit nirgends Dank, überall dagegen
gerechten Argwohn geerntet. Als unehrlicher Demokrat, als' von der imperia¬
listischen Partei abgefallen, als grundsatzloser Politiker war er für die in der
Zukunft schwebende Kaiserkrone so ungeeignet wie einst sein Vorbild Egalits,
wenn ihn die Guillotine verschont hätte, zum Erben der Königskrone ungeeignet
gewesen sein würde, deren Träger er aufs Schaffst hatte schicken helfen.
Sein jetziges Manifest kann mit all seinen schönen Worten seine Vergangenheit
nicht auslöschen.


Das Manifest des Prinzen Napoleon,

Bedenken und Mißtrauen gegen ihn. Weder die Mittelklasse noch die Arbeiter
setzten Vertrauen in seinen Charakter, und am wenigsten hielt man in der
Armee von ihm. Mag sein jetziger Angriff auf die Republik manchen nicht
unwillkommen gewesen sein, so hat sich doch gewiß nur das kleine Hänflein seiner
persönlichen Freunde jemals träumen lassen, von ihm die Rettung Frankreichs
aus seiner dermaligen unerfreulichen Lage zu erwarte». Damit soll keineswegs
behauptet werden, es mangle ihm an Fähigkeiten. Im Gegenteil, er besitzt
mehrere von den Eigenschaften, die Napoleon I. zu Erfolgen führten,
einen klaren Kopf, ein kühles Herz, die Mischung demokratischer Grundsätze
mit despotischen Zielen; aber es gebricht ihm an allen militärischen Eigen¬
schaften, selbst an der niedrigsten, an persönlichem Mute, und ebenso sehr fehlte
es ihm, nach allen den Manövern zu urteilen, mit denen er seine Zwecke
verfolgte, an dem, was wir politische Ehrlichkeit nennen. Immer zeigte er
während des zweiten Kaiserreichs ein doppeltes Gesicht, Er nahm von seinem
Vetter hohen Rang und reiches Einkommen an, trat aber bei Hofe und vor
dem Publikum als Radikaler in weltlichen und geistlichen Fragen auf, als eine
Art Egalitö, der im Hinblick auf die Möglichkeit, daß der Geist der Revolution
doch einmal die Oberhand gewinnen könne, sich den Rücken deckte und sür die
Zukunft empfahl. Als das Kaiserreich fiel, zog er den Imperialisten ganz aus,
und als Napoleon III. gestorben war, weigerte er sich wiederholt, dessen
Sohn als Erben seines Rechts anzuerkennen, zweifelsohne, weil er sich der
Hoffnung hingab, einmal Präsident der roten Republik werden zu können. Er
hatte damals das Suceessionsrecht, das er jetzt in seinem Manifest betont,
gänzlich vergessen; denn der wirkliche Erbe hatte wenig Aussichten, und er selbst
als Nächstberechtigter noch weniger. Die Assagaye eines Zulnkasfern änderte
dies, er wurde Erbe der Kaiserkrone und der regelmäßige dynastische Chef einer
zwar nicht sehr zahlreichen, aber festzusammenhaltenden und wohlorganisirten
Partei, Aber jetzt kamen ihm, wie man zu sage» pflegt, seine alten Sünden
zu Haus und zu Hofe. Er hatte seinem Vorgänger das Recht abgesprochen,
das ihm selbst jetzt zufiel, er hatte es überhaupt geleugnet und konnte es so¬
mit nicht für sich geltend machen. Er hatte die Kirche beleidigt, mit welcher
die Napoleons verbündet gewesen waren. Er hatte den Noten gespielt, ohne die
Noten für sich zu gewinne», wohl aber die Mittelklasse scheu vor seinen Ab¬
sichten gemacht. Er hatte mit all seiner Klugheit nirgends Dank, überall dagegen
gerechten Argwohn geerntet. Als unehrlicher Demokrat, als' von der imperia¬
listischen Partei abgefallen, als grundsatzloser Politiker war er für die in der
Zukunft schwebende Kaiserkrone so ungeeignet wie einst sein Vorbild Egalits,
wenn ihn die Guillotine verschont hätte, zum Erben der Königskrone ungeeignet
gewesen sein würde, deren Träger er aufs Schaffst hatte schicken helfen.
Sein jetziges Manifest kann mit all seinen schönen Worten seine Vergangenheit
nicht auslöschen.


