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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Frankreich nach Gcimbettas Tode,

ihr Gedeihen gesichert hätte. Ein Bündnis der Westmächte würde ein ge¬
waltiger Faktor in der Welt und eine reiche Quelle von Macht sein. Ich
wollte es nicht dem politischen System des Fürsten Bismarcr gegenüberstelle",
aber neben dieses alles beherrschende System. Die andern Mächte würden
dabei das Gefühl ihrer Unabhängigkeit wiedergewonnen haben. Was die klei¬
neren Staaten anlangt, Portugal, Belgien, Holland, Dänemark, Schweden und
Norwegen, so würden diese sich allesamt um das Bündnis der Westmächte
geschaart haben. Dieses letztere würde der Republik ungeheure moralische Kraft
gebracht haben; denn die Republik würde dabei dnrch eine alte und hoch¬
geachtete Monarchie wieder in die Familie der europäischen Staaten ein¬
geführt worden sein.

Wäre Gambetta Minister und im Besitze des Vertrauens der Deputirten-
kammer geblieben, so würde die Welt England und Frankreich gemeinsam am
Nil interveniren gesehen haben, wie sie vor etwa dreißig Jahren Schulter an
Schulter gegen Rußland kämpften. Das wäre gewissermaßen ein Vorgeschmack
der Rache an Deutschland gewesen. Die bei Sedum geschlagene Armee würde
gemeinschaftlich mit den englischen Rvtröcken die Schanzen von Tel Et Kebir
gestürmt, und Zeitungsberichtcrstatter, Dichter und Maler würden nicht ermangelt
haben, die Heldenthat zu preisen und in den großen Versailler Speicher der
toutss Iss Aloirss as 1a?i'imoö zu bringen. Napoleons des Ersten "vierzig
Jahrhunderte" wären in neuer Auflage auf dem politischen Phrasenmarkte er¬
schienen, und triumphirende Illustrationen hätten die Pariser vergessen lassen,
daß ihre Stadt sich einmal den Deutschen ergeben und von ihnen besetzt worden.

Die Allianz mit England wurde von Gambetta herbeigesehnt und erstrebt;
aber wir dürfen fragen, ob sie auch von England gewünscht worden sei, Und
wir meinen das nicht bejahen zu können. Es war eine einseitige und folglich
eine unglückliche Liebe. Wenigstens war die ägyptische Frage nicht dazu an¬
gethan, die Engländer wünschen zu lassen, daß Frankreich sich bei der Losung
beteilige. Der französischen Eitelkeit würde es sicher sehr wohlgethan haben,
aber es fragt sich am Ende doch, ob die Kammer in Paris nicht verständig
verfahren ist, als sie ihr Veto gegen ein Unternehmen voll Wagnisse und gegen
eine Allianz einlegte, die gleich dem Bündnis Österreichs und Preußens im
letzten Schleswig - holsteinischen Kriege höchst wahrscheinlich nach kurzer Zeit zu
Hader und Entzweiung, wo uicht zu einem Kriege zwischen beiden Verbündeten
geführt haben würde.

"Für uns ist es klar, sagt ein englischer Politiker im VÄl^ rvlög'iApn,
daß wir durch den Fall Gcnnbettas, als er seinen Ministerposten aufzugeben
genötigt wurde, vor einer unbequemen Mitwirkung bewahrt wurden. Wir hätten
uns nicht weigern können, mit unsern Verbündeten zu handeln, aber befänden
sich jetzt französische Truppen in Ägypten, so würde unsre Lage, die jetzt bloß
eine schwierige ist, eine bedenkliche und gefährliche sein. Die dualistische Kor-


Frankreich nach Gcimbettas Tode,

ihr Gedeihen gesichert hätte. Ein Bündnis der Westmächte würde ein ge¬
waltiger Faktor in der Welt und eine reiche Quelle von Macht sein. Ich
wollte es nicht dem politischen System des Fürsten Bismarcr gegenüberstelle»,
aber neben dieses alles beherrschende System. Die andern Mächte würden
dabei das Gefühl ihrer Unabhängigkeit wiedergewonnen haben. Was die klei¬
neren Staaten anlangt, Portugal, Belgien, Holland, Dänemark, Schweden und
Norwegen, so würden diese sich allesamt um das Bündnis der Westmächte
geschaart haben. Dieses letztere würde der Republik ungeheure moralische Kraft
gebracht haben; denn die Republik würde dabei dnrch eine alte und hoch¬
geachtete Monarchie wieder in die Familie der europäischen Staaten ein¬
geführt worden sein.

Wäre Gambetta Minister und im Besitze des Vertrauens der Deputirten-
kammer geblieben, so würde die Welt England und Frankreich gemeinsam am
Nil interveniren gesehen haben, wie sie vor etwa dreißig Jahren Schulter an
Schulter gegen Rußland kämpften. Das wäre gewissermaßen ein Vorgeschmack
der Rache an Deutschland gewesen. Die bei Sedum geschlagene Armee würde
gemeinschaftlich mit den englischen Rvtröcken die Schanzen von Tel Et Kebir
gestürmt, und Zeitungsberichtcrstatter, Dichter und Maler würden nicht ermangelt
haben, die Heldenthat zu preisen und in den großen Versailler Speicher der
toutss Iss Aloirss as 1a?i'imoö zu bringen. Napoleons des Ersten „vierzig
Jahrhunderte" wären in neuer Auflage auf dem politischen Phrasenmarkte er¬
schienen, und triumphirende Illustrationen hätten die Pariser vergessen lassen,
daß ihre Stadt sich einmal den Deutschen ergeben und von ihnen besetzt worden.

Die Allianz mit England wurde von Gambetta herbeigesehnt und erstrebt;
aber wir dürfen fragen, ob sie auch von England gewünscht worden sei, Und
wir meinen das nicht bejahen zu können. Es war eine einseitige und folglich
eine unglückliche Liebe. Wenigstens war die ägyptische Frage nicht dazu an¬
gethan, die Engländer wünschen zu lassen, daß Frankreich sich bei der Losung
beteilige. Der französischen Eitelkeit würde es sicher sehr wohlgethan haben,
aber es fragt sich am Ende doch, ob die Kammer in Paris nicht verständig
verfahren ist, als sie ihr Veto gegen ein Unternehmen voll Wagnisse und gegen
eine Allianz einlegte, die gleich dem Bündnis Österreichs und Preußens im
letzten Schleswig - holsteinischen Kriege höchst wahrscheinlich nach kurzer Zeit zu
Hader und Entzweiung, wo uicht zu einem Kriege zwischen beiden Verbündeten
geführt haben würde.

„Für uns ist es klar, sagt ein englischer Politiker im VÄl^ rvlög'iApn,
daß wir durch den Fall Gcnnbettas, als er seinen Ministerposten aufzugeben
genötigt wurde, vor einer unbequemen Mitwirkung bewahrt wurden. Wir hätten
uns nicht weigern können, mit unsern Verbündeten zu handeln, aber befänden
sich jetzt französische Truppen in Ägypten, so würde unsre Lage, die jetzt bloß
eine schwierige ist, eine bedenkliche und gefährliche sein. Die dualistische Kor-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/184>, abgerufen am 25.08.2024.