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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt,

deren Art als unbestreitbar mustergiltig angesehen wird. Können Sie mir er¬
klären, Herr Eschenburg, wie das zusammenhängt?

Ich muß gestehen, daß ich selbst Zweifel an der Nichtigkeit des Italien-
Dogmas hege, erwiederte Eberhardt, Ich hörte in München so allgemein und
mit solcher Entschiedenheit erklären, daß der Künstler nach Italien gehen müsse
wie auf eine hohe Schule der Malerei, daß ich auch die Reise machte. Ich
fürchte aber, daß sie bei mir nur geringen Erfolg gehabt hat, und ich neige zu
der Ansicht, daß die Notwendigkeit der italienischen Reise eine Tradition ist wie
eine andre, verehrt wegen ihres Alters. Wenn jemand ein tüchtiges Talent
nach Italien mitbringt, so können ihm die reichen Galerien der dortigen Pa¬
läste sehr lehrreich und die pittoresken Landschaften sehr anregend werden, wo
aber das Talent unbedeutend ist, wirkt auch Italien kein Wunder, Und in der
That kann es sich ereignen, daß ein junger Künstler in der unbedingten
Verehrung eines alten Meisters die Ausbildung der ihm eigentümlichen Rich¬
tung hintansetzt, um sklavisch eine fremde Eigenart zu kopiren, womit dann seine
Kunst am Ende ist.

Wir müssen Herrn Eschenburgs Mappe durchforschen, wenn der Künstler
es gestattet, sagte der General, zum Baron gewandt.

Wenn sich die Herrschaften den Anblick einiger dürftigen Skizzen gefallen
lassen wollen, sagte der Maler, welcher einen dankbaren Blick Dorotheens auf
den Geueral zu bemerken glaubte, so werde ich dieselben gern vorlegen. Es
mag das Interesse an den bekannten Gegenden der hiesigen Umgebung der mangel¬
haften künstlerischen Auffassung zu Hilfe kommen.

Der Baron äußerte, daß er schon lange den Wunsch gehegt habe, ein
Bild seines Schlosses zu besitzen, und es ward verabredet, der Maler solle am
folgenden Tage mit seiner Skizzenmappe wieder erscheinen.

Dann begab sich die Gesellschaft in den anstoßenden Salon, und Dorothea
setzte sich an den Flügel, um Lieder vorzutragen, welche sie selbst auf dem
Instrumente begleitete,

Ihre Stimme war schön und rein, eine klangvolle Sopranstimme, Sie sang
ein Lied von Schumann, und die edeln Empfindungen dieses Meisters der
Tonkunst gewannen eine" herrlichen Ausdruck durch der Sängerin innigen Vor¬
trag und bewegten Eberhardts Herz, Er saß in sich versunken in einer fernen
Fensternische und blickte zum sternbesäeten Nachthimmel hinauf, während die
Tonwellen erregend durch seine Seele zogen, Vergangenheit und Zukunft vergaß
er, diesen Tönen hingegeben, und sein Denken verschwamm ganz in die Empfin¬
dung des Schönen.

Als die Sängerin schwieg, weckte ihn des Barons Stimme aus seinem
Sinnen,

Dorothea meinte auf der Reise, sagte diese tiefe, etwas bärbeißige Stimme,
sie würde ihr bischen Musik aus Mangel an Übung ganz vergessen. Aber ich


Die Grafen von Altenschwerdt,

deren Art als unbestreitbar mustergiltig angesehen wird. Können Sie mir er¬
klären, Herr Eschenburg, wie das zusammenhängt?

Ich muß gestehen, daß ich selbst Zweifel an der Nichtigkeit des Italien-
Dogmas hege, erwiederte Eberhardt, Ich hörte in München so allgemein und
mit solcher Entschiedenheit erklären, daß der Künstler nach Italien gehen müsse
wie auf eine hohe Schule der Malerei, daß ich auch die Reise machte. Ich
fürchte aber, daß sie bei mir nur geringen Erfolg gehabt hat, und ich neige zu
der Ansicht, daß die Notwendigkeit der italienischen Reise eine Tradition ist wie
eine andre, verehrt wegen ihres Alters. Wenn jemand ein tüchtiges Talent
nach Italien mitbringt, so können ihm die reichen Galerien der dortigen Pa¬
läste sehr lehrreich und die pittoresken Landschaften sehr anregend werden, wo
aber das Talent unbedeutend ist, wirkt auch Italien kein Wunder, Und in der
That kann es sich ereignen, daß ein junger Künstler in der unbedingten
Verehrung eines alten Meisters die Ausbildung der ihm eigentümlichen Rich¬
tung hintansetzt, um sklavisch eine fremde Eigenart zu kopiren, womit dann seine
Kunst am Ende ist.

Wir müssen Herrn Eschenburgs Mappe durchforschen, wenn der Künstler
es gestattet, sagte der General, zum Baron gewandt.

