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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Bakchen und ThyrsostrLgor.

Aber nicht nur zwischen Mutter und Tochter war ein Kontrast, sondern
eine Art von Disharmonie schwebte auch über dem Gemache, eine Disharmonie
der Farben und Formen, Das Zimmer war groß und hoch, auch schön dekorirt.
Es hatte Parketfußboden, Stuckdecke und grüne Sammettapeten, Dagegen war
es mit den verschiedenartigsten Möbeln ausgestattet, und diese Möbel waren alt,
schäbig und zum Teil schadhaft, so daß es aussah, als wären sie aus einer
Trödclbude ohne Wahl hierher versetzt, während sie doch von Frau Irrwisch
aus ihrer früheren Einrichtung aufbewahrt und hartnäckig gegen die Angriffe
des auf Stil bedachten Baumeisters verteidigt worden waren. Die Stühle waren
zum Teil mit blauen Tuch, zum Teil mit rotem Sammet überzogen, die einen
von Mahagoni-, die andern von Nußbaumholz. Eine schwarze Kommode mit
weißen Säulen und Schlüssellöchern stand unter einem Spiegel mit goldenem
Rahmen, zwischen einem gelbseidenen schmutzigen Lehnstuhl und einem mit Epheu
bewachsenen, aus Eichenholz geschnittenen Blumentisch, der ein Aquarium ohne
Fische und mit trübem Wasser trug. Die gestickten Vorhänge waren zerrissen
und schmutzig, der Teppich unter dem Tische fleckig und verblaßt, und alle diese
Unordnung und Unsauberkeit trat um so beleidigender hervor und sah um so
erbärmlicher aus, als das Zimmer selbst durch Spiegelscheiben ein glänzendes
Licht empfing.

Aber Frau Irrwisch weilte in diesem Gemach am liebsten, viel lieber als
in den übrigen eleganten und stilvoll möblirten Räumen des großen schönen
Hauses, welches ihr Mann gegen ihren Wunsch gekauft hatte. Sie fühlte sich
wunderlicher Weise inmitten dieser zusammengestöppelten alten und unsaubern
Einrichtung wohl, wie sie sich auch nur in solchen Anzügen wohlfühlte, die
weder durch Eleganz noch durch Neuheit geeignet waren, sie über die Werkel-
tagsstimmung emporzuheben. So stark war bei ihr die Macht ärmlicher Jugend-
gcwohnheit und eines Naturells, welches solcher Gewohnheit entgegenkam. Glanz
und Licht und Harmonie waren ihr so angenehm und erfreulich, wie sie etwa
einer Fledermaus sein mögen.

Frau Rachel hatte eine instinktive Abneigung gegen alleu Schein und Flitter
und eine Liebe für das Kleine und Geringe, dazu ein ebenso instinktartigcs
Gefühl des Unbeständigen eines durch Spekulation erworbenen Reichtums. Es
war aber einer der Widersprüche ihres Charakters, der aus seinem natürlicher!
Geleise durch die Macht der äußern Verhältnisse herausgezogen ward, daß sie bei
aller ihrer Anspruchslosigkeit die höchste Achtung vor dem Reichtum hegte.
Zu gleicher Zeit führten ihr scharfer Verstand und ihre große Gutmütigkeit sie
dahin, sich für geistige Interessen mehr zu erwärmen als für gesellschaftlichen
Glanz und dem armen Volke zugethan zu sein, während sie dabei ängstlich das
häusliche Budget überwachte und ihre Kinder für hohe Lebensstellungen zu er¬
ziehen bestrebt war. Sie studirte Rodbertus, Malthus und Adam Smith, die
sie durch ihren gelehrten Bruder kennen gelernt hatte, und achtete weder auf


Bakchen und ThyrsostrLgor.

Aber nicht nur zwischen Mutter und Tochter war ein Kontrast, sondern
eine Art von Disharmonie schwebte auch über dem Gemache, eine Disharmonie
der Farben und Formen, Das Zimmer war groß und hoch, auch schön dekorirt.
Es hatte Parketfußboden, Stuckdecke und grüne Sammettapeten, Dagegen war
es mit den verschiedenartigsten Möbeln ausgestattet, und diese Möbel waren alt,
schäbig und zum Teil schadhaft, so daß es aussah, als wären sie aus einer
Trödclbude ohne Wahl hierher versetzt, während sie doch von Frau Irrwisch
aus ihrer früheren Einrichtung aufbewahrt und hartnäckig gegen die Angriffe
des auf Stil bedachten Baumeisters verteidigt worden waren. Die Stühle waren
zum Teil mit blauen Tuch, zum Teil mit rotem Sammet überzogen, die einen
von Mahagoni-, die andern von Nußbaumholz. Eine schwarze Kommode mit
weißen Säulen und Schlüssellöchern stand unter einem Spiegel mit goldenem
Rahmen, zwischen einem gelbseidenen schmutzigen Lehnstuhl und einem mit Epheu
bewachsenen, aus Eichenholz geschnittenen Blumentisch, der ein Aquarium ohne
Fische und mit trübem Wasser trug. Die gestickten Vorhänge waren zerrissen
und schmutzig, der Teppich unter dem Tische fleckig und verblaßt, und alle diese
Unordnung und Unsauberkeit trat um so beleidigender hervor und sah um so
erbärmlicher aus, als das Zimmer selbst durch Spiegelscheiben ein glänzendes
Licht empfing.

