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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Frankreich nach Gambettas Tode.

und der Schluß, zu dem man dabei fast allenthalben gelangte, lautete dahin,
daß es eine günstige Wirkung haben müsse. Mit andern Worten: man sah in
seinem Hingange die Bürgschaft für ein längeres Verbleiben des jetzigen Mini¬
steriums im Amte und eine bessere Aussicht auf Langlebigkeit für dessen Nach-
folger," Man war eine drückende Unsicherheit los. Das war genug für Leute,
die aus der Politik ein Handwerk machen und nur nach Raum für ihren Ehr¬
geiz ausschauen. Weiterblickende aber mußten sich vergegenwärtigen, daß der
Verlust eines Mannes, der, was auch seine Fehler gewesen sein mögen, vor
zwölf Jahren dem niedergeschmetterten Frankreich neuen Mut einzuflößen ver¬
stand und, obwohl damals ohne Erfahrung in Verwaltungssachen, Armeen aus
der Erde stampfte und der gewaltigsten Kriegsmacht, welche die Welt je gesehen,
immer von neuem unverzagt die Spitze bot, für die Tage einer großen innern
oder äußern Krisis von höchster Bedeutung werden könne. Solcher Denker
aber scheint es nach jenem Beobachter jetzt in Paris nicht viele zu geben. "Für
mich, sagt er, ists eine ausgemachte Sache, daß Gambetta auswärts weit höher
geachtet war als von seinen Landsleuten, und dürften wir einzig von den Pa¬
risern sprechen, so müßten wir sagen, er sei kaum ein Prophet in seinem Vater¬
lande gewesen."

Aber Paris ist nicht Frankreich. Von den Provinzen, wo das Leben lang¬
samer pulsirt, und wo man ernster zu denken pflegt, hörte man andre Berichte,
und hielt man dieselben zusammen, so konnte man nicht zweifeln, daß dort tiefe
Trauer über den Verlust des Mannes herrschte, den die Sylvesternacht zu den
Toten versammelt hatte. Das Herz des französischen Volkes ist darüber tief
bewegt, und es würde von sonderbarer Beschaffenheit sein, wenn es anders
wäre; denn selten hat ein Tod so ernst nicht bloß zu einer Nation, sondern zu
den Gemütern aller Menschen geredet. Er kam plötzlich und frühzeitig, er war
ein grausames Beispiel zu der Lehre von der Eitelkeit menschlichen Wollens und
Strebens, er predigte eindringlich, wie leicht zerbrechlich das Menschenleben,
wie sehr vom Zufall abhängig der Menschen Ehrgeiz ist, und welche Kleinig¬
keiten deu Gang der Geschichte unterbrechen und in andre Bahnen lenken können.
Lebhaft erinnert dieser Tod an einen andern, der vor einigen Jahren ein fürst¬
liches Leben im fernen Afrika auslöschte. Ein Schwarm heulender Zulukaffern
warf seine Speere aus einem Dickicht, und augenblicklich schloß die Geschichte einer
Dynastie, welche zweimal die Welt mit ihrem Rufe erfüllt hatte. Alle die
kühnen Hoffnungen, deren Mittelpunkt dieses junge Leben gewesen war, alle die
Pläne von hundert geschäftigen, Gehirnen, die sich an dasselbe knüpften, lagen
vereitelt mit ihm am Boden. Ähnlich ist das Beispiel von der Ironie des
Schicksals, das uns der Tod Gambettas vor die Augen hält. Es ist dieselbe
triviale Ursache und dieselbe hvchbedeutsame Wirkung. Eine Verwundung durch
ein unbehntsnm ergriffenes oder sonstwie behandeltes Pistol, und ein Leben,
das noch mehr zu versprechen schien als es geleistet, war dem Tode überant-


Frankreich nach Gambettas Tode.

und der Schluß, zu dem man dabei fast allenthalben gelangte, lautete dahin,
daß es eine günstige Wirkung haben müsse. Mit andern Worten: man sah in
seinem Hingange die Bürgschaft für ein längeres Verbleiben des jetzigen Mini¬
steriums im Amte und eine bessere Aussicht auf Langlebigkeit für dessen Nach-
folger," Man war eine drückende Unsicherheit los. Das war genug für Leute,
die aus der Politik ein Handwerk machen und nur nach Raum für ihren Ehr¬
geiz ausschauen. Weiterblickende aber mußten sich vergegenwärtigen, daß der
Verlust eines Mannes, der, was auch seine Fehler gewesen sein mögen, vor
zwölf Jahren dem niedergeschmetterten Frankreich neuen Mut einzuflößen ver¬
stand und, obwohl damals ohne Erfahrung in Verwaltungssachen, Armeen aus
der Erde stampfte und der gewaltigsten Kriegsmacht, welche die Welt je gesehen,
immer von neuem unverzagt die Spitze bot, für die Tage einer großen innern
oder äußern Krisis von höchster Bedeutung werden könne. Solcher Denker
aber scheint es nach jenem Beobachter jetzt in Paris nicht viele zu geben. „Für
mich, sagt er, ists eine ausgemachte Sache, daß Gambetta auswärts weit höher
geachtet war als von seinen Landsleuten, und dürften wir einzig von den Pa¬
risern sprechen, so müßten wir sagen, er sei kaum ein Prophet in seinem Vater¬
lande gewesen."

