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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Oels Manifest dos Prinzen Napoleon.

sichren des Staatsanwalts zu übernehmen und leugnete den Unterschied zwischen
Republik und Staat. Zuletzt sprach der Abgeordnete Floquet sein Einver¬
ständnis hiermit aus, behauptete, die Republik dürfe sich die jetzt täglich laut-
werdmdeu Ansprüche der ihr feindlichen Parteien nicht mehr ruhig gefallen
lassen, und schloß mit dem Antrage auf Erlaß eines Gesetzes mit folgendem
Wortlaut: "1. Der Aufenthalt im Gebiete Frankreichs, Algeriens und der
Kolonien ist den Mitgliedern der Familien, welche in Frankreich regiert haben,
untersagt. 2. Die im vorhergehenden Paragraphen erwähnten Personen können
in Frankreich keine politischen Rechte besitzen." Die von dem Antragsteller be¬
fürwortete Dringlichkeit dieses Vorschlages wurde trotz starker Proteste der Bona¬
partisten mit großer Majorität, 328 gegen 112 Stimmen, von der Kammer
angenommen und der Antrag einem Ausschusse überwiesen.

Dies die Thatsachen. Bevor wir unsre Meinung darüber abgeben, hören
wir zunächst die öffentliche Meinung Frankreichs, wie sie sich in einer Anzahl
von Organen der Presse ausspricht. Ihre Urteile lauten sehr' verschieden. Das
republikanische "Paris" sagt: "Die Republikaner von 1883 sollten nicht vergessen,
wie grotesk die ersten öffentlichen Kundgebungen desjenigen waren, der sich bald
Napoleon III. nennen sollte. Wenn wir nicht rasch aufhören, uns unter
einander zu streiten und zu schelten, so werden wir der großen Masse in die
Hände arbeiten, die, ohne Partei, ohne Glauben und Verbindungen, allezeit
bereit ist, zu passender Stunde eine Reaktion und den Umsturz der Verfassung
zu begünstige". Wenn unsre Freunde dies begreifen, so wird Herr Jerome
Bonaparte zum erstenmale in seinem Leben seinem Vaterlande einen Dienst er¬
wiesen haben. Aber um des Himmels willen, das Ministerium darf sich nicht
verpflichtet fühlen, ihn zu verbannen, sondern muß sorgen, daß er in Paris
bleibt." Auf der andern Seite ruft die "France" aus: "Die Regierung, die
immer über anarchistische Verschwörungen Wache hält, muß dieser auf die Finger
sehen. Die Massen werden zum Aufstande gegen die Republik aufgestachelt,
und der Prätendent geberdet sich als Kaiser. Man stecke ihn sofort ein, und
die Republik zeige ihm, was sie von seinen angeblichen aus dem Plebiscit
hervorgehenden Rechten hält." Der orleanistische "Soleil" sagt: "Wir sind zu
den schlimmsten Tagen des Konvents zurückgekehrt, zu den Ausschreitungen und
Verbrechen, die zum 18. Brumaire führten. Glaubt man, daß das konservative,
liberale und katholische Frankreich sich von einer Demokratie terrorisiren lassen
wird, die vor Furcht den Verstand verloren hat? Gewiß nicht." Im "Figaro"
bemerkt Magnard: "Das Manifest des Prinzen Napoleon hat die Republikaner
buchstäblich toll gemacht. Seine Verhaftung, wobei man ihn behandelte, als
ob er jemand die Uhr gestohlen hätte, zeigt, daß sie von Sinnen sind." Der
"Rappel" sagt: "Da beantragt Herr Flvqnet die Austreibung aller Prinzen,
und die Kammer votirt für Dringlichkeit. Wir hoffen zuversichtlich, daß sie
das nur gethan hat, um rascher den abgeschmackten Vorschlag verwerfen zu


Oels Manifest dos Prinzen Napoleon.

sichren des Staatsanwalts zu übernehmen und leugnete den Unterschied zwischen
Republik und Staat. Zuletzt sprach der Abgeordnete Floquet sein Einver¬
ständnis hiermit aus, behauptete, die Republik dürfe sich die jetzt täglich laut-
werdmdeu Ansprüche der ihr feindlichen Parteien nicht mehr ruhig gefallen
lassen, und schloß mit dem Antrage auf Erlaß eines Gesetzes mit folgendem
Wortlaut: „1. Der Aufenthalt im Gebiete Frankreichs, Algeriens und der
Kolonien ist den Mitgliedern der Familien, welche in Frankreich regiert haben,
untersagt. 2. Die im vorhergehenden Paragraphen erwähnten Personen können
in Frankreich keine politischen Rechte besitzen." Die von dem Antragsteller be¬
fürwortete Dringlichkeit dieses Vorschlages wurde trotz starker Proteste der Bona¬
partisten mit großer Majorität, 328 gegen 112 Stimmen, von der Kammer
angenommen und der Antrag einem Ausschusse überwiesen.

Dies die Thatsachen. Bevor wir unsre Meinung darüber abgeben, hören
wir zunächst die öffentliche Meinung Frankreichs, wie sie sich in einer Anzahl
von Organen der Presse ausspricht. Ihre Urteile lauten sehr' verschieden. Das
republikanische „Paris" sagt: „Die Republikaner von 1883 sollten nicht vergessen,
wie grotesk die ersten öffentlichen Kundgebungen desjenigen waren, der sich bald
Napoleon III. nennen sollte. Wenn wir nicht rasch aufhören, uns unter
einander zu streiten und zu schelten, so werden wir der großen Masse in die
Hände arbeiten, die, ohne Partei, ohne Glauben und Verbindungen, allezeit
bereit ist, zu passender Stunde eine Reaktion und den Umsturz der Verfassung
zu begünstige». Wenn unsre Freunde dies begreifen, so wird Herr Jerome
Bonaparte zum erstenmale in seinem Leben seinem Vaterlande einen Dienst er¬
wiesen haben. Aber um des Himmels willen, das Ministerium darf sich nicht
verpflichtet fühlen, ihn zu verbannen, sondern muß sorgen, daß er in Paris
bleibt." Auf der andern Seite ruft die „France" aus: „Die Regierung, die
immer über anarchistische Verschwörungen Wache hält, muß dieser auf die Finger
sehen. Die Massen werden zum Aufstande gegen die Republik aufgestachelt,
und der Prätendent geberdet sich als Kaiser. Man stecke ihn sofort ein, und
die Republik zeige ihm, was sie von seinen angeblichen aus dem Plebiscit
hervorgehenden Rechten hält." Der orleanistische „Soleil" sagt: „Wir sind zu
den schlimmsten Tagen des Konvents zurückgekehrt, zu den Ausschreitungen und
Verbrechen, die zum 18. Brumaire führten. Glaubt man, daß das konservative,
liberale und katholische Frankreich sich von einer Demokratie terrorisiren lassen
wird, die vor Furcht den Verstand verloren hat? Gewiß nicht." Im „Figaro"
bemerkt Magnard: „Das Manifest des Prinzen Napoleon hat die Republikaner
buchstäblich toll gemacht. Seine Verhaftung, wobei man ihn behandelte, als
ob er jemand die Uhr gestohlen hätte, zeigt, daß sie von Sinnen sind." Der
„Rappel" sagt: „Da beantragt Herr Flvqnet die Austreibung aller Prinzen,
und die Kammer votirt für Dringlichkeit. Wir hoffen zuversichtlich, daß sie
das nur gethan hat, um rascher den abgeschmackten Vorschlag verwerfen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/235>, abgerufen am 25.08.2024.