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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Gin neues Königreich.

zur Freiheit und Ordnung seine Weihe erhalten! Denn darin, nur darin falso
nicht in den Wegen der Omladina und ihrer guten Freunde und Gönner in
Moskau, uicht durch weitere Vergrößerung auf Kosten der Nachbarn^ wird das
neue Königreich jene Flügel finden, auf denen es sich im Glänze seines Titels
unausbleiblich zu ebenso glänzender Zukunft aufschwingen wird."

Wir dürfen diese Worte für aufrichtig gemeint halten. Die Vergangenheit
könnte zwar mißtrauisch macheu und Vorsicht gebieten. Serbien ist lange Zeit
eine Domäne der panslavistischcn Parteien und ein Herd moskvwitischer Wühle¬
reien gewesen. Aber wie anderwärts, so scheinen sich auch hier die Zeiten all¬
mählich geändert zu haben, und an die Stelle verkehrter Anschauungen und Be¬
strebungen, übel angebrachter Sympathien und einer Großmannssucht, die zuletzt
unausbleiblich mit dem Ruin der Landeswvhlfcchrt und der Einverleibung in die
Gebietssphüre Rußlands oder Österreich-Ungarns endigen mußte, dürfte eine
verständigere Betrachtung der Lage getreten sein. Das Königreich, welches Ge¬
neral Tschernajeff 1876 proklamirte, aber nicht ins Leben rief, hätte Knechts¬
gestalt gehabt, wie herrenmäßig es sich auch geberdet hätte. Es hätte Serbien
in unleidlichen Widerspruch mit deu europäischen Bedürfnissen und Verträgen ge¬
bracht, es wäre für Österreich-Ungarn eine stete Bedrohung und ein ewiger Zankapfel
zwischen diesem und dem Panslavismus gewesen. Über kurz oder lang würde
man sich in Wien vor die Notwendigkeit gestellt gesehen haben, es zu erdrücken
oder ihm wenigstens die Großmachtsgedanken gründlich zu benehmen. Das jetzt
geschaffne Königreich wird Herr seiner selbst sein können, es erfreut sich der
Sanktion ganz Europas, es ist eine naturgemäße Weiterentwicklung der euro¬
päischen Verträge, es scheint, weit davon entfernt, ein Trabant der Pseudosonnc
des Panslavismus werden zu müssen, vielmehr befähigt, den gleichmachenden
Bestrebungen, die alle Slaven in die russische Zwangsjacke zu stecken bemüht
sind, durch Entwicklung eines kraftvollen, zu eignem Leben befähigten Serben-
tums mit Erfolg entgegenzutreten. Es ist vollkommen richtig, wenn wahre ser¬
bische Patrioten dem Eingestampftwerden in den großen panslavistischen Brei
eine individuelle Existenz vorziehen, bei der man sich zwar nicht so groß, aber
glücklicher fühlt, und je mehr die Stämme der Balkanhalbinsel sich diese An¬
schauung aneignen und das Bewußtsein ihrer Eigenart politisch zum Ausdruck
bringen, desto mehr müssen die Träume des Panslavismus verblassen. Ein
Serbien, das seine Unabhängigkeit wcrthält, wird immer eher eine Bürgschaft
als eine Gefahr für den Frieden des Weltteils und darum allezeit der Unter¬
stützung der friedliebenden Mächte sicher sein.




Gin neues Königreich.

zur Freiheit und Ordnung seine Weihe erhalten! Denn darin, nur darin falso
nicht in den Wegen der Omladina und ihrer guten Freunde und Gönner in
Moskau, uicht durch weitere Vergrößerung auf Kosten der Nachbarn^ wird das
neue Königreich jene Flügel finden, auf denen es sich im Glänze seines Titels
unausbleiblich zu ebenso glänzender Zukunft aufschwingen wird."

Wir dürfen diese Worte für aufrichtig gemeint halten. Die Vergangenheit
könnte zwar mißtrauisch macheu und Vorsicht gebieten. Serbien ist lange Zeit
eine Domäne der panslavistischcn Parteien und ein Herd moskvwitischer Wühle¬
reien gewesen. Aber wie anderwärts, so scheinen sich auch hier die Zeiten all¬
mählich geändert zu haben, und an die Stelle verkehrter Anschauungen und Be¬
strebungen, übel angebrachter Sympathien und einer Großmannssucht, die zuletzt
unausbleiblich mit dem Ruin der Landeswvhlfcchrt und der Einverleibung in die
Gebietssphüre Rußlands oder Österreich-Ungarns endigen mußte, dürfte eine
verständigere Betrachtung der Lage getreten sein. Das Königreich, welches Ge¬
neral Tschernajeff 1876 proklamirte, aber nicht ins Leben rief, hätte Knechts¬
gestalt gehabt, wie herrenmäßig es sich auch geberdet hätte. Es hätte Serbien
in unleidlichen Widerspruch mit deu europäischen Bedürfnissen und Verträgen ge¬
bracht, es wäre für Österreich-Ungarn eine stete Bedrohung und ein ewiger Zankapfel
zwischen diesem und dem Panslavismus gewesen. Über kurz oder lang würde
man sich in Wien vor die Notwendigkeit gestellt gesehen haben, es zu erdrücken
oder ihm wenigstens die Großmachtsgedanken gründlich zu benehmen. Das jetzt
geschaffne Königreich wird Herr seiner selbst sein können, es erfreut sich der
Sanktion ganz Europas, es ist eine naturgemäße Weiterentwicklung der euro¬
päischen Verträge, es scheint, weit davon entfernt, ein Trabant der Pseudosonnc
des Panslavismus werden zu müssen, vielmehr befähigt, den gleichmachenden
Bestrebungen, die alle Slaven in die russische Zwangsjacke zu stecken bemüht
sind, durch Entwicklung eines kraftvollen, zu eignem Leben befähigten Serben-
tums mit Erfolg entgegenzutreten. Es ist vollkommen richtig, wenn wahre ser¬
bische Patrioten dem Eingestampftwerden in den großen panslavistischen Brei
eine individuelle Existenz vorziehen, bei der man sich zwar nicht so groß, aber
glücklicher fühlt, und je mehr die Stämme der Balkanhalbinsel sich diese An¬
schauung aneignen und das Bewußtsein ihrer Eigenart politisch zum Ausdruck
bringen, desto mehr müssen die Träume des Panslavismus verblassen. Ein
Serbien, das seine Unabhängigkeit wcrthält, wird immer eher eine Bürgschaft
als eine Gefahr für den Frieden des Weltteils und darum allezeit der Unter¬
stützung der friedliebenden Mächte sicher sein.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/588>, abgerufen am 26.06.2024.