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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Anton Lutterbeck.

Daß ein solcher Mann, trotz seiner glühenden Liebe zur katholischen Kirche,
nicht mit den mannichfachen Äußerlichkeiten und Absonderlichkeiten -- um keine
härteren Ausdrücke zu gebrauchen --, in denen so viele Katholiken das Wesen
des Katholizismus sehen, und noch weniger mit dem hierarchischen Streben, in
Summa mit dein ganzen Ultramontanismus, wie er durch jesuitischen Einfluß
seit einigen Jahrzehnten sich wieder in Deutschland geltend macht, einver¬
standen sein konnte, ist selbstverständlich, und so hat er denn in Gemeinschaft
mit den andern Mitgliedern der im ganzen dieselbe Richtung verfolgenden
Gießener, katholischen Fakultät das Ideal eines Katholizismus erstrebt, der
ebenso der Wissenschaft und den Staatsgesetzen als der evangelischen Kirche
gerecht werde. Daher sein Kampf für eine bessere wissenschaftliche Bildung des
katholischen Klerus gegen die Bildung in den bischöflichen Seminarien, welche
uur als Ersatz zulässig sein sollten, wo keine Universitntsbildung möglich sei.
Daher aber auch die Brandlegung oder Aufhebung der katholischen Fakultät in
"Gießen durch den ultramontanen Bischof Ketteler in Mainz, weil wahre Wissen¬
schaft, die ja keineswegs unchristlich ist, Friede mit dem Staate und der evan¬
gelischen Kirche vom Standpunkte des römischen Katholizismus unmöglich ist.
Äußerlich ist freilich Lutterbeck unterlegen, aber was er in diesem Kampfe ge¬
leistet, das und vornehmlich seine "Geschichte der katholisch-theologischen Fakultät
zu Gießen" wird ein Pfahl im Fleische des Ultramontanismus bleiben.

Nach alledem ist es begreiflich, daß Lutterbeck nicht ungewiß sein konnte,
welche Stellung er zum Schutze des wahren Katholizismus gegen die Ungeheuer¬
lichkeit des Jnfallibilitätsdogmas als Fälschung des wahren Katholizismus ein¬
zunehmen habe. Er gehört zu den vortrefflichen Männern, welche ihr besseres
Wissen und Gewissen höher gestellt haben als die Unwahrheit, und so hat er
als würdiger, ebenbürtiger Kampfgenosse eines Döllinger, Friedrich, Huber,
Reinkens n. a. für die wirklich katholische Wahrheit ein mannhaftes Zeugnis
abgelegt -- namentlich durch sein Sendschreiben an Pius IX. --, dessen Eindruck
bleiben wird. Freilich hat er, wie seine Freunde und Parteigenossen, erst all¬
mählich erkannt, daß ihr Streben mit der Herrschaft Roms über die Kirche bei
dem Jndifferentismus oder der Schwäche der sogenannten Gebildeten und bei
der Urteilslosigkeit der Massen unvereinbar sei, aber er hat noch die Trennung
der Altkatholiken von Rom als die endliche sichere Bürgschaft für die Rettung
des wahren Katholizismus, dem die Zukunft gehört, begrüßt.

Mit Lutterbeck ist in Gießen eine ehrwürdige Gestalt geschieden, welche die
Erinnerung verkörperte an die eine Zeit lang so blühende Gießener katholisch-
theologische Fakultät, an der so ausgezeichnete Männer wie Standenmayer,
Kühn, Luft, Leopold Schmid, Scharf vor und mit ihn: gewirkt haben.




Anton Lutterbeck.

Daß ein solcher Mann, trotz seiner glühenden Liebe zur katholischen Kirche,
nicht mit den mannichfachen Äußerlichkeiten und Absonderlichkeiten — um keine
härteren Ausdrücke zu gebrauchen —, in denen so viele Katholiken das Wesen
des Katholizismus sehen, und noch weniger mit dem hierarchischen Streben, in
Summa mit dein ganzen Ultramontanismus, wie er durch jesuitischen Einfluß
seit einigen Jahrzehnten sich wieder in Deutschland geltend macht, einver¬
standen sein konnte, ist selbstverständlich, und so hat er denn in Gemeinschaft
mit den andern Mitgliedern der im ganzen dieselbe Richtung verfolgenden
Gießener, katholischen Fakultät das Ideal eines Katholizismus erstrebt, der
ebenso der Wissenschaft und den Staatsgesetzen als der evangelischen Kirche
gerecht werde. Daher sein Kampf für eine bessere wissenschaftliche Bildung des
katholischen Klerus gegen die Bildung in den bischöflichen Seminarien, welche
uur als Ersatz zulässig sein sollten, wo keine Universitntsbildung möglich sei.
Daher aber auch die Brandlegung oder Aufhebung der katholischen Fakultät in
"Gießen durch den ultramontanen Bischof Ketteler in Mainz, weil wahre Wissen¬
schaft, die ja keineswegs unchristlich ist, Friede mit dem Staate und der evan¬
gelischen Kirche vom Standpunkte des römischen Katholizismus unmöglich ist.
Äußerlich ist freilich Lutterbeck unterlegen, aber was er in diesem Kampfe ge¬
leistet, das und vornehmlich seine „Geschichte der katholisch-theologischen Fakultät
zu Gießen" wird ein Pfahl im Fleische des Ultramontanismus bleiben.

