Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Politische Briefe.

land vorstellt, nämlich so, daß die Partei die Minister wie einsetzt, so inspirirt,
erklärlich.

Als Fürst Bismarck Herrn von Bennigsen in das Ministerium ziehen wollte,
hatte er natürlich nicht an die Einsetzung einer Parteiregierung nach der un¬
möglichen, in Deutschland herrschenden Einbildung einer solchen gedacht. Er
hatte geglaubt, der Name und die Persönlichkeit des Herrn von Bennigsen würde
dem nationalen und liberalen Teile des deutschen Volkes eine Bürgschaft sein,
daß bei der umufschieblich gewordnen Ausbildung neuer zusammenballender In¬
stitutionen an keine Entfremdung von den wahren Bedürfnissen des Volksgeistes,
sondern nur an die Bewahrung derselben in der Erfüllung der zwingenden
Gebote der Gesamtlnge zu denken sei. Als Herr von Bennigsen der Einladung
des Kanzlers das Programm des Liberalismus entgegenstellte, war er der treue
Dolmetsch des letztern in seiner damaligen Geistesverfassung und Zukunftsansicht.
Aber Fürst Bismarck konnte ans diesem Programm nur entnehmen, daß die
Fortbildung des deutscheu Reichs dem Liberalismus anvertrauen diese Schöpfung
in Todesgefahr stürzen heißen würde. Ebenso sehr wie das "Niemals," das
sein kaiserlicher Herr im April auf das Entlassungsgesuch geschrieben hatte,
mußte die Beurteilung der Frage, über die auch der nationale Liberalismus sich
nicht erhöht dem Fürsten die Notwendigkeit einprägen, sich seinem großen, aber
nach der Beschaffenheit des Materials noch so gebrechlichen Werke bis zum
letzten Atemzug zu weihen.

Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Sie haben, wie es scheint, vielleicht
nur auf der Oberslüche scheint, eine immer steigende Entfremdung zwischen dem
Reichskanzler und der Gesamtheit der im nationalen Liberalismus zusammen¬
gefaßten Richtungen an den Tag gebracht. ,

Es waren fünf Ziele der innern Politik, auf welche das Auge des Fürsten
zunächst gelenkt war, die Svzialreform, wenigstens in den dringendsten und
nächsten Forderungen, und als Bedingung derselben die Zollreform; ferner die
Preußische Verwaltungsorganisation und die^ Sicherstellung des Steuerwesens
im Reich und in den Einzelstaaten; endlich die Eisenbahnrcform, d. h. die
Konsolidation der Eisenbahnen durch ihren Übergang in Reichshand.

Die Zollreform ist dem Fürsten nicht, wie man wohl zuweilen behauptet
hat, nur ein Mittel gewesen, um die Stimmen zur Vermehrung der Reichs¬
emnahmen zusammenzubringen. Der Fürst erkannte vielmehr, daß jede Sozial¬
reform, d. h. jeder Versuch, auf die richtige Verteilung des Volkswohlstandes
einzuwirken, vergeblich sein müsse, wenn die Quellen des Wohlstandes einem lecken
Fasst gleichen, das im unaufhaltsamen Auslaufen begriffen ist. Der Fürst glaubte
für die Schädigung wichtiger Quellen des nationalen Wohlstandes durch die
Unbeschränktheit der fremden Einfuhr deutliche Zeichen zu haben. Diese Wahr¬
nehmungen bestimmten ihn, die Rückkehr zu einem gewissen Schutzzollsystem in
Angriff zu nehmen. Vielleicht hat bei der Erwägung dieses Entschlusses das


Politische Briefe.

land vorstellt, nämlich so, daß die Partei die Minister wie einsetzt, so inspirirt,
erklärlich.

Als Fürst Bismarck Herrn von Bennigsen in das Ministerium ziehen wollte,
hatte er natürlich nicht an die Einsetzung einer Parteiregierung nach der un¬
möglichen, in Deutschland herrschenden Einbildung einer solchen gedacht. Er
hatte geglaubt, der Name und die Persönlichkeit des Herrn von Bennigsen würde
dem nationalen und liberalen Teile des deutschen Volkes eine Bürgschaft sein,
daß bei der umufschieblich gewordnen Ausbildung neuer zusammenballender In¬
stitutionen an keine Entfremdung von den wahren Bedürfnissen des Volksgeistes,
sondern nur an die Bewahrung derselben in der Erfüllung der zwingenden
Gebote der Gesamtlnge zu denken sei. Als Herr von Bennigsen der Einladung
des Kanzlers das Programm des Liberalismus entgegenstellte, war er der treue
Dolmetsch des letztern in seiner damaligen Geistesverfassung und Zukunftsansicht.
Aber Fürst Bismarck konnte ans diesem Programm nur entnehmen, daß die
Fortbildung des deutscheu Reichs dem Liberalismus anvertrauen diese Schöpfung
in Todesgefahr stürzen heißen würde. Ebenso sehr wie das „Niemals," das
sein kaiserlicher Herr im April auf das Entlassungsgesuch geschrieben hatte,
mußte die Beurteilung der Frage, über die auch der nationale Liberalismus sich
nicht erhöht dem Fürsten die Notwendigkeit einprägen, sich seinem großen, aber
nach der Beschaffenheit des Materials noch so gebrechlichen Werke bis zum
letzten Atemzug zu weihen.

Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Sie haben, wie es scheint, vielleicht
nur auf der Oberslüche scheint, eine immer steigende Entfremdung zwischen dem
Reichskanzler und der Gesamtheit der im nationalen Liberalismus zusammen¬
gefaßten Richtungen an den Tag gebracht. ,

Es waren fünf Ziele der innern Politik, auf welche das Auge des Fürsten
zunächst gelenkt war, die Svzialreform, wenigstens in den dringendsten und
nächsten Forderungen, und als Bedingung derselben die Zollreform; ferner die
Preußische Verwaltungsorganisation und die^ Sicherstellung des Steuerwesens
im Reich und in den Einzelstaaten; endlich die Eisenbahnrcform, d. h. die
Konsolidation der Eisenbahnen durch ihren Übergang in Reichshand.

Die Zollreform ist dem Fürsten nicht, wie man wohl zuweilen behauptet
hat, nur ein Mittel gewesen, um die Stimmen zur Vermehrung der Reichs¬
emnahmen zusammenzubringen. Der Fürst erkannte vielmehr, daß jede Sozial¬
reform, d. h. jeder Versuch, auf die richtige Verteilung des Volkswohlstandes
einzuwirken, vergeblich sein müsse, wenn die Quellen des Wohlstandes einem lecken
Fasst gleichen, das im unaufhaltsamen Auslaufen begriffen ist. Der Fürst glaubte
für die Schädigung wichtiger Quellen des nationalen Wohlstandes durch die
Unbeschränktheit der fremden Einfuhr deutliche Zeichen zu haben. Diese Wahr¬
nehmungen bestimmten ihn, die Rückkehr zu einem gewissen Schutzzollsystem in
Angriff zu nehmen. Vielleicht hat bei der Erwägung dieses Entschlusses das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/151748"/>
          <fw type="header" place="top"> Politische Briefe.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_701" prev="#ID_700"> land vorstellt, nämlich so, daß die Partei die Minister wie einsetzt, so inspirirt,<lb/>
erklärlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_702"> Als Fürst Bismarck Herrn von Bennigsen in das Ministerium ziehen wollte,<lb/>
hatte er natürlich nicht an die Einsetzung einer Parteiregierung nach der un¬<lb/>
möglichen, in Deutschland herrschenden Einbildung einer solchen gedacht. Er<lb/>
hatte geglaubt, der Name und die Persönlichkeit des Herrn von Bennigsen würde<lb/>
dem nationalen und liberalen Teile des deutschen Volkes eine Bürgschaft sein,<lb/>
daß bei der umufschieblich gewordnen Ausbildung neuer zusammenballender In¬<lb/>
stitutionen an keine Entfremdung von den wahren Bedürfnissen des Volksgeistes,<lb/>
sondern nur an die Bewahrung derselben in der Erfüllung der zwingenden<lb/>
Gebote der Gesamtlnge zu denken sei. Als Herr von Bennigsen der Einladung<lb/>
des Kanzlers das Programm des Liberalismus entgegenstellte, war er der treue<lb/>
Dolmetsch des letztern in seiner damaligen Geistesverfassung und Zukunftsansicht.<lb/>
Aber Fürst Bismarck konnte ans diesem Programm nur entnehmen, daß die<lb/>
Fortbildung des deutscheu Reichs dem Liberalismus anvertrauen diese Schöpfung<lb/>
in Todesgefahr stürzen heißen würde. Ebenso sehr wie das &#x201E;Niemals," das<lb/>
sein kaiserlicher Herr im April auf das Entlassungsgesuch geschrieben hatte,<lb/>
mußte die Beurteilung der Frage, über die auch der nationale Liberalismus sich<lb/>
nicht erhöht dem Fürsten die Notwendigkeit einprägen, sich seinem großen, aber<lb/>
nach der Beschaffenheit des Materials noch so gebrechlichen Werke bis zum<lb/>
letzten Atemzug zu weihen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_703"> Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Sie haben, wie es scheint, vielleicht<lb/>
nur auf der Oberslüche scheint, eine immer steigende Entfremdung zwischen dem<lb/>
Reichskanzler und der Gesamtheit der im nationalen Liberalismus zusammen¬<lb/>
gefaßten Richtungen an den Tag gebracht. ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_704"> Es waren fünf Ziele der innern Politik, auf welche das Auge des Fürsten<lb/>
zunächst gelenkt war, die Svzialreform, wenigstens in den dringendsten und<lb/>
nächsten Forderungen, und als Bedingung derselben die Zollreform; ferner die<lb/>
Preußische Verwaltungsorganisation und die^ Sicherstellung des Steuerwesens<lb/>
