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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrsosträger.

Diese Männer würdig zu bewirten, war dem braven alten Herrn eine
Ehrensache, und er hatte lange Stunden mit seinem Küchcnoberhaupt den Speise¬
zettel beraten und wieder durchbcrnteu, und einige Überraschungen mich für die
verwöhntesten Gaumen sorgfältig vorbereitet. Dazu gehörte unter anderm ein
Gericht Bärentatzen, welches er sich aus Petersburg hatte kommen lassen. Die
Tatzen sollten im Felle in der Erde zwischen heißen Steinen, ohne irgendwelche
Zuthat, gebraten werden, und der Bankier war gespannt, welchen Eindruck sie
auf den päpstlichen Kammerherrn machen würden, der einmal behauptet hatte,
Bärentatzen seien das feinste, und es sei Schade, daß man sie nur in Rußland
fände. Die Sorge des Wirtes war nun, ob dies Gericht, welches der Koch
noch niemals gemacht hatte, sowie einige andre Finessen, wohl gelingen würden.
Aber noch ein andres quälte ihn. Es kam ihm vor, während er inmitten der
Gratulanten stand, als dränge ein Geruch von der Küche her in den Saal.
Das war nun eine Sache, die, so unbedeutend und unwichtig sie auch erscheinen
mag, doch den alten Freiherrn von Lvvendal aufs höchste erregte.

Die Vorstellung, er rieche das Essen von der Küche her, war bei ihm zu
einer fixen Idee geworden. Er hatte darüber schon weit mehr Ärger und Auf¬
regung, Verdruß und Zorn gehabt,'als über den Verlust von Millionen. In
der That und Wahrheit roch man heute im Saal uicht das mindeste von Essen,
und die Küche lag viel zu weit entfernt, als daß es möglich gewesen wäre, aber
der Freiherr bildete sichs ein und war unglücklich. Er war kein Mann, den
die Phantasie beherrschte, sondern in den Gebieten der Realität seßhaft, aber
dennoch hatte die Phantasie, welche den sterblichen Bewohnern der Erde so viele
neckische Streiche spielt, auch über sein Gemüt wenigstens eine kleine Macht. Er
erinnerte sich, daß der Koch, ein Proveneule, hartnäckig an der Manier festhielt,
gewissen Fleischspeisen ein Parfum starkriechender Zwiebelgewächse zu geben, indem
er trotz aller Einwendungen behauptete, es ginge nicht anders, und nun klammerten
sich des Barons Vorstellungen an das Bild dieses Mannes, wie er mit unge¬
horsamer und frevelhafter Hand derartige verbotene Würzen handhabte.

Er wandte sich zu seinem Sohne und flüsterte ihm ins Ohr: Riechst du
nichts, Amadeus?

Der junge Freiherr zuckte die Achsel". Er kannte diese kleine Schwäche
seines Vaters.

Ich bitte dich, Papa, beruhige dich, die Küche ist doch eine halbe Meile
entfernt.

Und ich rieche es doch, sagte der Alte.

So ein tüchtiger Originalgeruch dringt gar sehr durch, dachte er voll Mi߬
trauen und ging auf Herrn Bankdirektor Irrwisch zu, dessen imposante Gestalt
lind wohlwollendes Antlitz jetzt in der Thür erschienen.

Schon gut, schon gut, lieber Irrwisch, entgegnete er ans die Segenswünsche
des Staats- und Finanzmanues, sagen Sie mir doch ganz ehrlich und offen-


Grenzbotcu I. 1882. 66
Bakchen und Thyrsosträger.

Diese Männer würdig zu bewirten, war dem braven alten Herrn eine
Ehrensache, und er hatte lange Stunden mit seinem Küchcnoberhaupt den Speise¬
zettel beraten und wieder durchbcrnteu, und einige Überraschungen mich für die
verwöhntesten Gaumen sorgfältig vorbereitet. Dazu gehörte unter anderm ein
Gericht Bärentatzen, welches er sich aus Petersburg hatte kommen lassen. Die
Tatzen sollten im Felle in der Erde zwischen heißen Steinen, ohne irgendwelche
Zuthat, gebraten werden, und der Bankier war gespannt, welchen Eindruck sie
auf den päpstlichen Kammerherrn machen würden, der einmal behauptet hatte,
Bärentatzen seien das feinste, und es sei Schade, daß man sie nur in Rußland
fände. Die Sorge des Wirtes war nun, ob dies Gericht, welches der Koch
noch niemals gemacht hatte, sowie einige andre Finessen, wohl gelingen würden.
Aber noch ein andres quälte ihn. Es kam ihm vor, während er inmitten der
Gratulanten stand, als dränge ein Geruch von der Küche her in den Saal.
Das war nun eine Sache, die, so unbedeutend und unwichtig sie auch erscheinen
mag, doch den alten Freiherrn von Lvvendal aufs höchste erregte.

