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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zur verivaltungsreform in Preuße".

sonach der Konservatismus die Dinge auch mit viel kühlerem Blute ansehen
mußte als der Liberalismus, so war andrerseits doch damit nicht gesagt, daß
er sich gegenüber der Frage des Rechtsschutzes ans dem Gebiete der Verwaltung
bloß ablehnend oder gar feindlich hätte Verhalten sollen. Im Gegenteil. Ge¬
rechtigkeitssinn ist bekanntlich überhaupt nicht das Monopol irgend einer ein¬
zelnen Partei. So konnten denn alle Bestrebungen, die Gründlichkeit der Rechts¬
pflege auf dem Gebiete des Staats- und sonstigen öffentlichen Rechts zu fördern,
auch den Konservativen nur sympathisch sein. Nur mußte man darauf dringe",
daß zwischen Rechtsprechung und Verwaltung, zwischen Entscheidung streitiger
Rechts- und streitiger Zweckmäßigkeitsfragcn stets scharf unterschieden werde und
nicht etwa die Vermengung beider Gesichtspunkte zu organisatorischen Unklar¬
heiten führe. Daß übrigens bei den bestehenden Zuständen die Exekutivgewalt
bei einem Widerspruch zwischen ihrer Nechtsunffassung und derjenigen eines der
legislativen Faktoren zuletzt Richter in eigner Sache war, konnte ehrlicherweise
von keiner Seite geleugnet werden. Auch nach diesen Richtungen hin war es
also geboten, Abhilfe zu schaffen.

Dies das Rcformbcdürfnis. Mit der Klarstellung desselben wären denn
anch gleichzeitig die Ziele, auf welche die Vcrwaltungsreform loszusteuern hat,
deutlich vorgezeichnet. Ihre Aufgabe ist, um es kurz zusammenzufassen, die
Lösung folgender Probleme: Verschmelzung aller Teile des preußischen Staates
zur höhern Einheit des organische" Ganzen, Entlastung der Zentralbehörden,
Steigerung der Leistungsfähigkeit der Vcrwaltuugsmaschinc durch Herbeiführung
leichterer und schnellerer Beweglichkeit, größerer ArbeitSpräzisivn mit stärkerer Kraft-
entfaltung am gegebenen Punkte, Hebung des gesammten öffentlichen Lebens,
Verwirklichung der konstitutionellen Staatsidee dnrch Beseitigung der Überbleibsel
aus demi alten Ständestaat, Trennung der Verwaltung und der Verwaltungs¬
jurisdiktion, Schaffung von Nechtskoutrvllen.

Wie soll nnn dieses Reformprogramm realisirt werden?

Die Antwort läßt sich in sehr verschiedener Weise geben, je nachdem man
sich mehr oder weniger auf die Darlegung allgemeiner Gesichtspunkte beschränkt
oder uicht. Man nehme z. B. den ersten Punkt des Programms. Hier kann
man die Sache kurzweg mit der Aufstellung des Satzes abthun, daß gewisse
oberste Grundsätze in bestimmten, für alle Teile der Monarchie gleich anwend¬
baren Grundformen der behördlichen Organisation verkörpert werden, und daß
diese überall konformen Einrichtungen ferner so beschaffen sein müßten, um durch
die Übersichtlichkeit des Schematismus der Zentralstelle eine schnelle und akute
Kraftäußerung zu ermöglichen, ohne doch das individuelle Leben provinzieller
Eigentümlichkeiten in das Prokrustesbette der Schablone zu zwängen. Damit
wäre man denn freilich rin eine Erkenntnis von solcher trivialen Allgemeinheit
reicher, daß man praktisch absolut nichts gewonnen hätte. Oder man könnte
den soeben hervorgehobenen Grundgedanken bis in alle einzelnen Konsequenzen


Zur verivaltungsreform in Preuße».

sonach der Konservatismus die Dinge auch mit viel kühlerem Blute ansehen
mußte als der Liberalismus, so war andrerseits doch damit nicht gesagt, daß
er sich gegenüber der Frage des Rechtsschutzes ans dem Gebiete der Verwaltung
bloß ablehnend oder gar feindlich hätte Verhalten sollen. Im Gegenteil. Ge¬
rechtigkeitssinn ist bekanntlich überhaupt nicht das Monopol irgend einer ein¬
zelnen Partei. So konnten denn alle Bestrebungen, die Gründlichkeit der Rechts¬
pflege auf dem Gebiete des Staats- und sonstigen öffentlichen Rechts zu fördern,
auch den Konservativen nur sympathisch sein. Nur mußte man darauf dringe»,
daß zwischen Rechtsprechung und Verwaltung, zwischen Entscheidung streitiger
Rechts- und streitiger Zweckmäßigkeitsfragcn stets scharf unterschieden werde und
nicht etwa die Vermengung beider Gesichtspunkte zu organisatorischen Unklar¬
heiten führe. Daß übrigens bei den bestehenden Zuständen die Exekutivgewalt
bei einem Widerspruch zwischen ihrer Nechtsunffassung und derjenigen eines der
legislativen Faktoren zuletzt Richter in eigner Sache war, konnte ehrlicherweise
von keiner Seite geleugnet werden. Auch nach diesen Richtungen hin war es
also geboten, Abhilfe zu schaffen.

