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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur verwaltmigsreform in Preußen.

lungen über einen neuen, der bisherigen Anschauung der meisten fernliegenden
Jdeenkreis handelt, so ist es offenbar zunächst sür jeden, der damit operiren
will, eine direkte Aufforderung, unklar zu denken, und mindestens für den Leser
oder Hörer, der den jedesmalige" Sinn des Wortes im gegebenen Falle nur
aus dem Zusammenhange entnehmen kann, eine unversiegliche Quelle von Mi߬
verständnisse", Am beste" thut man daher, um die beide" ganz heterogene"
Dinge, welche derselbe Ausdruck bezeichnet, sicher auseinanderzuhalten, wenn man
ihn ganz vermeidet. Darnach würde zur Gewinnung eines Urteils über den
Wert der Selbstverwaltung zu handeln sein 1) über die Autonomie der Ge¬
meinden, 2) über die Delegation von Staatshoheitsrechtcn an Nichtberufs-
beamte.

Schon ans dieser Präzisiruug des Themas ist soviel vorweg klar, daß die
Selbstverwaltung mindestens eine der konservativen Anschauungsweise sehr sym¬
pathische Seite hat, die Stärkung des Gcmeindelebens. Als das individuelle
Leben mächtiger Korporationen noch so üppig wucherte, daß es das Wachstum
der eben erst emporkeimenden Staatsidee schon in den ersten zarten Trieben
schier erstickt hätte, da war es für die Staatsgewalt natürlich im Interesse der
Selbsterhaltung geboten, das Übermaß korporativen Lebens zu beschneiden. Wenn
dann die absolute Monarchie, durchdrungen von dieser ihrer Mission, mit der
Verwirklichung ihrer Staatsidee eine höhere Ordnung der Dinge zu begründen,
in dem Gedränge eines oft wahrlich erbitterten Kampfes bei den Bestrebungen,
den kommunalen Sondergeist nnter ihre Herrschaft zu zwingen, schließlich so weit
ging, daß sie überhaupt alles selbständige Leben der Kommunen als staats¬
gefährlich mit mißtrauischen Auge" ansah und am liebsten mit Stumpf und Stiel
ausgerottet hätte, so war dies eine durch den Gang jeden geschichtlichen Entwick¬
lungsprozesses bedingte Einseitigkeit, die deshalb uicht Wunder nehmen kann, auch
praktisch weniger schädlich wirkte, so lange ein gewissermaßen patriarchalisches Regi¬
ment fortdauerte. Schlimm wurde die Sache erst, als auch mit der konstitutionellen
Staatsrcform nicht die Reaktion kam. Jetzt, wo jeder frühere Unterthan der guten
alten Zeit in dem Hochgefühle seines neuen Staatsbürgerbewußtseins schwelgte,
mußte natürlich alles öffentliche Leben erst recht in der Beschäftigung mit den großen
staatlichen Fragen aufgehen, und wenn es auch zur einfältigsten Kannegießere!
hätte führen sollen. Obenein wurde eine Masse französisch-belgischer Vorstellungen
importirt, welche der Stellung der Kommunen zum Staate womöglich noch un¬
günstiger waren als die bisherigen. Statt der Reaktion gegen die Einseitigkeit
der alten Auffassung trat daher umgekehrt leider nur noch eine Verschärfung dieser
Einseitigkeit hervor, so daß die Gemeinden im wesentlichen bloß noch als ört¬
liche Organe der Staatsgewalt angesehen wurden. Wie tief diese letztere Vor¬
stellung sich hat einwurzeln können, beweisen wiederum die Gneistschcn Schriften.
Gneist unterscheidet zwar einen "aufgetragenen" und einen "autonomen" Wir¬
kungskreis der Gemeinden, doch herrscht bei ihm, darin hat Friedberg Recht,


Gu'iizlwten I- 1882. 63
Zur verwaltmigsreform in Preußen.

lungen über einen neuen, der bisherigen Anschauung der meisten fernliegenden
Jdeenkreis handelt, so ist es offenbar zunächst sür jeden, der damit operiren
will, eine direkte Aufforderung, unklar zu denken, und mindestens für den Leser
oder Hörer, der den jedesmalige» Sinn des Wortes im gegebenen Falle nur
aus dem Zusammenhange entnehmen kann, eine unversiegliche Quelle von Mi߬
verständnisse», Am beste» thut man daher, um die beide» ganz heterogene»
Dinge, welche derselbe Ausdruck bezeichnet, sicher auseinanderzuhalten, wenn man
ihn ganz vermeidet. Darnach würde zur Gewinnung eines Urteils über den
Wert der Selbstverwaltung zu handeln sein 1) über die Autonomie der Ge¬
meinden, 2) über die Delegation von Staatshoheitsrechtcn an Nichtberufs-
beamte.

