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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Herrn Meyers Kinder.

ihm peinliche Empfindungen verursacht, so zieht der Gute aus den bösen Bei¬
spielen und aus dem ihm widerfahrenen Unrecht Segen, indem das Bewußt¬
sein der ewigen Güte und Gerechtigkeit in ihm erweckt und angereizt wird.

So wird auch die beste Schule keinen Gelehrten aus einem Kinde machen
können, welches entschieden beschränkt ist, aber ein Kind von hervorragender
Intelligenz wird lernen, ohne daß man begreift, woher es kommt. Der größte
Maler ist nicht imstande, seine Kunst einem anderen beizubringen, wenn
dieser micht Anlage zum Malen hat oder gar farbenblind ist, und Joachim
selber kann aus einem Schüler ohne Gehör keinen guten Geiger machen. --

Alles dies sagte ich Herrn Meyer. Aber er blieb bei seiner Meinung. Ich
riet ihm, seinen Ältesten, der ohne Neitunterricht doch ein vorzüglicher Stall¬
meister geworden war, in einen dem entsprechenden Beruf zu bringen, den Ver¬
fertiger der Springbrunnen zu einem Maschinenbauer in die Lehre zu gebe",
den listigen Sammler zum Kaufmann, den tapfern Kämpfer zum Militär zu
machen und nur den Bücherwurm studiren zu lassen. Aber er lachte mich aus.
Meine Kinder sollen den Anforderungen der Neuzeit entsprechend gebildet werden,
sagte er. Bildung ist die Hauptsache. Die Knaben machen alle das Gymnasium
oder die Realschule durch, damit ste etwas Tüchtiges lernen, und dann studiren
vier von ihnen; die Mädchen gehen alle in das Töchterinstitut, lernen alle
Klavier spielen und kommen später in die Fortbildungsschule. Bildung, lieber
Freund, Bildung ist die Hauptsache.

Herr Meyer hat die öffentliche Meinung für sich. Die Zeitströmung trägt
ihn. Aber ich fürchte, er ist doch im Irrtum. Es gilt allgemein für selbst¬
verständlich, daß das Wissen den Wert des Menschen ausmache und daß die
Bildung etwas Schönes sei. Die Erziehung läuft darauf hinaus, die Kinder
gleichmäßig zu unterrichten und sie dann dieselben Examina machen zu lassen.
Es gilt für gewiß, daß der menschliche Geist ein einfaches Ding sei, welches
man durch die Erziehung beliebig entwickeln könne. So ist man dahin gekommen,
den Schulunterricht für etwas höchst Wichtiges zu halten, und wenige kommen
zu der Einsicht, daß der Schulunterricht im wesentliche" doch nur eine einzige
Geisteskraft, das Gedächtnis, übt, während die meisten andern Geisteskräfte dabei
brach liegen. Ich bin oft erschrocken, wenn ich sehe, wie viele gebildete Leute
es giebt, während ich Mühe habe, "gute Stiefel und Kleider zu finden, und
während ich so selten auf intelligente Ökonomen, Maurer, Zimmerleute, Tüncher.
Müller, Bäcker und Schreiner stoße. Oft wünschte ich, meine Dienstboten wären
nicht imstande, das Tageblatt zu lesen und richtig zu schreiben, wenn sie dafür
nur besser putzen und waschen, bügeln und nähen, kochen und braten könnten.

Herr Meyer schwimmt mit dem Strome, aber ich denke zuweilen, daß der
Strom selber keinen guten Lauf nimmt, und daß viele Schäden der Gesellschaft
vielleicht mir darin begründet sind, daß man die Kinder nach den Prinzipien
des Herrn Meyer und der ihm befreundeten Pädagogen erzieht, anstatt der Natur
zu folgen und die heranwachsende Jugend ihren Fähigkeiten entsprechend aus¬
zubilden.




Herrn Meyers Kinder.

ihm peinliche Empfindungen verursacht, so zieht der Gute aus den bösen Bei¬
spielen und aus dem ihm widerfahrenen Unrecht Segen, indem das Bewußt¬
sein der ewigen Güte und Gerechtigkeit in ihm erweckt und angereizt wird.

So wird auch die beste Schule keinen Gelehrten aus einem Kinde machen
können, welches entschieden beschränkt ist, aber ein Kind von hervorragender
Intelligenz wird lernen, ohne daß man begreift, woher es kommt. Der größte
Maler ist nicht imstande, seine Kunst einem anderen beizubringen, wenn
dieser micht Anlage zum Malen hat oder gar farbenblind ist, und Joachim
selber kann aus einem Schüler ohne Gehör keinen guten Geiger machen. —

Alles dies sagte ich Herrn Meyer. Aber er blieb bei seiner Meinung. Ich
riet ihm, seinen Ältesten, der ohne Neitunterricht doch ein vorzüglicher Stall¬
meister geworden war, in einen dem entsprechenden Beruf zu bringen, den Ver¬
fertiger der Springbrunnen zu einem Maschinenbauer in die Lehre zu gebe»,
den listigen Sammler zum Kaufmann, den tapfern Kämpfer zum Militär zu
machen und nur den Bücherwurm studiren zu lassen. Aber er lachte mich aus.
Meine Kinder sollen den Anforderungen der Neuzeit entsprechend gebildet werden,
sagte er. Bildung ist die Hauptsache. Die Knaben machen alle das Gymnasium
oder die Realschule durch, damit ste etwas Tüchtiges lernen, und dann studiren
vier von ihnen; die Mädchen gehen alle in das Töchterinstitut, lernen alle
Klavier spielen und kommen später in die Fortbildungsschule. Bildung, lieber
Freund, Bildung ist die Hauptsache.