Nach alledem ist es begreiflich, daß Lutterbeck nicht ungewiß sein konnte,
welche Stellung er zum Schutze des wahren Katholizismus gegen die Ungeheuer¬
lichkeit des Jnfallibilitätsdogmas als Fälschung des wahren Katholizismus ein¬
zunehmen habe. Er gehört zu den vortrefflichen Männern, welche ihr besseres
Wissen und Gewissen höher gestellt haben als die Unwahrheit, und so hat er
als würdiger, ebenbürtiger Kampfgenosse eines Döllinger, Friedrich, Huber,
Reinkens n. a. für die wirklich katholische Wahrheit ein mannhaftes Zeugnis
abgelegt — namentlich durch sein Sendschreiben an Pius IX. —, dessen Eindruck
bleiben wird. Freilich hat er, wie seine Freunde und Parteigenossen, erst all¬
mählich erkannt, daß ihr Streben mit der Herrschaft Roms über die Kirche bei
dem Jndifferentismus oder der Schwäche der sogenannten Gebildeten und bei
der Urteilslosigkeit der Massen unvereinbar sei, aber er hat noch die Trennung
der Altkatholiken von Rom als die endliche sichere Bürgschaft für die Rettung
des wahren Katholizismus, dem die Zukunft gehört, begrüßt.

Mit Lutterbeck ist in Gießen eine ehrwürdige Gestalt geschieden, welche die
Erinnerung verkörperte an die eine Zeit lang so blühende Gießener katholisch-
theologische Fakultät, an der so ausgezeichnete Männer wie Standenmayer,
Kühn, Luft, Leopold Schmid, Scharf vor und mit ihn: gewirkt haben.




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[0215] Anton Lutterbeck. Daß ein solcher Mann, trotz seiner glühenden Liebe zur katholischen Kirche, nicht mit den mannichfachen Äußerlichkeiten und Absonderlichkeiten — um keine härteren Ausdrücke zu gebrauchen —, in denen so viele Katholiken das Wesen des Katholizismus sehen, und noch weniger mit dem hierarchischen Streben, in Summa mit dein ganzen Ultramontanismus, wie er durch jesuitischen Einfluß seit einigen Jahrzehnten sich wieder in Deutschland geltend macht, einver¬ standen sein konnte, ist selbstverständlich, und so hat er denn in Gemeinschaft mit den andern Mitgliedern der im ganzen dieselbe Richtung verfolgenden Gießener, katholischen Fakultät das Ideal eines Katholizismus erstrebt, der ebenso der Wissenschaft und den Staatsgesetzen als der evangelischen Kirche gerecht werde. Daher sein Kampf für eine bessere wissenschaftliche Bildung des katholischen Klerus gegen die Bildung in den bischöflichen Seminarien, welche uur als Ersatz zulässig sein sollten, wo keine Universitntsbildung möglich sei. Daher aber auch die Brandlegung oder Aufhebung der katholischen Fakultät in "Gießen durch den ultramontanen Bischof Ketteler in Mainz, weil wahre Wissen¬ schaft, die ja keineswegs unchristlich ist, Friede mit dem Staate und der evan¬ gelischen Kirche vom Standpunkte des römischen Katholizismus unmöglich ist. Äußerlich ist freilich Lutterbeck unterlegen, aber was er in diesem Kampfe ge¬ leistet, das und vornehmlich seine „Geschichte der katholisch-theologischen Fakultät zu Gießen" wird ein Pfahl im Fleische des Ultramontanismus bleiben. Nach alledem ist es begreiflich, daß Lutterbeck nicht ungewiß sein konnte, welche Stellung er zum Schutze des wahren Katholizismus gegen die Ungeheuer¬ lichkeit des Jnfallibilitätsdogmas als Fälschung des wahren Katholizismus ein¬ zunehmen habe. Er gehört zu den vortrefflichen Männern, welche ihr besseres Wissen und Gewissen höher gestellt haben als die Unwahrheit, und so hat er als würdiger, ebenbürtiger Kampfgenosse eines Döllinger, Friedrich, Huber, Reinkens n. a. für die wirklich katholische Wahrheit ein mannhaftes Zeugnis abgelegt — namentlich durch sein Sendschreiben an Pius IX. —, dessen Eindruck bleiben wird. Freilich hat er, wie seine Freunde und Parteigenossen, erst all¬ mählich erkannt, daß ihr Streben mit der Herrschaft Roms über die Kirche bei dem Jndifferentismus oder der Schwäche der sogenannten Gebildeten und bei der Urteilslosigkeit der Massen unvereinbar sei, aber er hat noch die Trennung der Altkatholiken von Rom als die endliche sichere Bürgschaft für die Rettung des wahren Katholizismus, dem die Zukunft gehört, begrüßt. Mit Lutterbeck ist in Gießen eine ehrwürdige Gestalt geschieden, welche die Erinnerung verkörperte an die eine Zeit lang so blühende Gießener katholisch- theologische Fakultät, an der so ausgezeichnete Männer wie Standenmayer, Kühn, Luft, Leopold Schmid, Scharf vor und mit ihn: gewirkt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/215>, abgerufen am 03.07.2024.