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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur Verwaltungsreform in Preußen.

Auf die vorbesprvchenen idealen Gesichtspunkte kommt es jedoch der libe¬
ralen Partei im großen und ganzen gar nicht an. Will man wissen, was den
Kernpunkt der ganzen Agitation bildet, so braucht man die Gneistschen Sätze
nur des maßvollen Tones wissenschaftlicher Darstellung zu entkleiden, von dem
freieren Standpunkt des durch geschichtliche Forschungen geschulten Gelehrten
zu abstrahiren, und den Inhalt seiner Auseinandersetzungen, in die landläufige
Sprache des gewöhnlichen Liberalismus übersetzt, läuft praktisch auf nichts an¬
deres hinaus, als auf eine Bekämpfung der verhaßte" Bureaukratie, eine Ten¬
denz, die dem liberalen Standpunkte gewiß nicht zu verargen ist. Nicht mit
Unrecht erblickte der Liberalismus von jeher in dem altpreußischen Verwaltungs-
bcamtentum den stärksten Hort konservativer Gesinnung. Alle Versuche, diese
Macht zu brechen, waren bisher gescheitert. Die Phalanx stand zu fest geschlossen.
Was lag daher näher, als der Gedanke, nach dem Vorbilde in England, für
dessen Zustände man ohnehin eine platonische Vorliebe hatte, das Element, dessen
man absolut nicht Herr werden konnte, so weit es irgend ging, zu beseitigen,
seine Funktionen an unabhängige Männer zu übertragen, die womöglich durch
freie Wahl ihrer Mitbürger zu der betreffenden Vertrauensstellung berufen werden
sollten! Das war es. Nicht ans die Schaffung von Ehrenämtern, sondern auf
den Einfluß bei der Besetzung der Beamtenstellungen kam es dem Liberalismus
an. Den Vorschlag, die Berufsbeamten vom Volke wählen zu lassen, konnte
man im Ernst nicht machen, deshalb griff man zu dem Auskunftsmittel der
Ehrenbeamten. Daß es der Sache nach ganz dasselbe sei, ob man Berufs- oder
Ehrenbeamte wähle, mochte sich niemand recht klar machen. Daneben fiel es
keinem Menschen ein, daß man mit der Einführung der unbedingten Wahlfrei¬
heit, wenn ihr nicht gleichzeitig ein ebenso unbedingtes Bestätiguugsrecht der
Krone gegenübergestellt wurde, eine Volkssouveränetät statnirte, wie sie sich höch¬
stens mit der republikanischen Staatsform verträgt, wo allerdings die Träger
der Staatshoheitsrechte ihre Autorität direkt vom Volke ableiten. Wenn es sich
um liberale Institutionell handelte, ist man ja auch auf andern Gebieten von
liberaler Seite gern bereit gewesen, auf staatsrechtliche Konsequenz zu verzichten.
Darüber, daß die Ernennung der Staatsbeamten in Preußen mindestens zur
Zeit verfassungsmäßige Prärogative der Krone ist, darüber setzte man sich gleich¬
falls mit der größten Leichtigkeit hinweg. Man mutete ihr einfach das Opfer
zu, auf das Ernennungsrecht zu verzichten, auch ohne wenigstens das Bestä¬
tigungsrecht dafür einzutauschen. Am wenigsten zerbrach man sich den Kopf
darüber, wie die Sache praktisch gehen sollte, wen" Laien namentlich an ent¬
scheidenden Stellen die Verwaltung führten. Bei den meisten war nur die all¬
gemeine Vorstellung verbreitet, daß es nicht nur besser, sondern, da der Ehren¬
beamte ja keine Besoldung beziehe, auch billiger werden müsse. Und mehr kann
man doch nicht verlangen. Schade nur, daß nicht alles Gold ist. was glänzt.
Man braucht kein gelehrter Nationalökonom zu sein, um zu wissen, daß jeder


Zur Verwaltungsreform in Preußen.

