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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

finde, sie singt heute besser als je. Du hast heute eine ganz besondre Schneide,
mein Kind, sodaß selbst diese süßlichen Sachen ganz stramm klingen. Nun thust
du uns aber auch den Gefallen, meinen alten Regimentsmarsch zu spielen. Der
ist doch das beste, was je ein Komponist zustande gebracht hat.

Dorothea lächelte und erfüllte des Vaters Wunsch, dann aber mahnte die
späte Stande den General und Eberhardt zum Aufbruch. Der Baron wollte
anspannen lassen, um beide Herren nach Hause fahren zu lassen. Doch nur der
General nahm den Wagen an, Eberhardt zog den Heimweg zu Fuß vor, da
die Nacht hell genug sei, um die Wanderung angenehm zu machen.

Als er sich von Dorothea empfahl und ihr gute Nacht wünschte, war ihm
wunderlich zu Mute. Etwas zauberhaftes schien in der Luft zu liegen, die
Finger unsichtbarer Feen schienen heimliche Gewebe aus den Lichtstrahlen der
Kerzen zu weben, um die Herzen der Gäste zu umstricken. Er verneigte sich
vor ihr, während sie neben ihrem Flügel stand, und In diesem Augenblicke hatte
sie etwas unbeschreiblich Anmutiges. Von dem dunkeln, glatten Hvlzgetäfel des
Fußbodens und der Decke strahlten die gelblichen Lichter in einer Weise wieder,
als sei ihr Zweck nur der, die Gestalt Dorotheens zu einer ätherischen Erschei¬
nung zu machen. Sie stand in ihrem hellen Kleide mit leicht ineinander ge¬
schlungenen Händen und der schwarzen Haarkrone auf dem Haupte reizend da.
Während er ihre ihm dargebotene Hand ergriff, um sie an seine Lippen zu
führen, suchte sein Blick den ihrigen, und für eine Sekunde senkten sich ihre
Lider mit den langen, dunkeln Wimpern herab.

Gute Nacht, sagte sie leise.

Er fühlte eine kurze, selige Spanne Zeit lang die Spitzen ihrer kühlen
Finger an seinen Lippen, und in die schmerzliche Stimmung seiner Seele, die
seit der Trauernachricht gleich einem dunkeln Schleier alle seine Teilnahme am
wechselnden Leben umhüllte, fiel ein besänftigender Ton, ein Tropfen himmlischen
Balsams auf eine brennende Wunde.

Er schritt in tiefem Sinnen und in einer Art von Berauschung dahin und
durchmaß den Korridor und die Vorhalle des Schlosses fast ohne von seiner
Umgebung zu wissen. Als er den Saum des Waldes erreicht hatte, blieb er
stehen und blickte nach dem alten Schlosse zurück, welches jetzt düster und drohend
in seiner schwarzen Masse dalag. Nur ein einziger Heller Punkt strahlte aus
dem finstern Koloß hervor, und Eberhardt meinte aus der Lage schließen zu
können, daß es Dorotheens Fenster sei, auf dessen Altan er heute mit ihr ge¬
standen hatte.

Zu seiner Rechten sah er den schwarzen Spiegel des kleinen, stillen Ge¬
wässers, bei dem er am ersten Tage ihrer Bekanntschaft umgekehrt war. Ein
Heller Stern blickte aus dieser dunkeln Tiefe hervor.

Er wandte sich ab und tauchte in den Wald ein. Wenig um den Weg
bekümmert, kam er in eine Gegend, die ihm unbekannt war. Indem er dem


Die Grafen von Altenschwerdt.

finde, sie singt heute besser als je. Du hast heute eine ganz besondre Schneide,
mein Kind, sodaß selbst diese süßlichen Sachen ganz stramm klingen. Nun thust
du uns aber auch den Gefallen, meinen alten Regimentsmarsch zu spielen. Der
ist doch das beste, was je ein Komponist zustande gebracht hat.

Dorothea lächelte und erfüllte des Vaters Wunsch, dann aber mahnte die
späte Stande den General und Eberhardt zum Aufbruch. Der Baron wollte
anspannen lassen, um beide Herren nach Hause fahren zu lassen. Doch nur der
General nahm den Wagen an, Eberhardt zog den Heimweg zu Fuß vor, da
die Nacht hell genug sei, um die Wanderung angenehm zu machen.

Als er sich von Dorothea empfahl und ihr gute Nacht wünschte, war ihm
wunderlich zu Mute. Etwas zauberhaftes schien in der Luft zu liegen, die
Finger unsichtbarer Feen schienen heimliche Gewebe aus den Lichtstrahlen der
Kerzen zu weben, um die Herzen der Gäste zu umstricken. Er verneigte sich
vor ihr, während sie neben ihrem Flügel stand, und In diesem Augenblicke hatte
sie etwas unbeschreiblich Anmutiges. Von dem dunkeln, glatten Hvlzgetäfel des
Fußbodens und der Decke strahlten die gelblichen Lichter in einer Weise wieder,
als sei ihr Zweck nur der, die Gestalt Dorotheens zu einer ätherischen Erschei¬
nung zu machen. Sie stand in ihrem hellen Kleide mit leicht ineinander ge¬
schlungenen Händen und der schwarzen Haarkrone auf dem Haupte reizend da.
Während er ihre ihm dargebotene Hand ergriff, um sie an seine Lippen zu
führen, suchte sein Blick den ihrigen, und für eine Sekunde senkten sich ihre
Lider mit den langen, dunkeln Wimpern herab.

Gute Nacht, sagte sie leise.

Er fühlte eine kurze, selige Spanne Zeit lang die Spitzen ihrer kühlen
Finger an seinen Lippen, und in die schmerzliche Stimmung seiner Seele, die
seit der Trauernachricht gleich einem dunkeln Schleier alle seine Teilnahme am
wechselnden Leben umhüllte, fiel ein besänftigender Ton, ein Tropfen himmlischen
Balsams auf eine brennende Wunde.

Er schritt in tiefem Sinnen und in einer Art von Berauschung dahin und
durchmaß den Korridor und die Vorhalle des Schlosses fast ohne von seiner
Umgebung zu wissen. Als er den Saum des Waldes erreicht hatte, blieb er
stehen und blickte nach dem alten Schlosse zurück, welches jetzt düster und drohend
in seiner schwarzen Masse dalag. Nur ein einziger Heller Punkt strahlte aus
dem finstern Koloß hervor, und Eberhardt meinte aus der Lage schließen zu
können, daß es Dorotheens Fenster sei, auf dessen Altan er heute mit ihr ge¬
standen hatte.

Zu seiner Rechten sah er den schwarzen Spiegel des kleinen, stillen Ge¬
wässers, bei dem er am ersten Tage ihrer Bekanntschaft umgekehrt war. Ein
Heller Stern blickte aus dieser dunkeln Tiefe hervor.

Er wandte sich ab und tauchte in den Wald ein. Wenig um den Weg
bekümmert, kam er in eine Gegend, die ihm unbekannt war. Indem er dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/230>, abgerufen am 25.08.2024.