Schon ans dieser Präzisiruug des Themas ist soviel vorweg klar, daß die
Selbstverwaltung mindestens eine der konservativen Anschauungsweise sehr sym¬
pathische Seite hat, die Stärkung des Gcmeindelebens. Als das individuelle
Leben mächtiger Korporationen noch so üppig wucherte, daß es das Wachstum
der eben erst emporkeimenden Staatsidee schon in den ersten zarten Trieben
schier erstickt hätte, da war es für die Staatsgewalt natürlich im Interesse der
Selbsterhaltung geboten, das Übermaß korporativen Lebens zu beschneiden. Wenn
dann die absolute Monarchie, durchdrungen von dieser ihrer Mission, mit der
Verwirklichung ihrer Staatsidee eine höhere Ordnung der Dinge zu begründen,
in dem Gedränge eines oft wahrlich erbitterten Kampfes bei den Bestrebungen,
den kommunalen Sondergeist nnter ihre Herrschaft zu zwingen, schließlich so weit
ging, daß sie überhaupt alles selbständige Leben der Kommunen als staats¬
gefährlich mit mißtrauischen Auge» ansah und am liebsten mit Stumpf und Stiel
ausgerottet hätte, so war dies eine durch den Gang jeden geschichtlichen Entwick¬
lungsprozesses bedingte Einseitigkeit, die deshalb uicht Wunder nehmen kann, auch
praktisch weniger schädlich wirkte, so lange ein gewissermaßen patriarchalisches Regi¬
ment fortdauerte. Schlimm wurde die Sache erst, als auch mit der konstitutionellen
Staatsrcform nicht die Reaktion kam. Jetzt, wo jeder frühere Unterthan der guten
alten Zeit in dem Hochgefühle seines neuen Staatsbürgerbewußtseins schwelgte,
mußte natürlich alles öffentliche Leben erst recht in der Beschäftigung mit den großen
staatlichen Fragen aufgehen, und wenn es auch zur einfältigsten Kannegießere!
hätte führen sollen. Obenein wurde eine Masse französisch-belgischer Vorstellungen
importirt, welche der Stellung der Kommunen zum Staate womöglich noch un¬
günstiger waren als die bisherigen. Statt der Reaktion gegen die Einseitigkeit
der alten Auffassung trat daher umgekehrt leider nur noch eine Verschärfung dieser
Einseitigkeit hervor, so daß die Gemeinden im wesentlichen bloß noch als ört¬
liche Organe der Staatsgewalt angesehen wurden. Wie tief diese letztere Vor¬
stellung sich hat einwurzeln können, beweisen wiederum die Gneistschcn Schriften.
Gneist unterscheidet zwar einen „aufgetragenen" und einen „autonomen" Wir¬
kungskreis der Gemeinden, doch herrscht bei ihm, darin hat Friedberg Recht,


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[0545] Zur verwaltmigsreform in Preußen. lungen über einen neuen, der bisherigen Anschauung der meisten fernliegenden Jdeenkreis handelt, so ist es offenbar zunächst sür jeden, der damit operiren will, eine direkte Aufforderung, unklar zu denken, und mindestens für den Leser oder Hörer, der den jedesmalige» Sinn des Wortes im gegebenen Falle nur aus dem Zusammenhange entnehmen kann, eine unversiegliche Quelle von Mi߬ verständnisse», Am beste» thut man daher, um die beide» ganz heterogene» Dinge, welche derselbe Ausdruck bezeichnet, sicher auseinanderzuhalten, wenn man ihn ganz vermeidet. Darnach würde zur Gewinnung eines Urteils über den Wert der Selbstverwaltung zu handeln sein 1) über die Autonomie der Ge¬ meinden, 2) über die Delegation von Staatshoheitsrechtcn an Nichtberufs- beamte. Schon ans dieser Präzisiruug des Themas ist soviel vorweg klar, daß die Selbstverwaltung mindestens eine der konservativen Anschauungsweise sehr sym¬ pathische Seite hat, die Stärkung des Gcmeindelebens. Als das individuelle Leben mächtiger Korporationen noch so üppig wucherte, daß es das Wachstum der eben erst emporkeimenden Staatsidee schon in den ersten zarten Trieben schier erstickt hätte, da war es für die Staatsgewalt natürlich im Interesse der Selbsterhaltung geboten, das Übermaß korporativen Lebens zu beschneiden. Wenn dann die absolute Monarchie, durchdrungen von dieser ihrer Mission, mit der Verwirklichung ihrer Staatsidee eine höhere Ordnung der Dinge zu begründen, in dem Gedränge eines oft wahrlich erbitterten Kampfes bei den Bestrebungen, den kommunalen Sondergeist nnter ihre Herrschaft zu zwingen, schließlich so weit ging, daß sie überhaupt alles selbständige Leben der Kommunen als staats¬ gefährlich mit mißtrauischen Auge» ansah und am liebsten mit Stumpf und Stiel ausgerottet hätte, so war dies eine durch den Gang jeden geschichtlichen Entwick¬ lungsprozesses bedingte Einseitigkeit, die deshalb uicht Wunder nehmen kann, auch praktisch weniger schädlich wirkte, so lange ein gewissermaßen patriarchalisches Regi¬ ment fortdauerte. Schlimm wurde die Sache erst, als auch mit der konstitutionellen Staatsrcform nicht die Reaktion kam. Jetzt, wo jeder frühere Unterthan der guten alten Zeit in dem Hochgefühle seines neuen Staatsbürgerbewußtseins schwelgte, mußte natürlich alles öffentliche Leben erst recht in der Beschäftigung mit den großen staatlichen Fragen aufgehen, und wenn es auch zur einfältigsten Kannegießere! hätte führen sollen. Obenein wurde eine Masse französisch-belgischer Vorstellungen importirt, welche der Stellung der Kommunen zum Staate womöglich noch un¬ günstiger waren als die bisherigen. Statt der Reaktion gegen die Einseitigkeit der alten Auffassung trat daher umgekehrt leider nur noch eine Verschärfung dieser Einseitigkeit hervor, so daß die Gemeinden im wesentlichen bloß noch als ört¬ liche Organe der Staatsgewalt angesehen wurden. Wie tief diese letztere Vor¬ stellung sich hat einwurzeln können, beweisen wiederum die Gneistschcn Schriften. Gneist unterscheidet zwar einen „aufgetragenen" und einen „autonomen" Wir¬ kungskreis der Gemeinden, doch herrscht bei ihm, darin hat Friedberg Recht, Gu'iizlwten I- 1882. 63

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/545>, abgerufen am 26.06.2024.