im Reich und in den Einzelstaaten; endlich die Eisenbahnrcform, d. h. die<lb/>
Konsolidation der Eisenbahnen durch ihren Übergang in Reichshand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_705" next="#ID_706"> Die Zollreform ist dem Fürsten nicht, wie man wohl zuweilen behauptet<lb/>
hat, nur ein Mittel gewesen, um die Stimmen zur Vermehrung der Reichs¬<lb/>
emnahmen zusammenzubringen. Der Fürst erkannte vielmehr, daß jede Sozial¬<lb/>
reform, d. h. jeder Versuch, auf die richtige Verteilung des Volkswohlstandes<lb/>
einzuwirken, vergeblich sein müsse, wenn die Quellen des Wohlstandes einem lecken<lb/>
Fasst gleichen, das im unaufhaltsamen Auslaufen begriffen ist. Der Fürst glaubte<lb/>
für die Schädigung wichtiger Quellen des nationalen Wohlstandes durch die<lb/>
Unbeschränktheit der fremden Einfuhr deutliche Zeichen zu haben. Diese Wahr¬<lb/>
nehmungen bestimmten ihn, die Rückkehr zu einem gewissen Schutzzollsystem in<lb/>
Angriff zu nehmen. Vielleicht hat bei der Erwägung dieses Entschlusses das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] Politische Briefe. land vorstellt, nämlich so, daß die Partei die Minister wie einsetzt, so inspirirt, erklärlich. Als Fürst Bismarck Herrn von Bennigsen in das Ministerium ziehen wollte, hatte er natürlich nicht an die Einsetzung einer Parteiregierung nach der un¬ möglichen, in Deutschland herrschenden Einbildung einer solchen gedacht. Er hatte geglaubt, der Name und die Persönlichkeit des Herrn von Bennigsen würde dem nationalen und liberalen Teile des deutschen Volkes eine Bürgschaft sein, daß bei der umufschieblich gewordnen Ausbildung neuer zusammenballender In¬ stitutionen an keine Entfremdung von den wahren Bedürfnissen des Volksgeistes, sondern nur an die Bewahrung derselben in der Erfüllung der zwingenden Gebote der Gesamtlnge zu denken sei. Als Herr von Bennigsen der Einladung des Kanzlers das Programm des Liberalismus entgegenstellte, war er der treue Dolmetsch des letztern in seiner damaligen Geistesverfassung und Zukunftsansicht. Aber Fürst Bismarck konnte ans diesem Programm nur entnehmen, daß die Fortbildung des deutscheu Reichs dem Liberalismus anvertrauen diese Schöpfung in Todesgefahr stürzen heißen würde. Ebenso sehr wie das „Niemals," das sein kaiserlicher Herr im April auf das Entlassungsgesuch geschrieben hatte, mußte die Beurteilung der Frage, über die auch der nationale Liberalismus sich nicht erhöht dem Fürsten die Notwendigkeit einprägen, sich seinem großen, aber nach der Beschaffenheit des Materials noch so gebrechlichen Werke bis zum letzten Atemzug zu weihen. Seitdem sind fünf Jahre vergangen. Sie haben, wie es scheint, vielleicht nur auf der Oberslüche scheint, eine immer steigende Entfremdung zwischen dem Reichskanzler und der Gesamtheit der im nationalen Liberalismus zusammen¬ gefaßten Richtungen an den Tag gebracht. , Es waren fünf Ziele der innern Politik, auf welche das Auge des Fürsten zunächst gelenkt war, die Svzialreform, wenigstens in den dringendsten und nächsten Forderungen, und als Bedingung derselben die Zollreform; ferner die Preußische Verwaltungsorganisation und die^ Sicherstellung des Steuerwesens im Reich und in den Einzelstaaten; endlich die Eisenbahnrcform, d. h. die Konsolidation der Eisenbahnen durch ihren Übergang in Reichshand. Die Zollreform ist dem Fürsten nicht, wie man wohl zuweilen behauptet hat, nur ein Mittel gewesen, um die Stimmen zur Vermehrung der Reichs¬ emnahmen zusammenzubringen. Der Fürst erkannte vielmehr, daß jede Sozial¬ reform, d. h. jeder Versuch, auf die richtige Verteilung des Volkswohlstandes einzuwirken, vergeblich sein müsse, wenn die Quellen des Wohlstandes einem lecken Fasst gleichen, das im unaufhaltsamen Auslaufen begriffen ist. Der Fürst glaubte für die Schädigung wichtiger Quellen des nationalen Wohlstandes durch die Unbeschränktheit der fremden Einfuhr deutliche Zeichen zu haben. Diese Wahr¬ nehmungen bestimmten ihn, die Rückkehr zu einem gewissen Schutzzollsystem in Angriff zu nehmen. Vielleicht hat bei der Erwägung dieses Entschlusses das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/219>, abgerufen am 03.07.2024.