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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Der zweite Pariser Rrach.

lichen Finanzen nicht minder unumschränkt wie die der großen westlichen Mächte
und die der kleinen deutschen Staaten. Letztere dirigirte er von Fmnkfnrt
aus. Von Neapel aus wurden die italienischen Staaten geleitet. In England,
wo die Ansiedlung schon im vorigen Jahrhundert (1798) erfolgt war, gelang es
Rothschild allerdings nicht wie in den andern Staaten, ausschließliche Herrschaft
in den finanziellen Angelegenheiten und damit maßgebenden Einfluß auf die Politik
zu gewinnen. Umso bedeutender wurde sein Einfluß in Wien, wo er binnen
"venigen Jahren zur größten Macht emporstieg.

In Österreich waren freilich die Finauzverhältnisse noch verwirrter als in
Frankreich beim Sturze Napoleons. Wenige Jahre nachher verschlang bereits
die Verzinsung der österreichischen Staatsschulden ein Dritten aller Staatsein¬
nahmen. Um diese Zeit kam Rothschild nach Wien und gab dort zunächst Gast¬
rollen, er ließ sich noch nicht häuslich nieder, sondern agirte Jahre lang vom Gast¬
hofe aus, immer bereit, vor einem etwaigen Ungefähr schleunigst zu verschwinden.
Möglich, daß er seine eignen Volksgenossen fürchtete. Deun diese hatten sich
selten des österreichischen Hofes, weil sie ihm "sehr nützlich" waren, stets besondrer
Bevorzugung erfreut, obgleich hie und da doch schon recht böse Erfahrungen
mit ihnen gemacht worden waren, so z. B. im Jahre 1667 mit Hirschel Mayer,
der den Kaiser Leopold um nicht weniger als 2 20V 000 Gulden betrogen hatte.*)

Schon während der vorbereitenden Gastrolle in Wien stellte Rothschild alle
altgesessenen Finanzhäuser in tiefen Schatten; er zeigte sich bald als Virtuos
im "Differenziren." Man berechnet, daß Rothschild aus den amortisirten öster¬
reichischen Papieren durchschnittlich mehr als 40 Prozent herausschlug. An
Mitteln dazu fehlte es ihm nicht. Er hatte jetzt nicht nur den Kurfürsten von
Hessen an der Seite, sondern auch den deutschen Bund, der ihm seine für den
Festungsbau bestimmten Millionen fast ohne Zinsen überließ. Bald nahm der
Finanzverkehr am Wiener Platze den Charakter reiner Räuberei an. Die wüste
Agiotage, welche Rothschild aufbrachte und in größter Hitze betrieb, stellte alle
Verhältnisse auf den Kopf. Er richtete ein förmliches Bureau für Schein¬
geschäfte ein. Dieses hatte einen Chef, der, wie man sagte, mit 12 000 Gulden
jährlich bezahlt wurde, und eine Anzahl von Agenten, welche an der Börse
nach den Instruktionen Rothschilds "handelten." Die Bankiers und das speku¬
lative Publikum, die nach alter Regel "kauften und verkauften," wußten natürlich
gar nicht, wie ihnen geschah. Die Kurse, die bisher nur unter Einflüssen realer
Art geschwankt hatten, verloren jede Spur von Stetigkeit. Die ungeheuer-
lichsten Gerüchte tauchten plötzlich und unvermittelt auf und wurden von den



*) Wie dem, bekanntlich auch Kaiser Josef II. den Bankier Josef Michael Arnstein im
Jahre 1783 zum Baron gemacht hatte, den ersten einer seitdem sehr zahlreich gewordenen
Sippe. Franz II. begnügte sich damit nicht einmal; er ernannte den "Baron" schon 1793
zum "Reichsfrcihcrrn"! Und wahrend des Wiener Kongresses glänzten auch die Arnstein
und Eskcles durch ihre Damen (nos Jtzig aus Berlin) und durch ihre prachtvollen Feste.
Der zweite Pariser Rrach.

