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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die deutsche Bühne der Gegenwart.

Theaters angepaßt sei". Wer selbst die Kraft zum dramatischen Dichter in
sich fühlt, wird die Hilfe, die ein Kotzebue und seine Geistesgenossen in der
theatralischen Technik erkannten und in Anspruch nahmen, nicht verschmähen,
denn auch sie besteht nach wohlbegründeten Gesetze!?; nur wird er es besser
machen als jene, und indem er die Normen der Bühne, intuitio oder bewußt,
befolgt, den Dramatiker und den Poeten in sich nicht verkürzen. Für den wahren
Meister der Bühne, den Meister, der sich erst in der Beschränkung zeigt, sind
die theatralischen Bedingungen keine Hemmnisse: das Dichterische, das Drama¬
tische und das Theatralische gehen bei ihm Hand in Hand. Auch der moderne
Autor, dem ein künstlerisches Ideal vorleuchtet, das ihm höher steht als ein volles
Hans und eine fette Tantieme, möge getrost von der Technik derer lernen, die
das Theater mit der Alltagskvst versorgen, welche dem Publikum mundet. Für
die Kunst bringen die L'Arr.onge, Moser und Schönthan keinerlei Gefahr, und
nicht in der Berücksichtigung ihrer lustigen Schwänke liegt ein wesentlicher Schaden
des Repertoires; dieser ist nur dann vorhanden, wenn sie und ihresgleichen
bessere Werke verdrängen, und wenn -- was weitaus wichtiger ist -- die Re¬
aktion gegen sie durch eine mißverstandene Kunstpflege geführt wird, die, anstatt
unsre wahrhaft großen Dramen zu kultiviren, literarische Kuriositäten aller Art
auf die Bühne bringt oder eine fremdländische Dramatik pflegt, welche für die
Entwicklung unsrer heimischen Kunst keinen Gewinn bringt, und welche das Pu¬
blikum vielleicht stutzig macht, aber weder erhebt noch erfreut.

Ueber die Vernachlässigung so mancher guten modernen Dramen ist kaum
etwas neues und ersprießliches beizubringen. Die meisten Direktionen scheuen
eben jedwedes Risiko, das sie mit einem neueren ernsten Werke auf sich nehmen,
und nur ein besondrer Eklat konnte solchen Schöpfungen, wie es Fitgers "Hexe"
und Wildeubruchs "Karolinger" sind, ein allgemeineres Interesse zuwenden.
Hätte der damalige Präsident des Leipziger Lessingvereins, Wilhelm Herzen,
für die Aufführung des Fitgcrschen Stückes nicht in der uneigennützigsten Weise
gewirkt, so schliefe es gewiß noch als "Bnchdrama" den Schlaf des Gerechten --
die sicherste Gewähr dafür, daß noch manche Schätze zu heben wären, wenn sich
mir fleißige und liebevolle Hände für sie rühren würden. Aber so lange die
Kunst der Bühne, in der Wirkung auf das Publikum ganz gewiß die einflu߬
reichste und darum staatlich wichtigste, Gegenstand privater Spekulation bleibt,
so lange selbst große Städte oder ihre reichen Bürger es uicht über sich ge-
winnen, ein Theater sicher zu fundiren und den Schwankungen des Geldmarktes
zu entziehen, so lange wird dieser Schaden nicht gebessert werden. Immer wird
der Direktor nach dem greifen, was gangbar ist und ihm eine gute Einnahme
sichert; was nicht "zieht" und "nichts macht," wie der saloppe Theaterausdrnck
lautet, bleibt außerhalb der Theaterpforten, trüge es auch die höchsten Jnsignien
dramatischer Künstlerschaft. Über das aber, was der Masse am besten behagt,
herrscht wohl keinerlei Meinungsverschiedenheit: das Heitere mehr als das Ernste,


Die deutsche Bühne der Gegenwart.

Theaters angepaßt sei». Wer selbst die Kraft zum dramatischen Dichter in
sich fühlt, wird die Hilfe, die ein Kotzebue und seine Geistesgenossen in der
theatralischen Technik erkannten und in Anspruch nahmen, nicht verschmähen,
denn auch sie besteht nach wohlbegründeten Gesetze!?; nur wird er es besser
machen als jene, und indem er die Normen der Bühne, intuitio oder bewußt,
befolgt, den Dramatiker und den Poeten in sich nicht verkürzen. Für den wahren
Meister der Bühne, den Meister, der sich erst in der Beschränkung zeigt, sind
die theatralischen Bedingungen keine Hemmnisse: das Dichterische, das Drama¬
tische und das Theatralische gehen bei ihm Hand in Hand. Auch der moderne
Autor, dem ein künstlerisches Ideal vorleuchtet, das ihm höher steht als ein volles
Hans und eine fette Tantieme, möge getrost von der Technik derer lernen, die
das Theater mit der Alltagskvst versorgen, welche dem Publikum mundet. Für
die Kunst bringen die L'Arr.onge, Moser und Schönthan keinerlei Gefahr, und
nicht in der Berücksichtigung ihrer lustigen Schwänke liegt ein wesentlicher Schaden
des Repertoires; dieser ist nur dann vorhanden, wenn sie und ihresgleichen
bessere Werke verdrängen, und wenn — was weitaus wichtiger ist — die Re¬
aktion gegen sie durch eine mißverstandene Kunstpflege geführt wird, die, anstatt
unsre wahrhaft großen Dramen zu kultiviren, literarische Kuriositäten aller Art
auf die Bühne bringt oder eine fremdländische Dramatik pflegt, welche für die
Entwicklung unsrer heimischen Kunst keinen Gewinn bringt, und welche das Pu¬
blikum vielleicht stutzig macht, aber weder erhebt noch erfreut.

Ueber die Vernachlässigung so mancher guten modernen Dramen ist kaum
etwas neues und ersprießliches beizubringen. Die meisten Direktionen scheuen
eben jedwedes Risiko, das sie mit einem neueren ernsten Werke auf sich nehmen,
und nur ein besondrer Eklat konnte solchen Schöpfungen, wie es Fitgers „Hexe"
und Wildeubruchs „Karolinger" sind, ein allgemeineres Interesse zuwenden.
Hätte der damalige Präsident des Leipziger Lessingvereins, Wilhelm Herzen,
für die Aufführung des Fitgcrschen Stückes nicht in der uneigennützigsten Weise
gewirkt, so schliefe es gewiß noch als „Bnchdrama" den Schlaf des Gerechten —
die sicherste Gewähr dafür, daß noch manche Schätze zu heben wären, wenn sich
mir fleißige und liebevolle Hände für sie rühren würden. Aber so lange die
Kunst der Bühne, in der Wirkung auf das Publikum ganz gewiß die einflu߬
reichste und darum staatlich wichtigste, Gegenstand privater Spekulation bleibt,
so lange selbst große Städte oder ihre reichen Bürger es uicht über sich ge-
winnen, ein Theater sicher zu fundiren und den Schwankungen des Geldmarktes
zu entziehen, so lange wird dieser Schaden nicht gebessert werden. Immer wird
der Direktor nach dem greifen, was gangbar ist und ihm eine gute Einnahme
sichert; was nicht „zieht" und „nichts macht," wie der saloppe Theaterausdrnck
lautet, bleibt außerhalb der Theaterpforten, trüge es auch die höchsten Jnsignien
dramatischer Künstlerschaft. Über das aber, was der Masse am besten behagt,
herrscht wohl keinerlei Meinungsverschiedenheit: das Heitere mehr als das Ernste,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/88>, abgerufen am 01.07.2024.