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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte wahrend des letzten Jahrzehnts.

lesnngen geäußert hatte, welche er zu der Zeit, da zwar schon die ersten Funde
gemacht, aber noch nicht veröffentlicht worden waren, näher darlegte in seinem
Aufsatz: "Paionios und die nordgriechische Kunst" (Sitzungsberichte der baye¬
rischen Akademie der Wissenschaften von 1876. Philos.-philol, Klasse, Bd I.. Heft 3);
eine Ansicht, bei der man zwar Bedenken tragen kaun, ob sie in ihrem Endresultate
das Nichtige trifft, der man aber das entschiedene Verdienst vindiciren muß, daß
Brunn zuerst darauf hingewiesen hat, daß die Stellung, welche man den Giebel¬
skulpturen auf gut Glück hin in der Kunstgeschichte einzuräumen geneigt war,
durch nichts gerechtfertigt sei. Im Gegensatz zu dem früher in seiner Künstlerge-
schichte eingenommenen Standpunkte sprach er es unumwunden aus, daß durchaus
kein hinlänglicher Grund vorliege, den Paionios als einen Schüler des Phidias
aufzufassen; indem er lediglich von der Beschreibung des Pausanias ausging,
legte er dar, daß die strenge Regelmäßigkeit der Komposition keineswegs einem
Schüler des Phidias, welcher die Giebelgruppen des Parthenon vor sich hatte,
entspreche, und daß man schon daraus schließen müsse, daß Paionios unabhängig
von Phidias in dem Geiste einer etwas älteren und befangeneren Kunst ge¬
arbeitet habe. Dies Urteil haben die Ausgrabungen in vollstem Maße gerecht¬
fertigt.

Betrachten wir nun zunächst, welche positiven Resultate hinsichtlich des
Sknlpturenschmuckes am Zeustempel die Ausgrabungen geliefert haben. Bon
den Metopen des Tempels sind außer jenen bereits bekannten, im Louvre be¬
findlichen, auch die übrigen zehn teils in größeren Teilen noch aufgefunden
worden, teils durch kleinere Fragmente hinlänglich zu belegen; denn zwölf Thaten
des Herakles, nicht elf, wie Pausanias berichtet, waren in der That dargestellt,
wie sich das ja mich erwarten ließ. Es muß dahingestellt bleiben, ob Pau¬
sanias beim Ausarbeiten seiner Notizen und Exeerpte einen Irrtum beging, oder
ob das Fehlen jener zwölften Metope nur auf einer Verderbnis der Hand¬
schriften beruht. Auch darüber haben die Ausgrabungen hinlänglich Klarheit
gebracht, daß die Metopen, was auch am besten dem Wortlaut bei Pausanias
entspricht, nicht am äußern Fries des Tempels, sondern innerhalb des Peristyls
oberhalb der Thüre" angebracht waren. Es sind dann ferner von beide" Giebel¬
feldern die einzelnen Figuren und Gruppen in solcher Vollständigkeit aufgefunden
worden, daß man, obgleich manche darunter nur sehr fragmentarisch erhalten
sind, doch mit Bestimmtheit versichern kann, daß uns kein Glied von den Giebel¬
konipositionen fehlt. Freilich sind die Beschreibungen des Pnusanias nicht scharf
genug, um ganz sichere Anhaltspunkte für die Gruppirung der gefundenen Reste
zu geben; diese selbst aber bieten nur teilweise geeignete Handhaben hierfür dar.
Deshalb gehen die Rekonstrnklionsvcrsnche in der Anordnung der Figuren teil¬
weise noch auseinander. Indessen betrifft das nicht gerade wesentliche Punkte;
im großen und ganzen läßt sich die Komposition in beide" Giebel" durchaus
sicher beurteilen. Wir erkennen im Ostgicbel eine ziemlich streng symmetrisch


Die Fortschritte in der antiken Kunstgeschichte wahrend des letzten Jahrzehnts.

lesnngen geäußert hatte, welche er zu der Zeit, da zwar schon die ersten Funde
gemacht, aber noch nicht veröffentlicht worden waren, näher darlegte in seinem
Aufsatz: „Paionios und die nordgriechische Kunst" (Sitzungsberichte der baye¬
rischen Akademie der Wissenschaften von 1876. Philos.-philol, Klasse, Bd I.. Heft 3);
eine Ansicht, bei der man zwar Bedenken tragen kaun, ob sie in ihrem Endresultate
das Nichtige trifft, der man aber das entschiedene Verdienst vindiciren muß, daß
Brunn zuerst darauf hingewiesen hat, daß die Stellung, welche man den Giebel¬
skulpturen auf gut Glück hin in der Kunstgeschichte einzuräumen geneigt war,
durch nichts gerechtfertigt sei. Im Gegensatz zu dem früher in seiner Künstlerge-
schichte eingenommenen Standpunkte sprach er es unumwunden aus, daß durchaus
kein hinlänglicher Grund vorliege, den Paionios als einen Schüler des Phidias
aufzufassen; indem er lediglich von der Beschreibung des Pausanias ausging,
legte er dar, daß die strenge Regelmäßigkeit der Komposition keineswegs einem
Schüler des Phidias, welcher die Giebelgruppen des Parthenon vor sich hatte,
entspreche, und daß man schon daraus schließen müsse, daß Paionios unabhängig
von Phidias in dem Geiste einer etwas älteren und befangeneren Kunst ge¬
arbeitet habe. Dies Urteil haben die Ausgrabungen in vollstem Maße gerecht¬
fertigt.

Betrachten wir nun zunächst, welche positiven Resultate hinsichtlich des
Sknlpturenschmuckes am Zeustempel die Ausgrabungen geliefert haben. Bon
den Metopen des Tempels sind außer jenen bereits bekannten, im Louvre be¬
findlichen, auch die übrigen zehn teils in größeren Teilen noch aufgefunden
worden, teils durch kleinere Fragmente hinlänglich zu belegen; denn zwölf Thaten
des Herakles, nicht elf, wie Pausanias berichtet, waren in der That dargestellt,
wie sich das ja mich erwarten ließ. Es muß dahingestellt bleiben, ob Pau¬
sanias beim Ausarbeiten seiner Notizen und Exeerpte einen Irrtum beging, oder
ob das Fehlen jener zwölften Metope nur auf einer Verderbnis der Hand¬
schriften beruht. Auch darüber haben die Ausgrabungen hinlänglich Klarheit
gebracht, daß die Metopen, was auch am besten dem Wortlaut bei Pausanias
entspricht, nicht am äußern Fries des Tempels, sondern innerhalb des Peristyls
oberhalb der Thüre» angebracht waren. Es sind dann ferner von beide» Giebel¬
feldern die einzelnen Figuren und Gruppen in solcher Vollständigkeit aufgefunden
worden, daß man, obgleich manche darunter nur sehr fragmentarisch erhalten
sind, doch mit Bestimmtheit versichern kann, daß uns kein Glied von den Giebel¬
konipositionen fehlt. Freilich sind die Beschreibungen des Pnusanias nicht scharf
genug, um ganz sichere Anhaltspunkte für die Gruppirung der gefundenen Reste
zu geben; diese selbst aber bieten nur teilweise geeignete Handhaben hierfür dar.
Deshalb gehen die Rekonstrnklionsvcrsnche in der Anordnung der Figuren teil¬
weise noch auseinander. Indessen betrifft das nicht gerade wesentliche Punkte;
im großen und ganzen läßt sich die Komposition in beide» Giebel» durchaus
sicher beurteilen. Wir erkennen im Ostgicbel eine ziemlich streng symmetrisch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/551>, abgerufen am 26.06.2024.