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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bcckchen und Thyrsosträger.

Sie hielt seine Hand fest, sah ihn lange an und sagte mit einem leichten
Seufzer: Wie schön du bist!

Er warf den Kopf zurück, lachte laut und rief: O, du Närrchen!

Dann setzte er den breitkrempigen Hut, den er während seiner zärtlichen
Begrüßung in der Hand gehalten, wieder schräg auf die prächtige Haarflut, nahm
die rote Mappe in seinen Gewahrsam, zog Sylvias Arm an sich und half ihr
durch das Gewirr der Wagen hindurch unter die Bäume des Tiergartens.

Bist du nicht ein leibhaftiges, kleines Närrchen? sagte er. Wie kannst du
reizendes Wesen, du modern verunzierter Ausbund klassischer Anmut zu einem
ungeschlachten Burschen meines Kalibers sagen, er sei schön? Willst du das bischen
Gute, das noch an mir ist, die höchst passende Bescheidenheit, auch noch ver¬
derben, zu all dem Unheil, das dn Sirene mit mir anstiftest?

O Eduard, entgegnete sie kopfschüttelnd, wenn du nur nicht so sehr burschikos
reden wolltest!

Aber sie blickte ihn trotz dieses Tadelns mit wahrem Entzücken an, denn
er war in der That schön.

Er war groß und schlank, schmal in den Hüften, breit in den Schultern
und von mächtiger Brust. Aus seinem von der Sonne Italiens gebräunten Ge¬
sicht leuchteten durchdringende blaue Augen hervor, der Flaum der Jugend nm-
kräuselte Lippen und Kinn, ohne deren schöne Linien zu verhüllen. Dazu gab
ihm ein Etwas von Güte, Sanftmuth, Kindlichkeit und Mut einen unbeschreib¬
lichen und unfaßbarer Ausdruck. Sein Gesicht schien jedem Wesen Wohlwollen
und Vertrauen entgegenzubringen und lockte deshalb mit unwiderstehlicher Macht
Wohlwollen und Vertrauen hervor.

Dieses Etwas hatte neben so viel äußerer Schönheit auch Sylvias Herz
gewonnen und sie bewogen, so mancher wohl vorhergesehener Schwierigkeit zum
Trotz dem jungen Architekten so viel Aufmunterung entgegenzubringen, daß er
es gewagt hatte, um ihre Hand anzuhalten. Denn er war für sie nicht das,
was man eine "Partie" nennt, war nicht in so glänzender Stellung, wie die
Tochter des Millionärs von dem Manne ihrer Wahl verlangen konnte, wenn
sie weltliche Rücksichten in die Wage legen wollte.

Sie schmiegte sich liebkosend an ihn an, und Arm in Arm wandelten sie
langsam unter scherzenden Gespräch durch die grünen Laubgänge. Nach und
nach aber wurden die Worte ernsthafter.

Meine süßeste Sylvia, sagte er, sollen wir denn nun immer noch so zu
sagen unter einer Halbmaske mit einander verkehren? Will dein Vater immer
noch nicht seine Einwilligung geben, und soll ich dich nicht besuchen dürfen, so oft
ich will? Sieh, ich mag nicht mehr allein leben, mein einsames Zimmer ist
mir wie ein Gefängnis. Ich sehne mich jede Stunde, jede Minute nach dir.
Ich dächte, wir heirateten nun endlich, ehe wir alt würden.

Sylvia lächelte.


Bcckchen und Thyrsosträger.

Sie hielt seine Hand fest, sah ihn lange an und sagte mit einem leichten
Seufzer: Wie schön du bist!

Er warf den Kopf zurück, lachte laut und rief: O, du Närrchen!

Dann setzte er den breitkrempigen Hut, den er während seiner zärtlichen
Begrüßung in der Hand gehalten, wieder schräg auf die prächtige Haarflut, nahm
die rote Mappe in seinen Gewahrsam, zog Sylvias Arm an sich und half ihr
durch das Gewirr der Wagen hindurch unter die Bäume des Tiergartens.

Bist du nicht ein leibhaftiges, kleines Närrchen? sagte er. Wie kannst du
reizendes Wesen, du modern verunzierter Ausbund klassischer Anmut zu einem
ungeschlachten Burschen meines Kalibers sagen, er sei schön? Willst du das bischen
Gute, das noch an mir ist, die höchst passende Bescheidenheit, auch noch ver¬
derben, zu all dem Unheil, das dn Sirene mit mir anstiftest?

O Eduard, entgegnete sie kopfschüttelnd, wenn du nur nicht so sehr burschikos
reden wolltest!

Aber sie blickte ihn trotz dieses Tadelns mit wahrem Entzücken an, denn
er war in der That schön.

Er war groß und schlank, schmal in den Hüften, breit in den Schultern
und von mächtiger Brust. Aus seinem von der Sonne Italiens gebräunten Ge¬
sicht leuchteten durchdringende blaue Augen hervor, der Flaum der Jugend nm-
kräuselte Lippen und Kinn, ohne deren schöne Linien zu verhüllen. Dazu gab
ihm ein Etwas von Güte, Sanftmuth, Kindlichkeit und Mut einen unbeschreib¬
lichen und unfaßbarer Ausdruck. Sein Gesicht schien jedem Wesen Wohlwollen
und Vertrauen entgegenzubringen und lockte deshalb mit unwiderstehlicher Macht
Wohlwollen und Vertrauen hervor.