Auf die vorbesprvchenen idealen Gesichtspunkte kommt es jedoch der libe¬
ralen Partei im großen und ganzen gar nicht an. Will man wissen, was den
Kernpunkt der ganzen Agitation bildet, so braucht man die Gneistschen Sätze
nur des maßvollen Tones wissenschaftlicher Darstellung zu entkleiden, von dem
freieren Standpunkt des durch geschichtliche Forschungen geschulten Gelehrten
zu abstrahiren, und den Inhalt seiner Auseinandersetzungen, in die landläufige
Sprache des gewöhnlichen Liberalismus übersetzt, läuft praktisch auf nichts an¬
deres hinaus, als auf eine Bekämpfung der verhaßte» Bureaukratie, eine Ten¬
denz, die dem liberalen Standpunkte gewiß nicht zu verargen ist. Nicht mit
Unrecht erblickte der Liberalismus von jeher in dem altpreußischen Verwaltungs-
bcamtentum den stärksten Hort konservativer Gesinnung. Alle Versuche, diese
Macht zu brechen, waren bisher gescheitert. Die Phalanx stand zu fest geschlossen.
Was lag daher näher, als der Gedanke, nach dem Vorbilde in England, für
dessen Zustände man ohnehin eine platonische Vorliebe hatte, das Element, dessen
man absolut nicht Herr werden konnte, so weit es irgend ging, zu beseitigen,
seine Funktionen an unabhängige Männer zu übertragen, die womöglich durch
freie Wahl ihrer Mitbürger zu der betreffenden Vertrauensstellung berufen werden
sollten! Das war es. Nicht ans die Schaffung von Ehrenämtern, sondern auf
den Einfluß bei der Besetzung der Beamtenstellungen kam es dem Liberalismus
an. Den Vorschlag, die Berufsbeamten vom Volke wählen zu lassen, konnte
man im Ernst nicht machen, deshalb griff man zu dem Auskunftsmittel der
Ehrenbeamten. Daß es der Sache nach ganz dasselbe sei, ob man Berufs- oder
Ehrenbeamte wähle, mochte sich niemand recht klar machen. Daneben fiel es
keinem Menschen ein, daß man mit der Einführung der unbedingten Wahlfrei¬
heit, wenn ihr nicht gleichzeitig ein ebenso unbedingtes Bestätiguugsrecht der
Krone gegenübergestellt wurde, eine Volkssouveränetät statnirte, wie sie sich höch¬
stens mit der republikanischen Staatsform verträgt, wo allerdings die Träger
der Staatshoheitsrechte ihre Autorität direkt vom Volke ableiten. Wenn es sich
um liberale Institutionell handelte, ist man ja auch auf andern Gebieten von
liberaler Seite gern bereit gewesen, auf staatsrechtliche Konsequenz zu verzichten.
Darüber, daß die Ernennung der Staatsbeamten in Preußen mindestens zur
Zeit verfassungsmäßige Prärogative der Krone ist, darüber setzte man sich gleich¬
falls mit der größten Leichtigkeit hinweg. Man mutete ihr einfach das Opfer
zu, auf das Ernennungsrecht zu verzichten, auch ohne wenigstens das Bestä¬
tigungsrecht dafür einzutauschen. Am wenigsten zerbrach man sich den Kopf
darüber, wie die Sache praktisch gehen sollte, wen» Laien namentlich an ent¬
scheidenden Stellen die Verwaltung führten. Bei den meisten war nur die all¬
gemeine Vorstellung verbreitet, daß es nicht nur besser, sondern, da der Ehren¬
beamte ja keine Besoldung beziehe, auch billiger werden müsse. Und mehr kann
man doch nicht verlangen. Schade nur, daß nicht alles Gold ist. was glänzt.
