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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur Verwaltungsreform in Preußen.

der einzige Sinn, den diese ganze Trennung haben kann, beruht darin, daß den
Organen der Rechtsprechung die volle Unabhängigkeit der richterlichen Stellung
gewährleistet werden soll. Die Erreichung dieses einzig denkbaren Vorteils wird
nun aber geradezu unmöglich gemacht dadurch, daß die Verwaltungsgerichte
wenigstens in den beiden untere" Instanzen der überwiegenden Zahl nach mit
Mitgliedern besetzt sind, welche sich aller drei oder sechs Jahre einer Neuwahl
unterwerfen müssen. Statt die Sprechung des öffentlichen Rechtes den Schwan¬
kungen des Parteilebens zu entziehen, hat man dieses durch die Einfügung des
gewählten Laienelements erst recht hineingetragen. Aber noch mehr. Das
preußische Staatsrecht ist jedenfalls nach heutiger Lage der Dinge eine so kom-
plizirte, wissenschaftlich noch so wenig durchgearbeitete Materie, daß zweifellos
eine gute juristische Vorbildung und ein großes Maß positiver Kenntnisse dazu
gehören, um den Rechtsstoff soweit zu beherrschen, daß man eine gedeihliche
Wirksamkeit als Richter entfalten kann. Auch aus diesem Grunde dürfte daher
das Überwuchern des Laienelements innerhalb der Verwaltungsgerichte ein
schwerwiegender Konstruktioi^sfehler sein, der seine Erklärung Wohl nur darin
findet, daß so viele dem Laicnurteil näher liegende Fragen des administrativen
Ermessens dem Ressort der Verwaltungsgerichte zugewiesen sind; wie denn auf
dieselbe Unklarheit der Grenzbestimmung zwischen Verwaltungs- und Verwal¬
tungsgerichtsbehörden der Gedanke an eine Verschmelzung von Bezirksrat und
Bezirksverwaltungsgericht, sowie ferner die Vorstellung zurückzuführen ist, als
gebühre dem Regierungspräsidenten eigentlich der Vorsitz im Bezirksverwaltnngs-
gericht. Wenn man aber einmal so weit geht, dann geht man zweckmäßig noch
einen Schritt weiter, nämlich bis zur Vereinigung der Kreis- und Bezirksver¬
waltungsgerichte mit den korrespondirenden Verwaltungsbehörden und läßt nur
das Obervcrwaltungsgericht in der bisherigen Weise fortbestehen. Dem Be¬
dürfnis des Rechtsschutzes wäre ja vollständig genügt, wenn der Spruch der
letzten Instanz alle Garantien richterlicher Unabhängigkeit bietet. Das Ober¬
verwaltungsgericht würde dann zu dem Ministerium des Innern ungefähr eine
ähnliche Stellung einnehmen, wie die Oberrechenkammer zu den gestimmten Mi¬
nisterien. Wer weiß, ob diese Organisation nicht das Richtigste gewesen wäre.
Jedenfalls Hütte sich wohl mit zwei Instanzen -- außer dem Oberverwaltungs¬
gericht etwa für jede Provinz einem Verwaltungsgericht -- auskommen lassen,
wenn man aus dem Geschäftsbereich der Gerichte alles ausgeschieden hätte, was
nicht hinein gehört. Die Beschreidung des Rechtsweges wäre dann für das
Publikum wohl etwas umständlicher und kostspieliger geworden, aber doch wohl
gerade nur in dem Maße, um leichtsinniges Prozessiren zu verhüten.

In Bezug auf das System der Selbstverwaltung, wie es durch die soge¬
nannten Kreisvrdnungsgesetze zur Einführung gelangt ist, läßt sich gegen die
Verwaltuugsreform gleichfalls mancherlei erinnern. Die fehlerhafte Anwendung
dieses Prinzips auf dem Gebiete der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist bereits be-


Zur Verwaltungsreform in Preußen.

der einzige Sinn, den diese ganze Trennung haben kann, beruht darin, daß den
Organen der Rechtsprechung die volle Unabhängigkeit der richterlichen Stellung
gewährleistet werden soll. Die Erreichung dieses einzig denkbaren Vorteils wird
nun aber geradezu unmöglich gemacht dadurch, daß die Verwaltungsgerichte
wenigstens in den beiden untere» Instanzen der überwiegenden Zahl nach mit
Mitgliedern besetzt sind, welche sich aller drei oder sechs Jahre einer Neuwahl
unterwerfen müssen. Statt die Sprechung des öffentlichen Rechtes den Schwan¬
kungen des Parteilebens zu entziehen, hat man dieses durch die Einfügung des
gewählten Laienelements erst recht hineingetragen. Aber noch mehr. Das
preußische Staatsrecht ist jedenfalls nach heutiger Lage der Dinge eine so kom-
plizirte, wissenschaftlich noch so wenig durchgearbeitete Materie, daß zweifellos
eine gute juristische Vorbildung und ein großes Maß positiver Kenntnisse dazu
gehören, um den Rechtsstoff soweit zu beherrschen, daß man eine gedeihliche
Wirksamkeit als Richter entfalten kann. Auch aus diesem Grunde dürfte daher
das Überwuchern des Laienelements innerhalb der Verwaltungsgerichte ein
schwerwiegender Konstruktioi^sfehler sein, der seine Erklärung Wohl nur darin
findet, daß so viele dem Laicnurteil näher liegende Fragen des administrativen
Ermessens dem Ressort der Verwaltungsgerichte zugewiesen sind; wie denn auf
dieselbe Unklarheit der Grenzbestimmung zwischen Verwaltungs- und Verwal¬
tungsgerichtsbehörden der Gedanke an eine Verschmelzung von Bezirksrat und
Bezirksverwaltungsgericht, sowie ferner die Vorstellung zurückzuführen ist, als
gebühre dem Regierungspräsidenten eigentlich der Vorsitz im Bezirksverwaltnngs-
gericht. Wenn man aber einmal so weit geht, dann geht man zweckmäßig noch
einen Schritt weiter, nämlich bis zur Vereinigung der Kreis- und Bezirksver¬
waltungsgerichte mit den korrespondirenden Verwaltungsbehörden und läßt nur
das Obervcrwaltungsgericht in der bisherigen Weise fortbestehen. Dem Be¬
dürfnis des Rechtsschutzes wäre ja vollständig genügt, wenn der Spruch der
letzten Instanz alle Garantien richterlicher Unabhängigkeit bietet. Das Ober¬
verwaltungsgericht würde dann zu dem Ministerium des Innern ungefähr eine
ähnliche Stellung einnehmen, wie die Oberrechenkammer zu den gestimmten Mi¬
nisterien. Wer weiß, ob diese Organisation nicht das Richtigste gewesen wäre.
Jedenfalls Hütte sich wohl mit zwei Instanzen — außer dem Oberverwaltungs¬
gericht etwa für jede Provinz einem Verwaltungsgericht — auskommen lassen,
wenn man aus dem Geschäftsbereich der Gerichte alles ausgeschieden hätte, was
nicht hinein gehört. Die Beschreidung des Rechtsweges wäre dann für das
Publikum wohl etwas umständlicher und kostspieliger geworden, aber doch wohl
gerade nur in dem Maße, um leichtsinniges Prozessiren zu verhüten.

