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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur verwciltungsreform in Preußen,

Fortschritt zu einer höheren Kulturstufe eins dem Prinzip der Arbeitsteilung
beruht, und daß "jede strengere Arbeitsteilung folglich technisch vollkommenere
Leistungen mit geringerem wirtschaftlichen Aufwande verbürgt." Und das sollte
nun alles plötzlich nicht mehr wahr sein? Dilettanten sollten in ihren Muße¬
stunden die Regieruugsgeschcifte besser besorgen als Fachleute? Wenn man sich
wenigstens darauf beschränkt Hütte, dem Selbstvcrwaltungssystem den Vorzug der
Billigkeit nachzurühmen! Das hätte noch hingehen mögen, obschon nicht viel
dazu gehört hätte, auch diese Hoffnung als eine trügerische Illusion zu erkennen,
sofern nicht alle Ehrenbeamte Rentiers sind. Denn haben sie nebenher einen
Lebensberuf, treiben sie vielleicht gar eine Erwerbsthätigkeit, so wird, da sie
diesem eigentlichen Beruf zeitweilig entzogen werden, das Nationalvermögen hier¬
durch gewiß um einen höhern Betrag als die ersparten Beamtengehälter geschä¬
digt: ganz abgesehen davon, daß, da man ein Berufsamt doch in mehrere Ehren¬
ämter zerlegen müßte, wahrscheinlich schon die damit naturgemäß verknüpfte
Vermehrung der sachlichen, Bnreciu- u. s. w. Unkosten mehr ausmachen würde,
als die Gehaltsersparnis.

Kurz und gut, die Bedeutung der hier in Rede stehenden Art von Selbst¬
verwaltung liegt auf einem ganz andern Gebiete, als wo sie gewöhnlich gesucht
wird, nämlich in ihrem diätetischen Wert für das gesammte Volksleben. Sie
hat -- um für die Roscherschen Ideen auch den Rvscherschen Ausdruck zu
geben -- denselben inneren Grund, wie "das Turnen der stubensitzenden Klassen,"
d. h. sie soll der Einseitigkeit der Lebensauffassungen entgegenwirken, die Aus¬
bildung eines Gegensatzes zwischen Regierern und Regierten verhindern, den
Geist "echt politischer d. h. patriotischer" Gesinnung fördern. Wenn die Träger
des Ehrenamtes ihre Stellung richtig auffassen, soll das Amt nicht bloß ihnen
selbst als "Vorschule für den parlamentarischen Beruf" dienen, sondern vermöge
der zwischen ihnen und weiteren Kreisen bestehenden Beziehungen des sozialen
Verkehrs auch diesen letzteren zur Gewinnung gesunderer Anschauungen über
Staatsleben und Staatsverwaltung verhelfen. Für den kühlen Rechner bleibt
nun nur die Frage, ob die Produktionskosten der erwähnten nationalen Güter
zu dem Gebrauchswert derselben im richtigen Verhältnisse stehen, oder ob derselbe
Erfolg auf anderem Wege mit geringeren Mitteln erreicht werden kann. Dies
kurzweg zu verneinen, dürfte äußerst gewagt erscheinen. Vielmehr mag vom
rein theoretischen Standpunkte aus mindestens fraglich sein, ob nicht in den
kommunalen Verbänden der Provinzen, Land- oder Stadtkreise und endlich der
Ortsgemeinden für jeden eine so vielseitige Gelegenheit geboten ist, je nach
Neigung und Verständnis sich am öffentlichen Leben zu beteiligen, daß wahrer
Gemeinstnn und echte Bürgertugend vollauf zur Geltung kommen konnten, auch
wenn die Laie" nicht gerade zum Staatsdienste herangezogen werden. Praktisch
gestaltet sich die Sache insofern etwas anders, als in den untersten Instanzen
die Personalunion von Staats- und Gemeindeamt vielfach, und zwar mit Ruck-