Dieses Etwas hatte neben so viel äußerer Schönheit auch Sylvias Herz
gewonnen und sie bewogen, so mancher wohl vorhergesehener Schwierigkeit zum
Trotz dem jungen Architekten so viel Aufmunterung entgegenzubringen, daß er
es gewagt hatte, um ihre Hand anzuhalten. Denn er war für sie nicht das,
was man eine „Partie" nennt, war nicht in so glänzender Stellung, wie die
Tochter des Millionärs von dem Manne ihrer Wahl verlangen konnte, wenn
sie weltliche Rücksichten in die Wage legen wollte.

Sie schmiegte sich liebkosend an ihn an, und Arm in Arm wandelten sie
langsam unter scherzenden Gespräch durch die grünen Laubgänge. Nach und
nach aber wurden die Worte ernsthafter.

Meine süßeste Sylvia, sagte er, sollen wir denn nun immer noch so zu
sagen unter einer Halbmaske mit einander verkehren? Will dein Vater immer
noch nicht seine Einwilligung geben, und soll ich dich nicht besuchen dürfen, so oft
ich will? Sieh, ich mag nicht mehr allein leben, mein einsames Zimmer ist
mir wie ein Gefängnis. Ich sehne mich jede Stunde, jede Minute nach dir.
Ich dächte, wir heirateten nun endlich, ehe wir alt würden.

Sylvia lächelte.


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[0420] Bcckchen und Thyrsosträger. Sie hielt seine Hand fest, sah ihn lange an und sagte mit einem leichten Seufzer: Wie schön du bist! Er warf den Kopf zurück, lachte laut und rief: O, du Närrchen! Dann setzte er den breitkrempigen Hut, den er während seiner zärtlichen Begrüßung in der Hand gehalten, wieder schräg auf die prächtige Haarflut, nahm die rote Mappe in seinen Gewahrsam, zog Sylvias Arm an sich und half ihr durch das Gewirr der Wagen hindurch unter die Bäume des Tiergartens. Bist du nicht ein leibhaftiges, kleines Närrchen? sagte er. Wie kannst du reizendes Wesen, du modern verunzierter Ausbund klassischer Anmut zu einem ungeschlachten Burschen meines Kalibers sagen, er sei schön? Willst du das bischen Gute, das noch an mir ist, die höchst passende Bescheidenheit, auch noch ver¬ derben, zu all dem Unheil, das dn Sirene mit mir anstiftest? O Eduard, entgegnete sie kopfschüttelnd, wenn du nur nicht so sehr burschikos reden wolltest! Aber sie blickte ihn trotz dieses Tadelns mit wahrem Entzücken an, denn er war in der That schön. Er war groß und schlank, schmal in den Hüften, breit in den Schultern und von mächtiger Brust. Aus seinem von der Sonne Italiens gebräunten Ge¬ sicht leuchteten durchdringende blaue Augen hervor, der Flaum der Jugend nm- kräuselte Lippen und Kinn, ohne deren schöne Linien zu verhüllen. Dazu gab ihm ein Etwas von Güte, Sanftmuth, Kindlichkeit und Mut einen unbeschreib¬ lichen und unfaßbarer Ausdruck. Sein Gesicht schien jedem Wesen Wohlwollen und Vertrauen entgegenzubringen und lockte deshalb mit unwiderstehlicher Macht Wohlwollen und Vertrauen hervor. Dieses Etwas hatte neben so viel äußerer Schönheit auch Sylvias Herz gewonnen und sie bewogen, so mancher wohl vorhergesehener Schwierigkeit zum Trotz dem jungen Architekten so viel Aufmunterung entgegenzubringen, daß er es gewagt hatte, um ihre Hand anzuhalten. Denn er war für sie nicht das, was man eine „Partie" nennt, war nicht in so glänzender Stellung, wie die Tochter des Millionärs von dem Manne ihrer Wahl verlangen konnte, wenn sie weltliche Rücksichten in die Wage legen wollte. Sie schmiegte sich liebkosend an ihn an, und Arm in Arm wandelten sie langsam unter scherzenden Gespräch durch die grünen Laubgänge. Nach und nach aber wurden die Worte ernsthafter. Meine süßeste Sylvia, sagte er, sollen wir denn nun immer noch so zu sagen unter einer Halbmaske mit einander verkehren? Will dein Vater immer noch nicht seine Einwilligung geben, und soll ich dich nicht besuchen dürfen, so oft ich will? Sieh, ich mag nicht mehr allein leben, mein einsames Zimmer ist mir wie ein Gefängnis. Ich sehne mich jede Stunde, jede Minute nach dir. Ich dächte, wir heirateten nun endlich, ehe wir alt würden. Sylvia lächelte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/420>, abgerufen am 29.06.2024.