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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Die Grafen von Altenschwerdt.

von Franeker, der seit langen Jahren schon zurückgezogen hier auf dem Lande lebt.
Eben dieser Herr ist es, fügte sie lächelnd hinzu, den meine Gesellschafterin und
ich neulich im Kostüm von Fischerinnen in seiner ländlichen Einsamkeit über¬
raschten, wodurch wir Ihnen die improvisirte Gelegenheit gaben, einen sieg¬
reichen Kampf zum Schutze bedrängter Weiblichkeit zu führen. Ich glaube, der
alte Herr wird Ihnen gefallen. Er ist ein Typus der Edelleute aus der Ver¬
gangenheit, wie mein Vater behauptet, und ich selbst kann wohl sagen: er ist
voll Herzensgüte und Ritterlichkeit und hat der Armut gegenüber eine leider allzu
offne Hand. Doch wir wollen einmal sehen, ob die Partie noch im Gange ist.

Mit diesen Worten stand sie auf, winkte Eberhardt, ihr zu folgen, und
öffnete eine Tapetenthür, die ihrem Gast bis jetzt unbemerkt geblieben war.
Durch diese Thür traten beide in ein ovales Gemach hinaus, welches keine
Fenster hatte, sondern von einem Gitterwerk, aus verschlungnen Ranken und
Blumen gebildet, umgeben war, durch dessen Zwischenrüume man in eine große
Halle hineinsah.

Dies ist das Orchester früherer Zeiten, sagte Dorothea. Mir dient der
Platz zu einem Beobachtungspunkt für das, was in der Halle geschieht, und
ich gebe Ihnen Erlaubnis, über weibliche Neugierde zu lachen.

Das ist eine prächtige Halle! rief Eberhardt bewundernd aus.

Der große Raum war zwei Stockwerke hoch, sodaß er seine Eingänge im
Erdgeschoß und vom Garten aus hatte, während seine mit schwerem Stuck ver¬
zierte Decke in einer Höhe mit den Plafonds der obern Zimmerreihe lag. Hohe
Fenster mit Glasmalereien ließen ein vielfarbiges Licht hereinfallen, doch war
der Charakter der Halle im ganzen düster, da die Wände in Mannshöhe mit
altersschwarzem Eichenholz getäfelt und darüber mit dunkelgrünen, goldbedruckten
Ledertapeten bekleidet waren. Eine ringsumlaufende Galerie von Gemälden in
dicken, vergoldeten Rahmen mochte die Ahnen der Familie Sextus darstellen. Es
waren Männer in Harnischen und in spanischer Tracht, Frauen in engen, hohen
Taillen, mit Puffärmeln und riesigen Spitzenkragen, auch Frauen in den Kostümen
späterer Zeiten, in weitausgeschnittnen französischen Hofkleidern und mit kunst¬
vollen Frisuren. In der Mitte der einen langen Wand befand sich ein unge¬
heurer Kamin aus grünem Basalt, auf dessen vorspringender Platte silberne
Schalen und Kruge standen, und zu dessen beiden Seiten an den hohen Wänden
Trophäen von Waffen alter und neuer Form, Piken, Hakenbüchsen, Pallasche,
Säbel, Musketen und Pistolen gruppirt waren. Dieser Wand gegenüber
führten drei Glasthüren auf eine mit Blumen gezierte Gartenterrasse.

In der Ecke neben einer dieser Thüren saßen zwei Herren in hohen Lehn¬
stühlen, und zwischen ihnen stand ein Tischchen mit Schachfiguren, Doch schienen
sie das Spiel beendigt zu haben, und der Ton ihrer Stimmen drang zu den:
Observatorium herauf, hinter dessen Rankenwerk Eberhardt und Dorothea in
Verborgenheit standen.


Die Grafen von Altenschwerdt.

von Franeker, der seit langen Jahren schon zurückgezogen hier auf dem Lande lebt.
Eben dieser Herr ist es, fügte sie lächelnd hinzu, den meine Gesellschafterin und
ich neulich im Kostüm von Fischerinnen in seiner ländlichen Einsamkeit über¬
raschten, wodurch wir Ihnen die improvisirte Gelegenheit gaben, einen sieg¬
reichen Kampf zum Schutze bedrängter Weiblichkeit zu führen. Ich glaube, der
alte Herr wird Ihnen gefallen. Er ist ein Typus der Edelleute aus der Ver¬
gangenheit, wie mein Vater behauptet, und ich selbst kann wohl sagen: er ist
voll Herzensgüte und Ritterlichkeit und hat der Armut gegenüber eine leider allzu
offne Hand. Doch wir wollen einmal sehen, ob die Partie noch im Gange ist.

Mit diesen Worten stand sie auf, winkte Eberhardt, ihr zu folgen, und
öffnete eine Tapetenthür, die ihrem Gast bis jetzt unbemerkt geblieben war.
Durch diese Thür traten beide in ein ovales Gemach hinaus, welches keine
Fenster hatte, sondern von einem Gitterwerk, aus verschlungnen Ranken und
Blumen gebildet, umgeben war, durch dessen Zwischenrüume man in eine große
Halle hineinsah.

Dies ist das Orchester früherer Zeiten, sagte Dorothea. Mir dient der
Platz zu einem Beobachtungspunkt für das, was in der Halle geschieht, und
ich gebe Ihnen Erlaubnis, über weibliche Neugierde zu lachen.

Das ist eine prächtige Halle! rief Eberhardt bewundernd aus.

Der große Raum war zwei Stockwerke hoch, sodaß er seine Eingänge im
Erdgeschoß und vom Garten aus hatte, während seine mit schwerem Stuck ver¬
zierte Decke in einer Höhe mit den Plafonds der obern Zimmerreihe lag. Hohe
Fenster mit Glasmalereien ließen ein vielfarbiges Licht hereinfallen, doch war
der Charakter der Halle im ganzen düster, da die Wände in Mannshöhe mit
altersschwarzem Eichenholz getäfelt und darüber mit dunkelgrünen, goldbedruckten
Ledertapeten bekleidet waren. Eine ringsumlaufende Galerie von Gemälden in
dicken, vergoldeten Rahmen mochte die Ahnen der Familie Sextus darstellen. Es
waren Männer in Harnischen und in spanischer Tracht, Frauen in engen, hohen
Taillen, mit Puffärmeln und riesigen Spitzenkragen, auch Frauen in den Kostümen
späterer Zeiten, in weitausgeschnittnen französischen Hofkleidern und mit kunst¬
vollen Frisuren. In der Mitte der einen langen Wand befand sich ein unge¬
heurer Kamin aus grünem Basalt, auf dessen vorspringender Platte silberne
Schalen und Kruge standen, und zu dessen beiden Seiten an den hohen Wänden
Trophäen von Waffen alter und neuer Form, Piken, Hakenbüchsen, Pallasche,
Säbel, Musketen und Pistolen gruppirt waren. Dieser Wand gegenüber
führten drei Glasthüren auf eine mit Blumen gezierte Gartenterrasse.

In der Ecke neben einer dieser Thüren saßen zwei Herren in hohen Lehn¬
stühlen, und zwischen ihnen stand ein Tischchen mit Schachfiguren, Doch schienen
sie das Spiel beendigt zu haben, und der Ton ihrer Stimmen drang zu den:
Observatorium herauf, hinter dessen Rankenwerk Eberhardt und Dorothea in
Verborgenheit standen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/162>, abgerufen am 23.07.2024.