Herr Meyer hat die öffentliche Meinung für sich. Die Zeitströmung trägt
ihn. Aber ich fürchte, er ist doch im Irrtum. Es gilt allgemein für selbst¬
verständlich, daß das Wissen den Wert des Menschen ausmache und daß die
Bildung etwas Schönes sei. Die Erziehung läuft darauf hinaus, die Kinder
gleichmäßig zu unterrichten und sie dann dieselben Examina machen zu lassen.
Es gilt für gewiß, daß der menschliche Geist ein einfaches Ding sei, welches
man durch die Erziehung beliebig entwickeln könne. So ist man dahin gekommen,
den Schulunterricht für etwas höchst Wichtiges zu halten, und wenige kommen
zu der Einsicht, daß der Schulunterricht im wesentliche» doch nur eine einzige
Geisteskraft, das Gedächtnis, übt, während die meisten andern Geisteskräfte dabei
brach liegen. Ich bin oft erschrocken, wenn ich sehe, wie viele gebildete Leute
es giebt, während ich Mühe habe, „gute Stiefel und Kleider zu finden, und
während ich so selten auf intelligente Ökonomen, Maurer, Zimmerleute, Tüncher.
Müller, Bäcker und Schreiner stoße. Oft wünschte ich, meine Dienstboten wären
nicht imstande, das Tageblatt zu lesen und richtig zu schreiben, wenn sie dafür
nur besser putzen und waschen, bügeln und nähen, kochen und braten könnten.

Herr Meyer schwimmt mit dem Strome, aber ich denke zuweilen, daß der
Strom selber keinen guten Lauf nimmt, und daß viele Schäden der Gesellschaft
vielleicht mir darin begründet sind, daß man die Kinder nach den Prinzipien
des Herrn Meyer und der ihm befreundeten Pädagogen erzieht, anstatt der Natur
zu folgen und die heranwachsende Jugend ihren Fähigkeiten entsprechend aus¬
zubilden.




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[0418] Herrn Meyers Kinder. ihm peinliche Empfindungen verursacht, so zieht der Gute aus den bösen Bei¬ spielen und aus dem ihm widerfahrenen Unrecht Segen, indem das Bewußt¬ sein der ewigen Güte und Gerechtigkeit in ihm erweckt und angereizt wird. So wird auch die beste Schule keinen Gelehrten aus einem Kinde machen können, welches entschieden beschränkt ist, aber ein Kind von hervorragender Intelligenz wird lernen, ohne daß man begreift, woher es kommt. Der größte Maler ist nicht imstande, seine Kunst einem anderen beizubringen, wenn dieser micht Anlage zum Malen hat oder gar farbenblind ist, und Joachim selber kann aus einem Schüler ohne Gehör keinen guten Geiger machen. — Alles dies sagte ich Herrn Meyer. Aber er blieb bei seiner Meinung. Ich riet ihm, seinen Ältesten, der ohne Neitunterricht doch ein vorzüglicher Stall¬ meister geworden war, in einen dem entsprechenden Beruf zu bringen, den Ver¬ fertiger der Springbrunnen zu einem Maschinenbauer in die Lehre zu gebe», den listigen Sammler zum Kaufmann, den tapfern Kämpfer zum Militär zu machen und nur den Bücherwurm studiren zu lassen. Aber er lachte mich aus. Meine Kinder sollen den Anforderungen der Neuzeit entsprechend gebildet werden, sagte er. Bildung ist die Hauptsache. Die Knaben machen alle das Gymnasium oder die Realschule durch, damit ste etwas Tüchtiges lernen, und dann studiren vier von ihnen; die Mädchen gehen alle in das Töchterinstitut, lernen alle Klavier spielen und kommen später in die Fortbildungsschule. Bildung, lieber Freund, Bildung ist die Hauptsache. Herr Meyer hat die öffentliche Meinung für sich. Die Zeitströmung trägt ihn. Aber ich fürchte, er ist doch im Irrtum. Es gilt allgemein für selbst¬ verständlich, daß das Wissen den Wert des Menschen ausmache und daß die Bildung etwas Schönes sei. Die Erziehung läuft darauf hinaus, die Kinder gleichmäßig zu unterrichten und sie dann dieselben Examina machen zu lassen. Es gilt für gewiß, daß der menschliche Geist ein einfaches Ding sei, welches man durch die Erziehung beliebig entwickeln könne. So ist man dahin gekommen, den Schulunterricht für etwas höchst Wichtiges zu halten, und wenige kommen zu der Einsicht, daß der Schulunterricht im wesentliche» doch nur eine einzige Geisteskraft, das Gedächtnis, übt, während die meisten andern Geisteskräfte dabei brach liegen. Ich bin oft erschrocken, wenn ich sehe, wie viele gebildete Leute es giebt, während ich Mühe habe, „gute Stiefel und Kleider zu finden, und während ich so selten auf intelligente Ökonomen, Maurer, Zimmerleute, Tüncher. Müller, Bäcker und Schreiner stoße. Oft wünschte ich, meine Dienstboten wären nicht imstande, das Tageblatt zu lesen und richtig zu schreiben, wenn sie dafür nur besser putzen und waschen, bügeln und nähen, kochen und braten könnten. Herr Meyer schwimmt mit dem Strome, aber ich denke zuweilen, daß der Strom selber keinen guten Lauf nimmt, und daß viele Schäden der Gesellschaft vielleicht mir darin begründet sind, daß man die Kinder nach den Prinzipien des Herrn Meyer und der ihm befreundeten Pädagogen erzieht, anstatt der Natur zu folgen und die heranwachsende Jugend ihren Fähigkeiten entsprechend aus¬ zubilden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/418>, abgerufen am 29.06.2024.