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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal.

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Das vergangne Jahr,

gelang nicht. Das Zentrum hielt es für geraten, seine Ansprüche zu mäßigen,
es verständigte sich mit den Konservativen, und die Regierungsvorlage wurde
vom Abgeordnetenhause mit einigen allerdings nicht unwesentlichen Abänderungen
angenommen. Die Regierung fügte sich dem, sie hatte wenigstens einen Teil
ihrer Vorlage, und zwar einen wichtigen, durchgesetzt. Ein erfreulicherer Erfolg
der innern Politik des Kanzlers im Abgeordnetenhause war die Bewilligung des
von der Regierung beantragten Steuererlasses. Die Abgeordneten ließen sich,
wie die Debatten über den Gegenstand zeigten, bei ihrer Abstimmung von sehr
verschiedenen Beweggründen leiten, aber ihr Beschluß war in seiner Wirkung
doch nur eine Bekräftigung der reformatorischen Politik des Fürsten Bismarck;
denn mit dem Steuererlaß war einer seiner Zwecke, Erleichterung der mit
direkten Steuern überbürdeten Mittelklassen, erreicht. Daß es zu einer solchen
Maßregel überhaupt kam, war vor allem dem Urheber dieser Reform zu danken,
dem es schwere Mühe gekostet hatte, die ersten Schritte nach dieser Richtung
hin durchzusetzen. Sehr gering dagegen war das Verdienst der Manchester¬
politiker im fortschrittlichen und sezessionistischen Lager. Wäre es nach ihnen
gegangen, so hätte man niemals eine Verminderung der direkten Steuern erlebt,
und doch legten die Herren jetzt auf die Bewilligung derselben als auf eine Em¬
pfehlung für die nahen Neuwahlen Wert.

Inzwischen hatte der preußische Volkswirtschaftsrat eine Entscheidung ge¬
fällt, die als Niederlage der Regierung aufzufassen war: er hatte sich -- aller¬
dings mit sehr geringer Majorität ^ gegen den Gesetzentwurf in Betreff des
Tabakömonopols erklärt. Die Abstimmung des Plenums war schwer zu ver¬
stehen, da die Kommission sich mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln
ihrer Mitglieder nicht bloß für die Notwendigkeit einer Erhöhung der Einnahmen
vom Tabak, sondern auch für die wesentlichsten Grundlagen des Monvpolgesetzes
ausgesprochen hatte, und da auch im Plenum von gewichtigen Stimmen an¬
erkannt worden war, daß die Negierung damit nur gerechtes und billiges
erstrebe.

Die letzte wichtige Verhandlung des Abgeordnetenhauses betraf das Ver¬
wendungsgesetz; es wurde abgelehnt. Am 11, Mai wurde der Landtag ge¬
schloffen, ohne die noch rückständigen Vorlagen, von denen die hannoversche
Kreisvrdmmg und die Kanalprojekte die wichtigsten waren, erledigt zu haben.
Er hatte in seiner letzten Sitzungsperiode zwar auf dem Gebiete der Verwal¬
tungsgesetzgebung und der Steuerreform nichts geleistet oder gefördert, ganz
unfruchtbar aber war er nicht gewesen. Er hatte zunächst die Maigesetze nach
dem Prinzip der diskretivnären Vollmachten weiter mildern helfen, indem das
Zentrum den Standpunkt bloß negativer Kritik verlassen und sich mit den Konser¬
vativen zu positiver Wirksamkeit geeinigt hatte. Sodann aber hatte während
dieser Session die Verstaatlichung der Eisenbahnen, die zwei Jahre zuvor be¬
gonnen worden war und sehr bald glänzende Ergebnisse erzielt hatte, trotz


Das vergangne Jahr,

gelang nicht. Das Zentrum hielt es für geraten, seine Ansprüche zu mäßigen,
es verständigte sich mit den Konservativen, und die Regierungsvorlage wurde
vom Abgeordnetenhause mit einigen allerdings nicht unwesentlichen Abänderungen
angenommen. Die Regierung fügte sich dem, sie hatte wenigstens einen Teil
ihrer Vorlage, und zwar einen wichtigen, durchgesetzt. Ein erfreulicherer Erfolg
der innern Politik des Kanzlers im Abgeordnetenhause war die Bewilligung des
von der Regierung beantragten Steuererlasses. Die Abgeordneten ließen sich,
wie die Debatten über den Gegenstand zeigten, bei ihrer Abstimmung von sehr
verschiedenen Beweggründen leiten, aber ihr Beschluß war in seiner Wirkung
doch nur eine Bekräftigung der reformatorischen Politik des Fürsten Bismarck;
denn mit dem Steuererlaß war einer seiner Zwecke, Erleichterung der mit
direkten Steuern überbürdeten Mittelklassen, erreicht. Daß es zu einer solchen
Maßregel überhaupt kam, war vor allem dem Urheber dieser Reform zu danken,
dem es schwere Mühe gekostet hatte, die ersten Schritte nach dieser Richtung
hin durchzusetzen. Sehr gering dagegen war das Verdienst der Manchester¬
politiker im fortschrittlichen und sezessionistischen Lager. Wäre es nach ihnen
gegangen, so hätte man niemals eine Verminderung der direkten Steuern erlebt,
und doch legten die Herren jetzt auf die Bewilligung derselben als auf eine Em¬
pfehlung für die nahen Neuwahlen Wert.