Die Vorstellung, er rieche das Essen von der Küche her, war bei ihm zu
einer fixen Idee geworden. Er hatte darüber schon weit mehr Ärger und Auf¬
regung, Verdruß und Zorn gehabt,'als über den Verlust von Millionen. In
der That und Wahrheit roch man heute im Saal uicht das mindeste von Essen,
und die Küche lag viel zu weit entfernt, als daß es möglich gewesen wäre, aber
der Freiherr bildete sichs ein und war unglücklich. Er war kein Mann, den
die Phantasie beherrschte, sondern in den Gebieten der Realität seßhaft, aber
dennoch hatte die Phantasie, welche den sterblichen Bewohnern der Erde so viele
neckische Streiche spielt, auch über sein Gemüt wenigstens eine kleine Macht. Er
erinnerte sich, daß der Koch, ein Proveneule, hartnäckig an der Manier festhielt,
gewissen Fleischspeisen ein Parfum starkriechender Zwiebelgewächse zu geben, indem
er trotz aller Einwendungen behauptete, es ginge nicht anders, und nun klammerten
sich des Barons Vorstellungen an das Bild dieses Mannes, wie er mit unge¬
horsamer und frevelhafter Hand derartige verbotene Würzen handhabte.

Er wandte sich zu seinem Sohne und flüsterte ihm ins Ohr: Riechst du
nichts, Amadeus?

Der junge Freiherr zuckte die Achsel». Er kannte diese kleine Schwäche
seines Vaters.

Ich bitte dich, Papa, beruhige dich, die Küche ist doch eine halbe Meile
entfernt.

Und ich rieche es doch, sagte der Alte.

So ein tüchtiger Originalgeruch dringt gar sehr durch, dachte er voll Mi߬
trauen und ging auf Herrn Bankdirektor Irrwisch zu, dessen imposante Gestalt
lind wohlwollendes Antlitz jetzt in der Thür erschienen.

Schon gut, schon gut, lieber Irrwisch, entgegnete er ans die Segenswünsche
des Staats- und Finanzmanues, sagen Sie mir doch ganz ehrlich und offen-


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[0529] Bakchen und Thyrsosträger. Diese Männer würdig zu bewirten, war dem braven alten Herrn eine Ehrensache, und er hatte lange Stunden mit seinem Küchcnoberhaupt den Speise¬ zettel beraten und wieder durchbcrnteu, und einige Überraschungen mich für die verwöhntesten Gaumen sorgfältig vorbereitet. Dazu gehörte unter anderm ein Gericht Bärentatzen, welches er sich aus Petersburg hatte kommen lassen. Die Tatzen sollten im Felle in der Erde zwischen heißen Steinen, ohne irgendwelche Zuthat, gebraten werden, und der Bankier war gespannt, welchen Eindruck sie auf den päpstlichen Kammerherrn machen würden, der einmal behauptet hatte, Bärentatzen seien das feinste, und es sei Schade, daß man sie nur in Rußland fände. Die Sorge des Wirtes war nun, ob dies Gericht, welches der Koch noch niemals gemacht hatte, sowie einige andre Finessen, wohl gelingen würden. Aber noch ein andres quälte ihn. Es kam ihm vor, während er inmitten der Gratulanten stand, als dränge ein Geruch von der Küche her in den Saal. Das war nun eine Sache, die, so unbedeutend und unwichtig sie auch erscheinen mag, doch den alten Freiherrn von Lvvendal aufs höchste erregte. Die Vorstellung, er rieche das Essen von der Küche her, war bei ihm zu einer fixen Idee geworden. Er hatte darüber schon weit mehr Ärger und Auf¬ regung, Verdruß und Zorn gehabt,'als über den Verlust von Millionen. In der That und Wahrheit roch man heute im Saal uicht das mindeste von Essen, und die Küche lag viel zu weit entfernt, als daß es möglich gewesen wäre, aber der Freiherr bildete sichs ein und war unglücklich. Er war kein Mann, den die Phantasie beherrschte, sondern in den Gebieten der Realität seßhaft, aber dennoch hatte die Phantasie, welche den sterblichen Bewohnern der Erde so viele neckische Streiche spielt, auch über sein Gemüt wenigstens eine kleine Macht. Er erinnerte sich, daß der Koch, ein Proveneule, hartnäckig an der Manier festhielt, gewissen Fleischspeisen ein Parfum starkriechender Zwiebelgewächse zu geben, indem er trotz aller Einwendungen behauptete, es ginge nicht anders, und nun klammerten sich des Barons Vorstellungen an das Bild dieses Mannes, wie er mit unge¬ horsamer und frevelhafter Hand derartige verbotene Würzen handhabte. Er wandte sich zu seinem Sohne und flüsterte ihm ins Ohr: Riechst du nichts, Amadeus? Der junge Freiherr zuckte die Achsel». Er kannte diese kleine Schwäche seines Vaters. Ich bitte dich, Papa, beruhige dich, die Küche ist doch eine halbe Meile entfernt. Und ich rieche es doch, sagte der Alte. So ein tüchtiger Originalgeruch dringt gar sehr durch, dachte er voll Mi߬ trauen und ging auf Herrn Bankdirektor Irrwisch zu, dessen imposante Gestalt lind wohlwollendes Antlitz jetzt in der Thür erschienen. Schon gut, schon gut, lieber Irrwisch, entgegnete er ans die Segenswünsche des Staats- und Finanzmanues, sagen Sie mir doch ganz ehrlich und offen- Grenzbotcu I. 1882. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/529>, abgerufen am 26.06.2024.