Wenn sich die Herrschaften den Anblick einiger dürftigen Skizzen gefallen
lassen wollen, sagte der Maler, welcher einen dankbaren Blick Dorotheens auf
den Geueral zu bemerken glaubte, so werde ich dieselben gern vorlegen. Es
mag das Interesse an den bekannten Gegenden der hiesigen Umgebung der mangel¬
haften künstlerischen Auffassung zu Hilfe kommen.

Der Baron äußerte, daß er schon lange den Wunsch gehegt habe, ein
Bild seines Schlosses zu besitzen, und es ward verabredet, der Maler solle am
folgenden Tage mit seiner Skizzenmappe wieder erscheinen.

Dann begab sich die Gesellschaft in den anstoßenden Salon, und Dorothea
setzte sich an den Flügel, um Lieder vorzutragen, welche sie selbst auf dem
Instrumente begleitete,

Ihre Stimme war schön und rein, eine klangvolle Sopranstimme, Sie sang
ein Lied von Schumann, und die edeln Empfindungen dieses Meisters der
Tonkunst gewannen eine» herrlichen Ausdruck durch der Sängerin innigen Vor¬
trag und bewegten Eberhardts Herz, Er saß in sich versunken in einer fernen
Fensternische und blickte zum sternbesäeten Nachthimmel hinauf, während die
Tonwellen erregend durch seine Seele zogen, Vergangenheit und Zukunft vergaß
er, diesen Tönen hingegeben, und sein Denken verschwamm ganz in die Empfin¬
dung des Schönen.

Als die Sängerin schwieg, weckte ihn des Barons Stimme aus seinem
Sinnen,

Dorothea meinte auf der Reise, sagte diese tiefe, etwas bärbeißige Stimme,
sie würde ihr bischen Musik aus Mangel an Übung ganz vergessen. Aber ich


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[0229] Die Grafen von Altenschwerdt, deren Art als unbestreitbar mustergiltig angesehen wird. Können Sie mir er¬ klären, Herr Eschenburg, wie das zusammenhängt? Ich muß gestehen, daß ich selbst Zweifel an der Nichtigkeit des Italien- Dogmas hege, erwiederte Eberhardt, Ich hörte in München so allgemein und mit solcher Entschiedenheit erklären, daß der Künstler nach Italien gehen müsse wie auf eine hohe Schule der Malerei, daß ich auch die Reise machte. Ich fürchte aber, daß sie bei mir nur geringen Erfolg gehabt hat, und ich neige zu der Ansicht, daß die Notwendigkeit der italienischen Reise eine Tradition ist wie eine andre, verehrt wegen ihres Alters. Wenn jemand ein tüchtiges Talent nach Italien mitbringt, so können ihm die reichen Galerien der dortigen Pa¬ läste sehr lehrreich und die pittoresken Landschaften sehr anregend werden, wo aber das Talent unbedeutend ist, wirkt auch Italien kein Wunder, Und in der That kann es sich ereignen, daß ein junger Künstler in der unbedingten Verehrung eines alten Meisters die Ausbildung der ihm eigentümlichen Rich¬ tung hintansetzt, um sklavisch eine fremde Eigenart zu kopiren, womit dann seine Kunst am Ende ist. Wir müssen Herrn Eschenburgs Mappe durchforschen, wenn der Künstler es gestattet, sagte der General, zum Baron gewandt. Wenn sich die Herrschaften den Anblick einiger dürftigen Skizzen gefallen lassen wollen, sagte der Maler, welcher einen dankbaren Blick Dorotheens auf den Geueral zu bemerken glaubte, so werde ich dieselben gern vorlegen. Es mag das Interesse an den bekannten Gegenden der hiesigen Umgebung der mangel¬ haften künstlerischen Auffassung zu Hilfe kommen. Der Baron äußerte, daß er schon lange den Wunsch gehegt habe, ein Bild seines Schlosses zu besitzen, und es ward verabredet, der Maler solle am folgenden Tage mit seiner Skizzenmappe wieder erscheinen. Dann begab sich die Gesellschaft in den anstoßenden Salon, und Dorothea setzte sich an den Flügel, um Lieder vorzutragen, welche sie selbst auf dem Instrumente begleitete, Ihre Stimme war schön und rein, eine klangvolle Sopranstimme, Sie sang ein Lied von Schumann, und die edeln Empfindungen dieses Meisters der Tonkunst gewannen eine» herrlichen Ausdruck durch der Sängerin innigen Vor¬ trag und bewegten Eberhardts Herz, Er saß in sich versunken in einer fernen Fensternische und blickte zum sternbesäeten Nachthimmel hinauf, während die Tonwellen erregend durch seine Seele zogen, Vergangenheit und Zukunft vergaß er, diesen Tönen hingegeben, und sein Denken verschwamm ganz in die Empfin¬ dung des Schönen. Als die Sängerin schwieg, weckte ihn des Barons Stimme aus seinem Sinnen, Dorothea meinte auf der Reise, sagte diese tiefe, etwas bärbeißige Stimme, sie würde ihr bischen Musik aus Mangel an Übung ganz vergessen. Aber ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/229>, abgerufen am 23.07.2024.