In Bezug auf das System der Selbstverwaltung, wie es durch die soge¬
nannten Kreisvrdnungsgesetze zur Einführung gelangt ist, läßt sich gegen die
Verwaltuugsreform gleichfalls mancherlei erinnern. Die fehlerhafte Anwendung
dieses Prinzips auf dem Gebiete der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist bereits be-


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[0595] Zur Verwaltungsreform in Preußen. der einzige Sinn, den diese ganze Trennung haben kann, beruht darin, daß den Organen der Rechtsprechung die volle Unabhängigkeit der richterlichen Stellung gewährleistet werden soll. Die Erreichung dieses einzig denkbaren Vorteils wird nun aber geradezu unmöglich gemacht dadurch, daß die Verwaltungsgerichte wenigstens in den beiden untere» Instanzen der überwiegenden Zahl nach mit Mitgliedern besetzt sind, welche sich aller drei oder sechs Jahre einer Neuwahl unterwerfen müssen. Statt die Sprechung des öffentlichen Rechtes den Schwan¬ kungen des Parteilebens zu entziehen, hat man dieses durch die Einfügung des gewählten Laienelements erst recht hineingetragen. Aber noch mehr. Das preußische Staatsrecht ist jedenfalls nach heutiger Lage der Dinge eine so kom- plizirte, wissenschaftlich noch so wenig durchgearbeitete Materie, daß zweifellos eine gute juristische Vorbildung und ein großes Maß positiver Kenntnisse dazu gehören, um den Rechtsstoff soweit zu beherrschen, daß man eine gedeihliche Wirksamkeit als Richter entfalten kann. Auch aus diesem Grunde dürfte daher das Überwuchern des Laienelements innerhalb der Verwaltungsgerichte ein schwerwiegender Konstruktioi^sfehler sein, der seine Erklärung Wohl nur darin findet, daß so viele dem Laicnurteil näher liegende Fragen des administrativen Ermessens dem Ressort der Verwaltungsgerichte zugewiesen sind; wie denn auf dieselbe Unklarheit der Grenzbestimmung zwischen Verwaltungs- und Verwal¬ tungsgerichtsbehörden der Gedanke an eine Verschmelzung von Bezirksrat und Bezirksverwaltungsgericht, sowie ferner die Vorstellung zurückzuführen ist, als gebühre dem Regierungspräsidenten eigentlich der Vorsitz im Bezirksverwaltnngs- gericht. Wenn man aber einmal so weit geht, dann geht man zweckmäßig noch einen Schritt weiter, nämlich bis zur Vereinigung der Kreis- und Bezirksver¬ waltungsgerichte mit den korrespondirenden Verwaltungsbehörden und läßt nur das Obervcrwaltungsgericht in der bisherigen Weise fortbestehen. Dem Be¬ dürfnis des Rechtsschutzes wäre ja vollständig genügt, wenn der Spruch der letzten Instanz alle Garantien richterlicher Unabhängigkeit bietet. Das Ober¬ verwaltungsgericht würde dann zu dem Ministerium des Innern ungefähr eine ähnliche Stellung einnehmen, wie die Oberrechenkammer zu den gestimmten Mi¬ nisterien. Wer weiß, ob diese Organisation nicht das Richtigste gewesen wäre. Jedenfalls Hütte sich wohl mit zwei Instanzen — außer dem Oberverwaltungs¬ gericht etwa für jede Provinz einem Verwaltungsgericht — auskommen lassen, wenn man aus dem Geschäftsbereich der Gerichte alles ausgeschieden hätte, was nicht hinein gehört. Die Beschreidung des Rechtsweges wäre dann für das Publikum wohl etwas umständlicher und kostspieliger geworden, aber doch wohl gerade nur in dem Maße, um leichtsinniges Prozessiren zu verhüten. In Bezug auf das System der Selbstverwaltung, wie es durch die soge¬ nannten Kreisvrdnungsgesetze zur Einführung gelangt ist, läßt sich gegen die Verwaltuugsreform gleichfalls mancherlei erinnern. Die fehlerhafte Anwendung dieses Prinzips auf dem Gebiete der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist bereits be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/595>, abgerufen am 26.06.2024.