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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Krach.

neuen Faiseurs in ausgiebigster Weise benutzt. Kleinere und größere Krise"
jagten förmlich einander, und eine der ältern Firmen nach der andern erlag
dem neuen Finanzsystem. Es ist gewiß nicht wenig charakteristisch, daß ver¬
schiedene der letzten Repräsentanten der ältern größern Wiener Finanzfirmen mit
Schimpf und Schande auf die Flucht gingen und mehrfach steckbrieflich verfolgt
wurden. Mit welcher Wut damals in Wien die Agiotage betrieben wurde, er¬
hellt schon daraus, daß nicht nur die Börse täglich von 12 bis 4 Uhr geöffnet
war, sondern daß die Faiseurs von der Börse sofort nach dem Linzer Kaffee¬
haus stürzten und dort ihren "Handel" bis in die späte Nacht fortsetzten. Hier
bot sich auch die beste Gelegenheit, in das Publikum selbst überzugreifen und
dasselbe zum Börsenspiel zu verlocken. Rothschild, der selbst nicht im Linzer
Kaffeehaus erschien, stand mit diesem Treiben in unausgesetzter Verbindung, und
unausgesetzt gingen Boten zwischen seinem Quartier und der Grünangergasse,
in der das gedachte Kaffeehaus lag und die zu einer neuen Straße Quiucampoix
geworden war, hin und her.

Waren es während der ersten zwanzig Jahre der Rothschildschen Anwesen¬
heit in Paris und in Wien hauptsächlich die Staatsfinanzen, an denen sie sich
bereicherten, wozu allerdings noch verschiedene Nebengeschäfte traten (in Wien
die Gründung der Nationalbank, die von Rothschild sogleich zur ungeheuer¬
lichsten Gewinnschnciderei benutzt wurde), so trat mit dem Beginn des Eisen-
bahnbanes der Finanzschwindel in eine neue Phase, und durch sie hindurch ge¬
wann er jene fast unangreifbare Stellung, von welcher aus er die Staaten
Schritt für Schritt politisch zu unterwerfen im besten Begriff steht. Die
Tendenz, alle Beziehungen, zu denen der Finauzschwindel gelangt, ihm im
Sinne derv Gewinnreiterei zu unterwerfen, scheint überall hindurch. Selbst
auf dein Waaren- und Produktenmarkte gelang es Rothschild vermöge seines
finanziellen Einflusses auf die Staaten, bedeutende Positionen, die dann in ge¬
wohnter Weise ausgebeutet werden, zu erlangen. Nachdem z. B. Spanien ge¬
nötigt worden, die Quecksilberwerke von Almaden an Rothschild zu verpachten,
erfolgte sofort ein Kartell mit Österreich wegen der konkurrirenden Werke von
Jdria, vermöge dessen die Feststellung der Quecksilber- und Zinnoberprcise dem
Willen Rothschilds anheimgegeben wurde. Übrigens war es in Österreich die
Einführung der Lotterieanleihen, wodurch Rothschild seine Position zu¬
nächst begründete. Im Jahre 1820 wurde die erste dieser Anleihen abge¬
schlossen. Nicht weniger als sechs weitere Anleihen Österreichs bei Rothschild
folgten in den nächste" fünfundzwanzig Jahren. Durch sie allein gewann die
starre Politik Metternichs die Kraft, sich zu erhalten und die mitteleuropäischen
Lebensgeister so zu erschlaffen, daß sie der russischen Diktatur verfallen konnten-

Die Gefahren, welche einer wahrhaft sozialen Staatspolitik durch das
finanzielle Übergewicht der Kapitalkumulation drohen, sind von einsichtigen
Sozial- und Finanzpolitikern längst erkannt worden, und schon in der ersten


Der zweite Pariser Krach.

neuen Faiseurs in ausgiebigster Weise benutzt. Kleinere und größere Krise»
jagten förmlich einander, und eine der ältern Firmen nach der andern erlag
dem neuen Finanzsystem. Es ist gewiß nicht wenig charakteristisch, daß ver¬
schiedene der letzten Repräsentanten der ältern größern Wiener Finanzfirmen mit
Schimpf und Schande auf die Flucht gingen und mehrfach steckbrieflich verfolgt
wurden. Mit welcher Wut damals in Wien die Agiotage betrieben wurde, er¬
hellt schon daraus, daß nicht nur die Börse täglich von 12 bis 4 Uhr geöffnet
war, sondern daß die Faiseurs von der Börse sofort nach dem Linzer Kaffee¬
haus stürzten und dort ihren „Handel" bis in die späte Nacht fortsetzten. Hier
bot sich auch die beste Gelegenheit, in das Publikum selbst überzugreifen und
dasselbe zum Börsenspiel zu verlocken. Rothschild, der selbst nicht im Linzer
Kaffeehaus erschien, stand mit diesem Treiben in unausgesetzter Verbindung, und
unausgesetzt gingen Boten zwischen seinem Quartier und der Grünangergasse,
in der das gedachte Kaffeehaus lag und die zu einer neuen Straße Quiucampoix
geworden war, hin und her.