Dies das Rcformbcdürfnis. Mit der Klarstellung desselben wären denn
anch gleichzeitig die Ziele, auf welche die Vcrwaltungsreform loszusteuern hat,
deutlich vorgezeichnet. Ihre Aufgabe ist, um es kurz zusammenzufassen, die
Lösung folgender Probleme: Verschmelzung aller Teile des preußischen Staates
zur höhern Einheit des organische» Ganzen, Entlastung der Zentralbehörden,
Steigerung der Leistungsfähigkeit der Vcrwaltuugsmaschinc durch Herbeiführung
leichterer und schnellerer Beweglichkeit, größerer ArbeitSpräzisivn mit stärkerer Kraft-
entfaltung am gegebenen Punkte, Hebung des gesammten öffentlichen Lebens,
Verwirklichung der konstitutionellen Staatsidee dnrch Beseitigung der Überbleibsel
aus demi alten Ständestaat, Trennung der Verwaltung und der Verwaltungs¬
jurisdiktion, Schaffung von Nechtskoutrvllen.

Wie soll nnn dieses Reformprogramm realisirt werden?

Die Antwort läßt sich in sehr verschiedener Weise geben, je nachdem man
sich mehr oder weniger auf die Darlegung allgemeiner Gesichtspunkte beschränkt
oder uicht. Man nehme z. B. den ersten Punkt des Programms. Hier kann
man die Sache kurzweg mit der Aufstellung des Satzes abthun, daß gewisse
oberste Grundsätze in bestimmten, für alle Teile der Monarchie gleich anwend¬
baren Grundformen der behördlichen Organisation verkörpert werden, und daß
diese überall konformen Einrichtungen ferner so beschaffen sein müßten, um durch
die Übersichtlichkeit des Schematismus der Zentralstelle eine schnelle und akute
Kraftäußerung zu ermöglichen, ohne doch das individuelle Leben provinzieller
Eigentümlichkeiten in das Prokrustesbette der Schablone zu zwängen. Damit
wäre man denn freilich rin eine Erkenntnis von solcher trivialen Allgemeinheit
reicher, daß man praktisch absolut nichts gewonnen hätte. Oder man könnte
den soeben hervorgehobenen Grundgedanken bis in alle einzelnen Konsequenzen


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[0542] Zur verivaltungsreform in Preuße». sonach der Konservatismus die Dinge auch mit viel kühlerem Blute ansehen mußte als der Liberalismus, so war andrerseits doch damit nicht gesagt, daß er sich gegenüber der Frage des Rechtsschutzes ans dem Gebiete der Verwaltung bloß ablehnend oder gar feindlich hätte Verhalten sollen. Im Gegenteil. Ge¬ rechtigkeitssinn ist bekanntlich überhaupt nicht das Monopol irgend einer ein¬ zelnen Partei. So konnten denn alle Bestrebungen, die Gründlichkeit der Rechts¬ pflege auf dem Gebiete des Staats- und sonstigen öffentlichen Rechts zu fördern, auch den Konservativen nur sympathisch sein. Nur mußte man darauf dringe», daß zwischen Rechtsprechung und Verwaltung, zwischen Entscheidung streitiger Rechts- und streitiger Zweckmäßigkeitsfragcn stets scharf unterschieden werde und nicht etwa die Vermengung beider Gesichtspunkte zu organisatorischen Unklar¬ heiten führe. Daß übrigens bei den bestehenden Zuständen die Exekutivgewalt bei einem Widerspruch zwischen ihrer Nechtsunffassung und derjenigen eines der legislativen Faktoren zuletzt Richter in eigner Sache war, konnte ehrlicherweise von keiner Seite geleugnet werden. Auch nach diesen Richtungen hin war es also geboten, Abhilfe zu schaffen. Dies das Rcformbcdürfnis. Mit der Klarstellung desselben wären denn anch gleichzeitig die Ziele, auf welche die Vcrwaltungsreform loszusteuern hat, deutlich vorgezeichnet. Ihre Aufgabe ist, um es kurz zusammenzufassen, die Lösung folgender Probleme: Verschmelzung aller Teile des preußischen Staates zur höhern Einheit des organische» Ganzen, Entlastung der Zentralbehörden, Steigerung der Leistungsfähigkeit der Vcrwaltuugsmaschinc durch Herbeiführung leichterer und schnellerer Beweglichkeit, größerer ArbeitSpräzisivn mit stärkerer Kraft- entfaltung am gegebenen Punkte, Hebung des gesammten öffentlichen Lebens, Verwirklichung der konstitutionellen Staatsidee dnrch Beseitigung der Überbleibsel aus demi alten Ständestaat, Trennung der Verwaltung und der Verwaltungs¬ jurisdiktion, Schaffung von Nechtskoutrvllen. Wie soll nnn dieses Reformprogramm realisirt werden? Die Antwort läßt sich in sehr verschiedener Weise geben, je nachdem man sich mehr oder weniger auf die Darlegung allgemeiner Gesichtspunkte beschränkt oder uicht. Man nehme z. B. den ersten Punkt des Programms. Hier kann man die Sache kurzweg mit der Aufstellung des Satzes abthun, daß gewisse oberste Grundsätze in bestimmten, für alle Teile der Monarchie gleich anwend¬ baren Grundformen der behördlichen Organisation verkörpert werden, und daß diese überall konformen Einrichtungen ferner so beschaffen sein müßten, um durch die Übersichtlichkeit des Schematismus der Zentralstelle eine schnelle und akute Kraftäußerung zu ermöglichen, ohne doch das individuelle Leben provinzieller Eigentümlichkeiten in das Prokrustesbette der Schablone zu zwängen. Damit wäre man denn freilich rin eine Erkenntnis von solcher trivialen Allgemeinheit reicher, daß man praktisch absolut nichts gewonnen hätte. Oder man könnte den soeben hervorgehobenen Grundgedanken bis in alle einzelnen Konsequenzen

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/542>, abgerufen am 26.06.2024.