Man braucht kein gelehrter Nationalökonom zu sein, um zu wissen, daß jeder


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[0591] Zur Verwaltungsreform in Preußen. Auf die vorbesprvchenen idealen Gesichtspunkte kommt es jedoch der libe¬ ralen Partei im großen und ganzen gar nicht an. Will man wissen, was den Kernpunkt der ganzen Agitation bildet, so braucht man die Gneistschen Sätze nur des maßvollen Tones wissenschaftlicher Darstellung zu entkleiden, von dem freieren Standpunkt des durch geschichtliche Forschungen geschulten Gelehrten zu abstrahiren, und den Inhalt seiner Auseinandersetzungen, in die landläufige Sprache des gewöhnlichen Liberalismus übersetzt, läuft praktisch auf nichts an¬ deres hinaus, als auf eine Bekämpfung der verhaßte» Bureaukratie, eine Ten¬ denz, die dem liberalen Standpunkte gewiß nicht zu verargen ist. Nicht mit Unrecht erblickte der Liberalismus von jeher in dem altpreußischen Verwaltungs- bcamtentum den stärksten Hort konservativer Gesinnung. Alle Versuche, diese Macht zu brechen, waren bisher gescheitert. Die Phalanx stand zu fest geschlossen. Was lag daher näher, als der Gedanke, nach dem Vorbilde in England, für dessen Zustände man ohnehin eine platonische Vorliebe hatte, das Element, dessen man absolut nicht Herr werden konnte, so weit es irgend ging, zu beseitigen, seine Funktionen an unabhängige Männer zu übertragen, die womöglich durch freie Wahl ihrer Mitbürger zu der betreffenden Vertrauensstellung berufen werden sollten! Das war es. Nicht ans die Schaffung von Ehrenämtern, sondern auf den Einfluß bei der Besetzung der Beamtenstellungen kam es dem Liberalismus an. Den Vorschlag, die Berufsbeamten vom Volke wählen zu lassen, konnte man im Ernst nicht machen, deshalb griff man zu dem Auskunftsmittel der Ehrenbeamten. Daß es der Sache nach ganz dasselbe sei, ob man Berufs- oder Ehrenbeamte wähle, mochte sich niemand recht klar machen. Daneben fiel es keinem Menschen ein, daß man mit der Einführung der unbedingten Wahlfrei¬ heit, wenn ihr nicht gleichzeitig ein ebenso unbedingtes Bestätiguugsrecht der Krone gegenübergestellt wurde, eine Volkssouveränetät statnirte, wie sie sich höch¬ stens mit der republikanischen Staatsform verträgt, wo allerdings die Träger der Staatshoheitsrechte ihre Autorität direkt vom Volke ableiten. Wenn es sich um liberale Institutionell handelte, ist man ja auch auf andern Gebieten von liberaler Seite gern bereit gewesen, auf staatsrechtliche Konsequenz zu verzichten. Darüber, daß die Ernennung der Staatsbeamten in Preußen mindestens zur Zeit verfassungsmäßige Prärogative der Krone ist, darüber setzte man sich gleich¬ falls mit der größten Leichtigkeit hinweg. Man mutete ihr einfach das Opfer zu, auf das Ernennungsrecht zu verzichten, auch ohne wenigstens das Bestä¬ tigungsrecht dafür einzutauschen. Am wenigsten zerbrach man sich den Kopf darüber, wie die Sache praktisch gehen sollte, wen» Laien namentlich an ent¬ scheidenden Stellen die Verwaltung führten. Bei den meisten war nur die all¬ gemeine Vorstellung verbreitet, daß es nicht nur besser, sondern, da der Ehren¬ beamte ja keine Besoldung beziehe, auch billiger werden müsse. Und mehr kann man doch nicht verlangen. Schade nur, daß nicht alles Gold ist. was glänzt. Man braucht kein gelehrter Nationalökonom zu sein, um zu wissen, daß jeder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/591>, abgerufen am 26.06.2024.