Waren es während der ersten zwanzig Jahre der Rothschildschen Anwesen¬
heit in Paris und in Wien hauptsächlich die Staatsfinanzen, an denen sie sich
bereicherten, wozu allerdings noch verschiedene Nebengeschäfte traten (in Wien
die Gründung der Nationalbank, die von Rothschild sogleich zur ungeheuer¬
lichsten Gewinnschnciderei benutzt wurde), so trat mit dem Beginn des Eisen-
bahnbanes der Finanzschwindel in eine neue Phase, und durch sie hindurch ge¬
wann er jene fast unangreifbare Stellung, von welcher aus er die Staaten
Schritt für Schritt politisch zu unterwerfen im besten Begriff steht. Die
Tendenz, alle Beziehungen, zu denen der Finauzschwindel gelangt, ihm im
Sinne derv Gewinnreiterei zu unterwerfen, scheint überall hindurch. Selbst
auf dein Waaren- und Produktenmarkte gelang es Rothschild vermöge seines
finanziellen Einflusses auf die Staaten, bedeutende Positionen, die dann in ge¬
wohnter Weise ausgebeutet werden, zu erlangen. Nachdem z. B. Spanien ge¬
nötigt worden, die Quecksilberwerke von Almaden an Rothschild zu verpachten,
erfolgte sofort ein Kartell mit Österreich wegen der konkurrirenden Werke von
Jdria, vermöge dessen die Feststellung der Quecksilber- und Zinnoberprcise dem
Willen Rothschilds anheimgegeben wurde. Übrigens war es in Österreich die
Einführung der Lotterieanleihen, wodurch Rothschild seine Position zu¬
nächst begründete. Im Jahre 1820 wurde die erste dieser Anleihen abge¬
schlossen. Nicht weniger als sechs weitere Anleihen Österreichs bei Rothschild
folgten in den nächste» fünfundzwanzig Jahren. Durch sie allein gewann die
starre Politik Metternichs die Kraft, sich zu erhalten und die mitteleuropäischen
Lebensgeister so zu erschlaffen, daß sie der russischen Diktatur verfallen konnten-

Die Gefahren, welche einer wahrhaft sozialen Staatspolitik durch das
finanzielle Übergewicht der Kapitalkumulation drohen, sind von einsichtigen
Sozial- und Finanzpolitikern längst erkannt worden, und schon in der ersten


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[0197] Der zweite Pariser Krach. neuen Faiseurs in ausgiebigster Weise benutzt. Kleinere und größere Krise» jagten förmlich einander, und eine der ältern Firmen nach der andern erlag dem neuen Finanzsystem. Es ist gewiß nicht wenig charakteristisch, daß ver¬ schiedene der letzten Repräsentanten der ältern größern Wiener Finanzfirmen mit Schimpf und Schande auf die Flucht gingen und mehrfach steckbrieflich verfolgt wurden. Mit welcher Wut damals in Wien die Agiotage betrieben wurde, er¬ hellt schon daraus, daß nicht nur die Börse täglich von 12 bis 4 Uhr geöffnet war, sondern daß die Faiseurs von der Börse sofort nach dem Linzer Kaffee¬ haus stürzten und dort ihren „Handel" bis in die späte Nacht fortsetzten. Hier bot sich auch die beste Gelegenheit, in das Publikum selbst überzugreifen und dasselbe zum Börsenspiel zu verlocken. Rothschild, der selbst nicht im Linzer Kaffeehaus erschien, stand mit diesem Treiben in unausgesetzter Verbindung, und unausgesetzt gingen Boten zwischen seinem Quartier und der Grünangergasse, in der das gedachte Kaffeehaus lag und die zu einer neuen Straße Quiucampoix geworden war, hin und her. Waren es während der ersten zwanzig Jahre der Rothschildschen Anwesen¬ heit in Paris und in Wien hauptsächlich die Staatsfinanzen, an denen sie sich bereicherten, wozu allerdings noch verschiedene Nebengeschäfte traten (in Wien die Gründung der Nationalbank, die von Rothschild sogleich zur ungeheuer¬ lichsten Gewinnschnciderei benutzt wurde), so trat mit dem Beginn des Eisen- bahnbanes der Finanzschwindel in eine neue Phase, und durch sie hindurch ge¬ wann er jene fast unangreifbare Stellung, von welcher aus er die Staaten Schritt für Schritt politisch zu unterwerfen im besten Begriff steht. Die Tendenz, alle Beziehungen, zu denen der Finauzschwindel gelangt, ihm im Sinne derv Gewinnreiterei zu unterwerfen, scheint überall hindurch. Selbst auf dein Waaren- und Produktenmarkte gelang es Rothschild vermöge seines finanziellen Einflusses auf die Staaten, bedeutende Positionen, die dann in ge¬ wohnter Weise ausgebeutet werden, zu erlangen. Nachdem z. B. Spanien ge¬ nötigt worden, die Quecksilberwerke von Almaden an Rothschild zu verpachten, erfolgte sofort ein Kartell mit Österreich wegen der konkurrirenden Werke von Jdria, vermöge dessen die Feststellung der Quecksilber- und Zinnoberprcise dem Willen Rothschilds anheimgegeben wurde. Übrigens war es in Österreich die Einführung der Lotterieanleihen, wodurch Rothschild seine Position zu¬ nächst begründete. Im Jahre 1820 wurde die erste dieser Anleihen abge¬ schlossen. Nicht weniger als sechs weitere Anleihen Österreichs bei Rothschild folgten in den nächste» fünfundzwanzig Jahren. Durch sie allein gewann die starre Politik Metternichs die Kraft, sich zu erhalten und die mitteleuropäischen Lebensgeister so zu erschlaffen, daß sie der russischen Diktatur verfallen konnten- Die Gefahren, welche einer wahrhaft sozialen Staatspolitik durch das finanzielle Übergewicht der Kapitalkumulation drohen, sind von einsichtigen Sozial- und Finanzpolitikern längst erkannt worden, und schon in der ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/197>, abgerufen am 26.06.2024.