Aber Paris ist nicht Frankreich. Von den Provinzen, wo das Leben lang¬
samer pulsirt, und wo man ernster zu denken pflegt, hörte man andre Berichte,
und hielt man dieselben zusammen, so konnte man nicht zweifeln, daß dort tiefe
Trauer über den Verlust des Mannes herrschte, den die Sylvesternacht zu den
Toten versammelt hatte. Das Herz des französischen Volkes ist darüber tief
bewegt, und es würde von sonderbarer Beschaffenheit sein, wenn es anders
wäre; denn selten hat ein Tod so ernst nicht bloß zu einer Nation, sondern zu
den Gemütern aller Menschen geredet. Er kam plötzlich und frühzeitig, er war
ein grausames Beispiel zu der Lehre von der Eitelkeit menschlichen Wollens und
Strebens, er predigte eindringlich, wie leicht zerbrechlich das Menschenleben,
wie sehr vom Zufall abhängig der Menschen Ehrgeiz ist, und welche Kleinig¬
keiten deu Gang der Geschichte unterbrechen und in andre Bahnen lenken können.
Lebhaft erinnert dieser Tod an einen andern, der vor einigen Jahren ein fürst¬
liches Leben im fernen Afrika auslöschte. Ein Schwarm heulender Zulukaffern
warf seine Speere aus einem Dickicht, und augenblicklich schloß die Geschichte einer
Dynastie, welche zweimal die Welt mit ihrem Rufe erfüllt hatte. Alle die
kühnen Hoffnungen, deren Mittelpunkt dieses junge Leben gewesen war, alle die
Pläne von hundert geschäftigen, Gehirnen, die sich an dasselbe knüpften, lagen
vereitelt mit ihm am Boden. Ähnlich ist das Beispiel von der Ironie des
Schicksals, das uns der Tod Gambettas vor die Augen hält. Es ist dieselbe
triviale Ursache und dieselbe hvchbedeutsame Wirkung. Eine Verwundung durch
ein unbehntsnm ergriffenes oder sonstwie behandeltes Pistol, und ein Leben,
das noch mehr zu versprechen schien als es geleistet, war dem Tode überant-


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[0178] Frankreich nach Gambettas Tode. und der Schluß, zu dem man dabei fast allenthalben gelangte, lautete dahin, daß es eine günstige Wirkung haben müsse. Mit andern Worten: man sah in seinem Hingange die Bürgschaft für ein längeres Verbleiben des jetzigen Mini¬ steriums im Amte und eine bessere Aussicht auf Langlebigkeit für dessen Nach- folger," Man war eine drückende Unsicherheit los. Das war genug für Leute, die aus der Politik ein Handwerk machen und nur nach Raum für ihren Ehr¬ geiz ausschauen. Weiterblickende aber mußten sich vergegenwärtigen, daß der Verlust eines Mannes, der, was auch seine Fehler gewesen sein mögen, vor zwölf Jahren dem niedergeschmetterten Frankreich neuen Mut einzuflößen ver¬ stand und, obwohl damals ohne Erfahrung in Verwaltungssachen, Armeen aus der Erde stampfte und der gewaltigsten Kriegsmacht, welche die Welt je gesehen, immer von neuem unverzagt die Spitze bot, für die Tage einer großen innern oder äußern Krisis von höchster Bedeutung werden könne. Solcher Denker aber scheint es nach jenem Beobachter jetzt in Paris nicht viele zu geben. „Für mich, sagt er, ists eine ausgemachte Sache, daß Gambetta auswärts weit höher geachtet war als von seinen Landsleuten, und dürften wir einzig von den Pa¬ risern sprechen, so müßten wir sagen, er sei kaum ein Prophet in seinem Vater¬ lande gewesen." Aber Paris ist nicht Frankreich. Von den Provinzen, wo das Leben lang¬ samer pulsirt, und wo man ernster zu denken pflegt, hörte man andre Berichte, und hielt man dieselben zusammen, so konnte man nicht zweifeln, daß dort tiefe Trauer über den Verlust des Mannes herrschte, den die Sylvesternacht zu den Toten versammelt hatte. Das Herz des französischen Volkes ist darüber tief bewegt, und es würde von sonderbarer Beschaffenheit sein, wenn es anders wäre; denn selten hat ein Tod so ernst nicht bloß zu einer Nation, sondern zu den Gemütern aller Menschen geredet. Er kam plötzlich und frühzeitig, er war ein grausames Beispiel zu der Lehre von der Eitelkeit menschlichen Wollens und Strebens, er predigte eindringlich, wie leicht zerbrechlich das Menschenleben, wie sehr vom Zufall abhängig der Menschen Ehrgeiz ist, und welche Kleinig¬ keiten deu Gang der Geschichte unterbrechen und in andre Bahnen lenken können. Lebhaft erinnert dieser Tod an einen andern, der vor einigen Jahren ein fürst¬ liches Leben im fernen Afrika auslöschte. Ein Schwarm heulender Zulukaffern warf seine Speere aus einem Dickicht, und augenblicklich schloß die Geschichte einer Dynastie, welche zweimal die Welt mit ihrem Rufe erfüllt hatte. Alle die kühnen Hoffnungen, deren Mittelpunkt dieses junge Leben gewesen war, alle die Pläne von hundert geschäftigen, Gehirnen, die sich an dasselbe knüpften, lagen vereitelt mit ihm am Boden. Ähnlich ist das Beispiel von der Ironie des Schicksals, das uns der Tod Gambettas vor die Augen hält. Es ist dieselbe triviale Ursache und dieselbe hvchbedeutsame Wirkung. Eine Verwundung durch ein unbehntsnm ergriffenes oder sonstwie behandeltes Pistol, und ein Leben, das noch mehr zu versprechen schien als es geleistet, war dem Tode überant-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/178>, abgerufen am 23.07.2024.