Zur verwciltungsreform in Preußen,

Fortschritt zu einer höheren Kulturstufe eins dem Prinzip der Arbeitsteilung
beruht, und daß „jede strengere Arbeitsteilung folglich technisch vollkommenere
Leistungen mit geringerem wirtschaftlichen Aufwande verbürgt." Und das sollte
nun alles plötzlich nicht mehr wahr sein? Dilettanten sollten in ihren Muße¬
stunden die Regieruugsgeschcifte besser besorgen als Fachleute? Wenn man sich
wenigstens darauf beschränkt Hütte, dem Selbstvcrwaltungssystem den Vorzug der
Billigkeit nachzurühmen! Das hätte noch hingehen mögen, obschon nicht viel
dazu gehört hätte, auch diese Hoffnung als eine trügerische Illusion zu erkennen,
sofern nicht alle Ehrenbeamte Rentiers sind. Denn haben sie nebenher einen
Lebensberuf, treiben sie vielleicht gar eine Erwerbsthätigkeit, so wird, da sie
diesem eigentlichen Beruf zeitweilig entzogen werden, das Nationalvermögen hier¬
durch gewiß um einen höhern Betrag als die ersparten Beamtengehälter geschä¬
digt: ganz abgesehen davon, daß, da man ein Berufsamt doch in mehrere Ehren¬
ämter zerlegen müßte, wahrscheinlich schon die damit naturgemäß verknüpfte
Vermehrung der sachlichen, Bnreciu- u. s. w. Unkosten mehr ausmachen würde,
als die Gehaltsersparnis.

Kurz und gut, die Bedeutung der hier in Rede stehenden Art von Selbst¬
verwaltung liegt auf einem ganz andern Gebiete, als wo sie gewöhnlich gesucht
wird, nämlich in ihrem diätetischen Wert für das gesammte Volksleben. Sie
hat — um für die Roscherschen Ideen auch den Rvscherschen Ausdruck zu
geben — denselben inneren Grund, wie „das Turnen der stubensitzenden Klassen,"
d. h. sie soll der Einseitigkeit der Lebensauffassungen entgegenwirken, die Aus¬
bildung eines Gegensatzes zwischen Regierern und Regierten verhindern, den
Geist „echt politischer d. h. patriotischer" Gesinnung fördern. Wenn die Träger
des Ehrenamtes ihre Stellung richtig auffassen, soll das Amt nicht bloß ihnen
selbst als „Vorschule für den parlamentarischen Beruf" dienen, sondern vermöge
der zwischen ihnen und weiteren Kreisen bestehenden Beziehungen des sozialen
Verkehrs auch diesen letzteren zur Gewinnung gesunderer Anschauungen über
Staatsleben und Staatsverwaltung verhelfen. Für den kühlen Rechner bleibt
nun nur die Frage, ob die Produktionskosten der erwähnten nationalen Güter
zu dem Gebrauchswert derselben im richtigen Verhältnisse stehen, oder ob derselbe
Erfolg auf anderem Wege mit geringeren Mitteln erreicht werden kann. Dies
kurzweg zu verneinen, dürfte äußerst gewagt erscheinen. Vielmehr mag vom
rein theoretischen Standpunkte aus mindestens fraglich sein, ob nicht in den
kommunalen Verbänden der Provinzen, Land- oder Stadtkreise und endlich der
Ortsgemeinden für jeden eine so vielseitige Gelegenheit geboten ist, je nach
Neigung und Verständnis sich am öffentlichen Leben zu beteiligen, daß wahrer
Gemeinstnn und echte Bürgertugend vollauf zur Geltung kommen konnten, auch
wenn die Laie» nicht gerade zum Staatsdienste herangezogen werden. Praktisch
gestaltet sich die Sache insofern etwas anders, als in den untersten Instanzen
die Personalunion von Staats- und Gemeindeamt vielfach, und zwar mit Ruck-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/592>, abgerufen am 26.06.2024.