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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und Thyrso5träger.

Sein Blick ruhte vorwurfsvoll auf ihr.

Sie sah zu Boden und spielte mit der Fußspitze im Sande, dann hob sie
ihre Augen wieder zu ihm auf, und er sah sie voller Thränen.

Sie hatte einen Bruder, welcher Leutnant in einem Husarenregiment war,
einen audern Bruder, der Jurisprudenz studirt hatte und nun einer Gesandt¬
schaft attachirt war; sie hatte eine ältere Schwester, welche mit einem Major
vom Stäbe verheiratet war. Diese Geschwister hatten einen so guten Umgang,
so nette, feine, gebildete und vornehme Leute, mit welchen sie verkehrten, daß es
ein bischen hart für Sylvia war, denken zu müssen, sie solle in der Vorstadt
für zweihundert Thaler jährlich wohnen und keinen Umgang haben, als den,
welchen Eduard genannt hatte.

Als Eduard ihre Thränen sah, erweichte sich sein Sinn, und er dachte, er
müsse doch wohl sehr rücksichtslos und rauh mit ihr gesprochen haben.

Verzeih mir, meine teuerste Sylvia! sagte er, und dazu küßte er die Thränen
vom Auge.

Aber obwohl er das that und sagte, war er doch im Innern nicht über¬
zeugt, daß er etwas Unrechtes begangen habe. Er mochte sich mit der Unzart-
heit benommen haben, die jungen Männern wohl im Umgange mit so viel zarter
besaiteten Instrumenten der Schöpfung, wie junge Mädchen find, eigen sein kann,
aber in der Sache selbst hatte er gewiß Recht. Es betrübte ihn nur, daß Sylvia
nicht ganz mit ihm übereinstimmte, und er beschloß, über Mittel und Wege nach¬
zudenken, wie er ihre Wünsche mit seinen Pflichten in Einklang bringen könnte.

Vorläufig erblickte er das beste Mittel darin, daß er sie behandelte wie
ein Kind, indem er ihre Gedanken auf etwas andres lenkte, und da er bemerkte,
daß seine Küsse von erfreulicher Wirkung waren, fuhr er damit fort und begann
zugleich von allerhand kleinen unschuldigen Dingen zu sprechen, die mit der Zukunft
nichts zu thun hatten.

Aber er kannte Sylvias Charakter nur wenig, wenn er sich wirklich ein¬
bildete, ihre Gesinnungen ändern zu können. Kein Baum im ganzen Tiergarten
stand so fest gewurzelt wie Sylvias Absicht auf ein elegantes Dasein, und die
zarten, weiche": Wangen, glänzenden Augen und feinen, wohlgelnldeten Manieren
der jungen Dame überdeckten eine zähe Hartnäckigkeit, von der Eduard nur eine
sehr unvollständige Vorstellung hatte, wenn er glaubte, sie würde der Liebe weichen.

Sie liebte Eduard, das war keine Frage, aber sie liebte ihn auf ihre eigne
Manier. Er sollte der Mann sein, den sie haben wollte. Die Frage war nur,
ob er der Mann war, den sie so biegen konnte, daß er in ihre Form paßte.

Beide dachten hierüber nach, als sie, vom Regen vertrieben, aus dem früh¬
lingsgrünen Walde in die große Steinwüste zurückkehrten, und sie waren schweig¬
samer als sonst.

Als Eduard in seine Junggesellenwohnung zurückkehrte, sah er sich seufzend
darin um. So soll es also vorläufig noch bleiben, sagte er nachdenklich.


Bakchen und Thyrso5träger.

Sein Blick ruhte vorwurfsvoll auf ihr.

Sie sah zu Boden und spielte mit der Fußspitze im Sande, dann hob sie
ihre Augen wieder zu ihm auf, und er sah sie voller Thränen.

Sie hatte einen Bruder, welcher Leutnant in einem Husarenregiment war,
einen audern Bruder, der Jurisprudenz studirt hatte und nun einer Gesandt¬
schaft attachirt war; sie hatte eine ältere Schwester, welche mit einem Major
vom Stäbe verheiratet war. Diese Geschwister hatten einen so guten Umgang,
so nette, feine, gebildete und vornehme Leute, mit welchen sie verkehrten, daß es
ein bischen hart für Sylvia war, denken zu müssen, sie solle in der Vorstadt
für zweihundert Thaler jährlich wohnen und keinen Umgang haben, als den,
welchen Eduard genannt hatte.

Als Eduard ihre Thränen sah, erweichte sich sein Sinn, und er dachte, er
müsse doch wohl sehr rücksichtslos und rauh mit ihr gesprochen haben.

Verzeih mir, meine teuerste Sylvia! sagte er, und dazu küßte er die Thränen
vom Auge.

Aber obwohl er das that und sagte, war er doch im Innern nicht über¬
zeugt, daß er etwas Unrechtes begangen habe. Er mochte sich mit der Unzart-
heit benommen haben, die jungen Männern wohl im Umgange mit so viel zarter
besaiteten Instrumenten der Schöpfung, wie junge Mädchen find, eigen sein kann,
aber in der Sache selbst hatte er gewiß Recht. Es betrübte ihn nur, daß Sylvia
nicht ganz mit ihm übereinstimmte, und er beschloß, über Mittel und Wege nach¬
zudenken, wie er ihre Wünsche mit seinen Pflichten in Einklang bringen könnte.