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[0237] Das Manifest des Prinzen Napoleon, Bedenken und Mißtrauen gegen ihn. Weder die Mittelklasse noch die Arbeiter setzten Vertrauen in seinen Charakter, und am wenigsten hielt man in der Armee von ihm. Mag sein jetziger Angriff auf die Republik manchen nicht unwillkommen gewesen sein, so hat sich doch gewiß nur das kleine Hänflein seiner persönlichen Freunde jemals träumen lassen, von ihm die Rettung Frankreichs aus seiner dermaligen unerfreulichen Lage zu erwarte». Damit soll keineswegs behauptet werden, es mangle ihm an Fähigkeiten. Im Gegenteil, er besitzt mehrere von den Eigenschaften, die Napoleon I. zu Erfolgen führten, einen klaren Kopf, ein kühles Herz, die Mischung demokratischer Grundsätze mit despotischen Zielen; aber es gebricht ihm an allen militärischen Eigen¬ schaften, selbst an der niedrigsten, an persönlichem Mute, und ebenso sehr fehlte es ihm, nach allen den Manövern zu urteilen, mit denen er seine Zwecke verfolgte, an dem, was wir politische Ehrlichkeit nennen. Immer zeigte er während des zweiten Kaiserreichs ein doppeltes Gesicht, Er nahm von seinem Vetter hohen Rang und reiches Einkommen an, trat aber bei Hofe und vor dem Publikum als Radikaler in weltlichen und geistlichen Fragen auf, als eine Art Egalitö, der im Hinblick auf die Möglichkeit, daß der Geist der Revolution doch einmal die Oberhand gewinnen könne, sich den Rücken deckte und sür die Zukunft empfahl. Als das Kaiserreich fiel, zog er den Imperialisten ganz aus, und als Napoleon III. gestorben war, weigerte er sich wiederholt, dessen Sohn als Erben seines Rechts anzuerkennen, zweifelsohne, weil er sich der Hoffnung hingab, einmal Präsident der roten Republik werden zu können. Er hatte damals das Suceessionsrecht, das er jetzt in seinem Manifest betont, gänzlich vergessen; denn der wirkliche Erbe hatte wenig Aussichten, und er selbst als Nächstberechtigter noch weniger. Die Assagaye eines Zulnkasfern änderte dies, er wurde Erbe der Kaiserkrone und der regelmäßige dynastische Chef einer zwar nicht sehr zahlreichen, aber festzusammenhaltenden und wohlorganisirten Partei, Aber jetzt kamen ihm, wie man zu sage» pflegt, seine alten Sünden zu Haus und zu Hofe. Er hatte seinem Vorgänger das Recht abgesprochen, das ihm selbst jetzt zufiel, er hatte es überhaupt geleugnet und konnte es so¬ mit nicht für sich geltend machen. Er hatte die Kirche beleidigt, mit welcher die Napoleons verbündet gewesen waren. Er hatte den Noten gespielt, ohne die Noten für sich zu gewinne», wohl aber die Mittelklasse scheu vor seinen Ab¬ sichten gemacht. Er hatte mit all seiner Klugheit nirgends Dank, überall dagegen gerechten Argwohn geerntet. Als unehrlicher Demokrat, als' von der imperia¬ listischen Partei abgefallen, als grundsatzloser Politiker war er für die in der Zukunft schwebende Kaiserkrone so ungeeignet wie einst sein Vorbild Egalits, wenn ihn die Guillotine verschont hätte, zum Erben der Königskrone ungeeignet gewesen sein würde, deren Träger er aufs Schaffst hatte schicken helfen. Sein jetziges Manifest kann mit all seinen schönen Worten seine Vergangenheit nicht auslöschen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/237>, abgerufen am 23.07.2024.