lichen Finanzen nicht minder unumschränkt wie die der großen westlichen Mächte
und die der kleinen deutschen Staaten. Letztere dirigirte er von Fmnkfnrt
aus. Von Neapel aus wurden die italienischen Staaten geleitet. In England,
wo die Ansiedlung schon im vorigen Jahrhundert (1798) erfolgt war, gelang es
Rothschild allerdings nicht wie in den andern Staaten, ausschließliche Herrschaft
in den finanziellen Angelegenheiten und damit maßgebenden Einfluß auf die Politik
zu gewinnen. Umso bedeutender wurde sein Einfluß in Wien, wo er binnen
»venigen Jahren zur größten Macht emporstieg.

In Österreich waren freilich die Finauzverhältnisse noch verwirrter als in
Frankreich beim Sturze Napoleons. Wenige Jahre nachher verschlang bereits
die Verzinsung der österreichischen Staatsschulden ein Dritten aller Staatsein¬
nahmen. Um diese Zeit kam Rothschild nach Wien und gab dort zunächst Gast¬
rollen, er ließ sich noch nicht häuslich nieder, sondern agirte Jahre lang vom Gast¬
hofe aus, immer bereit, vor einem etwaigen Ungefähr schleunigst zu verschwinden.
Möglich, daß er seine eignen Volksgenossen fürchtete. Deun diese hatten sich
selten des österreichischen Hofes, weil sie ihm „sehr nützlich" waren, stets besondrer
Bevorzugung erfreut, obgleich hie und da doch schon recht böse Erfahrungen
mit ihnen gemacht worden waren, so z. B. im Jahre 1667 mit Hirschel Mayer,
der den Kaiser Leopold um nicht weniger als 2 20V 000 Gulden betrogen hatte.*)

Schon während der vorbereitenden Gastrolle in Wien stellte Rothschild alle
altgesessenen Finanzhäuser in tiefen Schatten; er zeigte sich bald als Virtuos
im „Differenziren." Man berechnet, daß Rothschild aus den amortisirten öster¬
reichischen Papieren durchschnittlich mehr als 40 Prozent herausschlug. An
Mitteln dazu fehlte es ihm nicht. Er hatte jetzt nicht nur den Kurfürsten von
Hessen an der Seite, sondern auch den deutschen Bund, der ihm seine für den
Festungsbau bestimmten Millionen fast ohne Zinsen überließ. Bald nahm der
Finanzverkehr am Wiener Platze den Charakter reiner Räuberei an. Die wüste
Agiotage, welche Rothschild aufbrachte und in größter Hitze betrieb, stellte alle
Verhältnisse auf den Kopf. Er richtete ein förmliches Bureau für Schein¬
geschäfte ein. Dieses hatte einen Chef, der, wie man sagte, mit 12 000 Gulden
jährlich bezahlt wurde, und eine Anzahl von Agenten, welche an der Börse
nach den Instruktionen Rothschilds „handelten." Die Bankiers und das speku¬
lative Publikum, die nach alter Regel „kauften und verkauften," wußten natürlich
gar nicht, wie ihnen geschah. Die Kurse, die bisher nur unter Einflüssen realer
Art geschwankt hatten, verloren jede Spur von Stetigkeit. Die ungeheuer-
lichsten Gerüchte tauchten plötzlich und unvermittelt auf und wurden von den



*) Wie dem, bekanntlich auch Kaiser Josef II. den Bankier Josef Michael Arnstein im
Jahre 1783 zum Baron gemacht hatte, den ersten einer seitdem sehr zahlreich gewordenen
Sippe. Franz II. begnügte sich damit nicht einmal; er ernannte den „Baron" schon 1793
zum „Reichsfrcihcrrn"! Und wahrend des Wiener Kongresses glänzten auch die Arnstein
und Eskcles durch ihre Damen (nos Jtzig aus Berlin) und durch ihre prachtvollen Feste.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/196>, abgerufen am 28.09.2024.