Vorläufig erblickte er das beste Mittel darin, daß er sie behandelte wie
ein Kind, indem er ihre Gedanken auf etwas andres lenkte, und da er bemerkte,
daß seine Küsse von erfreulicher Wirkung waren, fuhr er damit fort und begann
zugleich von allerhand kleinen unschuldigen Dingen zu sprechen, die mit der Zukunft
nichts zu thun hatten.

Aber er kannte Sylvias Charakter nur wenig, wenn er sich wirklich ein¬
bildete, ihre Gesinnungen ändern zu können. Kein Baum im ganzen Tiergarten
stand so fest gewurzelt wie Sylvias Absicht auf ein elegantes Dasein, und die
zarten, weiche«: Wangen, glänzenden Augen und feinen, wohlgelnldeten Manieren
der jungen Dame überdeckten eine zähe Hartnäckigkeit, von der Eduard nur eine
sehr unvollständige Vorstellung hatte, wenn er glaubte, sie würde der Liebe weichen.

Sie liebte Eduard, das war keine Frage, aber sie liebte ihn auf ihre eigne
Manier. Er sollte der Mann sein, den sie haben wollte. Die Frage war nur,
ob er der Mann war, den sie so biegen konnte, daß er in ihre Form paßte.

Beide dachten hierüber nach, als sie, vom Regen vertrieben, aus dem früh¬
lingsgrünen Walde in die große Steinwüste zurückkehrten, und sie waren schweig¬
samer als sonst.

Als Eduard in seine Junggesellenwohnung zurückkehrte, sah er sich seufzend
darin um. So soll es also vorläufig noch bleiben, sagte er nachdenklich.


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[0424] Bakchen und Thyrso5träger. Sein Blick ruhte vorwurfsvoll auf ihr. Sie sah zu Boden und spielte mit der Fußspitze im Sande, dann hob sie ihre Augen wieder zu ihm auf, und er sah sie voller Thränen. Sie hatte einen Bruder, welcher Leutnant in einem Husarenregiment war, einen audern Bruder, der Jurisprudenz studirt hatte und nun einer Gesandt¬ schaft attachirt war; sie hatte eine ältere Schwester, welche mit einem Major vom Stäbe verheiratet war. Diese Geschwister hatten einen so guten Umgang, so nette, feine, gebildete und vornehme Leute, mit welchen sie verkehrten, daß es ein bischen hart für Sylvia war, denken zu müssen, sie solle in der Vorstadt für zweihundert Thaler jährlich wohnen und keinen Umgang haben, als den, welchen Eduard genannt hatte. Als Eduard ihre Thränen sah, erweichte sich sein Sinn, und er dachte, er müsse doch wohl sehr rücksichtslos und rauh mit ihr gesprochen haben. Verzeih mir, meine teuerste Sylvia! sagte er, und dazu küßte er die Thränen vom Auge. Aber obwohl er das that und sagte, war er doch im Innern nicht über¬ zeugt, daß er etwas Unrechtes begangen habe. Er mochte sich mit der Unzart- heit benommen haben, die jungen Männern wohl im Umgange mit so viel zarter besaiteten Instrumenten der Schöpfung, wie junge Mädchen find, eigen sein kann, aber in der Sache selbst hatte er gewiß Recht. Es betrübte ihn nur, daß Sylvia nicht ganz mit ihm übereinstimmte, und er beschloß, über Mittel und Wege nach¬ zudenken, wie er ihre Wünsche mit seinen Pflichten in Einklang bringen könnte. Vorläufig erblickte er das beste Mittel darin, daß er sie behandelte wie ein Kind, indem er ihre Gedanken auf etwas andres lenkte, und da er bemerkte, daß seine Küsse von erfreulicher Wirkung waren, fuhr er damit fort und begann zugleich von allerhand kleinen unschuldigen Dingen zu sprechen, die mit der Zukunft nichts zu thun hatten. Aber er kannte Sylvias Charakter nur wenig, wenn er sich wirklich ein¬ bildete, ihre Gesinnungen ändern zu können. Kein Baum im ganzen Tiergarten stand so fest gewurzelt wie Sylvias Absicht auf ein elegantes Dasein, und die zarten, weiche«: Wangen, glänzenden Augen und feinen, wohlgelnldeten Manieren der jungen Dame überdeckten eine zähe Hartnäckigkeit, von der Eduard nur eine sehr unvollständige Vorstellung hatte, wenn er glaubte, sie würde der Liebe weichen. Sie liebte Eduard, das war keine Frage, aber sie liebte ihn auf ihre eigne Manier. Er sollte der Mann sein, den sie haben wollte. Die Frage war nur, ob er der Mann war, den sie so biegen konnte, daß er in ihre Form paßte. Beide dachten hierüber nach, als sie, vom Regen vertrieben, aus dem früh¬ lingsgrünen Walde in die große Steinwüste zurückkehrten, und sie waren schweig¬ samer als sonst. Als Eduard in seine Junggesellenwohnung zurückkehrte, sah er sich seufzend darin um. So soll es also vorläufig noch bleiben, sagte er nachdenklich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/424>, abgerufen am 29.06.2024.