Inzwischen hatte der preußische Volkswirtschaftsrat eine Entscheidung ge¬
fällt, die als Niederlage der Regierung aufzufassen war: er hatte sich — aller¬
dings mit sehr geringer Majorität ^ gegen den Gesetzentwurf in Betreff des
Tabakömonopols erklärt. Die Abstimmung des Plenums war schwer zu ver¬
stehen, da die Kommission sich mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln
ihrer Mitglieder nicht bloß für die Notwendigkeit einer Erhöhung der Einnahmen
vom Tabak, sondern auch für die wesentlichsten Grundlagen des Monvpolgesetzes
ausgesprochen hatte, und da auch im Plenum von gewichtigen Stimmen an¬
erkannt worden war, daß die Negierung damit nur gerechtes und billiges
erstrebe.

Die letzte wichtige Verhandlung des Abgeordnetenhauses betraf das Ver¬
wendungsgesetz; es wurde abgelehnt. Am 11, Mai wurde der Landtag ge¬
schloffen, ohne die noch rückständigen Vorlagen, von denen die hannoversche
Kreisvrdmmg und die Kanalprojekte die wichtigsten waren, erledigt zu haben.
Er hatte in seiner letzten Sitzungsperiode zwar auf dem Gebiete der Verwal¬
tungsgesetzgebung und der Steuerreform nichts geleistet oder gefördert, ganz
unfruchtbar aber war er nicht gewesen. Er hatte zunächst die Maigesetze nach
dem Prinzip der diskretivnären Vollmachten weiter mildern helfen, indem das
Zentrum den Standpunkt bloß negativer Kritik verlassen und sich mit den Konser¬
vativen zu positiver Wirksamkeit geeinigt hatte. Sodann aber hatte während
dieser Session die Verstaatlichung der Eisenbahnen, die zwei Jahre zuvor be¬
gonnen worden war und sehr bald glänzende Ergebnisse erzielt hatte, trotz


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[0012] Das vergangne Jahr, gelang nicht. Das Zentrum hielt es für geraten, seine Ansprüche zu mäßigen, es verständigte sich mit den Konservativen, und die Regierungsvorlage wurde vom Abgeordnetenhause mit einigen allerdings nicht unwesentlichen Abänderungen angenommen. Die Regierung fügte sich dem, sie hatte wenigstens einen Teil ihrer Vorlage, und zwar einen wichtigen, durchgesetzt. Ein erfreulicherer Erfolg der innern Politik des Kanzlers im Abgeordnetenhause war die Bewilligung des von der Regierung beantragten Steuererlasses. Die Abgeordneten ließen sich, wie die Debatten über den Gegenstand zeigten, bei ihrer Abstimmung von sehr verschiedenen Beweggründen leiten, aber ihr Beschluß war in seiner Wirkung doch nur eine Bekräftigung der reformatorischen Politik des Fürsten Bismarck; denn mit dem Steuererlaß war einer seiner Zwecke, Erleichterung der mit direkten Steuern überbürdeten Mittelklassen, erreicht. Daß es zu einer solchen Maßregel überhaupt kam, war vor allem dem Urheber dieser Reform zu danken, dem es schwere Mühe gekostet hatte, die ersten Schritte nach dieser Richtung hin durchzusetzen. Sehr gering dagegen war das Verdienst der Manchester¬ politiker im fortschrittlichen und sezessionistischen Lager. Wäre es nach ihnen gegangen, so hätte man niemals eine Verminderung der direkten Steuern erlebt, und doch legten die Herren jetzt auf die Bewilligung derselben als auf eine Em¬ pfehlung für die nahen Neuwahlen Wert. Inzwischen hatte der preußische Volkswirtschaftsrat eine Entscheidung ge¬ fällt, die als Niederlage der Regierung aufzufassen war: er hatte sich — aller¬ dings mit sehr geringer Majorität ^ gegen den Gesetzentwurf in Betreff des Tabakömonopols erklärt. Die Abstimmung des Plenums war schwer zu ver¬ stehen, da die Kommission sich mit einer Mehrheit von mehr als zwei Dritteln ihrer Mitglieder nicht bloß für die Notwendigkeit einer Erhöhung der Einnahmen vom Tabak, sondern auch für die wesentlichsten Grundlagen des Monvpolgesetzes ausgesprochen hatte, und da auch im Plenum von gewichtigen Stimmen an¬ erkannt worden war, daß die Negierung damit nur gerechtes und billiges erstrebe. Die letzte wichtige Verhandlung des Abgeordnetenhauses betraf das Ver¬ wendungsgesetz; es wurde abgelehnt. Am 11, Mai wurde der Landtag ge¬ schloffen, ohne die noch rückständigen Vorlagen, von denen die hannoversche Kreisvrdmmg und die Kanalprojekte die wichtigsten waren, erledigt zu haben. Er hatte in seiner letzten Sitzungsperiode zwar auf dem Gebiete der Verwal¬ tungsgesetzgebung und der Steuerreform nichts geleistet oder gefördert, ganz unfruchtbar aber war er nicht gewesen. Er hatte zunächst die Maigesetze nach dem Prinzip der diskretivnären Vollmachten weiter mildern helfen, indem das Zentrum den Standpunkt bloß negativer Kritik verlassen und sich mit den Konser¬ vativen zu positiver Wirksamkeit geeinigt hatte. Sodann aber hatte während dieser Session die Verstaatlichung der Eisenbahnen, die zwei Jahre zuvor be¬ gonnen worden war und sehr bald glänzende Ergebnisse erzielt hatte, trotz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_151310/12>, abgerufen am 26.06.2024.