Aber Frau Irrwisch weilte in diesem Gemach am liebsten, viel lieber als
in den übrigen eleganten und stilvoll möblirten Räumen des großen schönen
Hauses, welches ihr Mann gegen ihren Wunsch gekauft hatte. Sie fühlte sich
wunderlicher Weise inmitten dieser zusammengestöppelten alten und unsaubern
Einrichtung wohl, wie sie sich auch nur in solchen Anzügen wohlfühlte, die
weder durch Eleganz noch durch Neuheit geeignet waren, sie über die Werkel-
tagsstimmung emporzuheben. So stark war bei ihr die Macht ärmlicher Jugend-
gcwohnheit und eines Naturells, welches solcher Gewohnheit entgegenkam. Glanz
und Licht und Harmonie waren ihr so angenehm und erfreulich, wie sie etwa
einer Fledermaus sein mögen.

Frau Rachel hatte eine instinktive Abneigung gegen alleu Schein und Flitter
und eine Liebe für das Kleine und Geringe, dazu ein ebenso instinktartigcs
Gefühl des Unbeständigen eines durch Spekulation erworbenen Reichtums. Es
war aber einer der Widersprüche ihres Charakters, der aus seinem natürlicher!
Geleise durch die Macht der äußern Verhältnisse herausgezogen ward, daß sie bei
aller ihrer Anspruchslosigkeit die höchste Achtung vor dem Reichtum hegte.
Zu gleicher Zeit führten ihr scharfer Verstand und ihre große Gutmütigkeit sie
dahin, sich für geistige Interessen mehr zu erwärmen als für gesellschaftlichen
Glanz und dem armen Volke zugethan zu sein, während sie dabei ängstlich das
häusliche Budget überwachte und ihre Kinder für hohe Lebensstellungen zu er¬
ziehen bestrebt war. Sie studirte Rodbertus, Malthus und Adam Smith, die
sie durch ihren gelehrten Bruder kennen gelernt hatte, und achtete weder auf


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[0365] Bakchen und ThyrsostrLgor. Aber nicht nur zwischen Mutter und Tochter war ein Kontrast, sondern eine Art von Disharmonie schwebte auch über dem Gemache, eine Disharmonie der Farben und Formen, Das Zimmer war groß und hoch, auch schön dekorirt. Es hatte Parketfußboden, Stuckdecke und grüne Sammettapeten, Dagegen war es mit den verschiedenartigsten Möbeln ausgestattet, und diese Möbel waren alt, schäbig und zum Teil schadhaft, so daß es aussah, als wären sie aus einer Trödclbude ohne Wahl hierher versetzt, während sie doch von Frau Irrwisch aus ihrer früheren Einrichtung aufbewahrt und hartnäckig gegen die Angriffe des auf Stil bedachten Baumeisters verteidigt worden waren. Die Stühle waren zum Teil mit blauen Tuch, zum Teil mit rotem Sammet überzogen, die einen von Mahagoni-, die andern von Nußbaumholz. Eine schwarze Kommode mit weißen Säulen und Schlüssellöchern stand unter einem Spiegel mit goldenem Rahmen, zwischen einem gelbseidenen schmutzigen Lehnstuhl und einem mit Epheu bewachsenen, aus Eichenholz geschnittenen Blumentisch, der ein Aquarium ohne Fische und mit trübem Wasser trug. Die gestickten Vorhänge waren zerrissen und schmutzig, der Teppich unter dem Tische fleckig und verblaßt, und alle diese Unordnung und Unsauberkeit trat um so beleidigender hervor und sah um so erbärmlicher aus, als das Zimmer selbst durch Spiegelscheiben ein glänzendes Licht empfing. Aber Frau Irrwisch weilte in diesem Gemach am liebsten, viel lieber als in den übrigen eleganten und stilvoll möblirten Räumen des großen schönen Hauses, welches ihr Mann gegen ihren Wunsch gekauft hatte. Sie fühlte sich wunderlicher Weise inmitten dieser zusammengestöppelten alten und unsaubern Einrichtung wohl, wie sie sich auch nur in solchen Anzügen wohlfühlte, die weder durch Eleganz noch durch Neuheit geeignet waren, sie über die Werkel- tagsstimmung emporzuheben. So stark war bei ihr die Macht ärmlicher Jugend- gcwohnheit und eines Naturells, welches solcher Gewohnheit entgegenkam. Glanz und Licht und Harmonie waren ihr so angenehm und erfreulich, wie sie etwa einer Fledermaus sein mögen. Frau Rachel hatte eine instinktive Abneigung gegen alleu Schein und Flitter und eine Liebe für das Kleine und Geringe, dazu ein ebenso instinktartigcs Gefühl des Unbeständigen eines durch Spekulation erworbenen Reichtums. Es war aber einer der Widersprüche ihres Charakters, der aus seinem natürlicher! Geleise durch die Macht der äußern Verhältnisse herausgezogen ward, daß sie bei aller ihrer Anspruchslosigkeit die höchste Achtung vor dem Reichtum hegte. Zu gleicher Zeit führten ihr scharfer Verstand und ihre große Gutmütigkeit sie dahin, sich für geistige Interessen mehr zu erwärmen als für gesellschaftlichen Glanz und dem armen Volke zugethan zu sein, während sie dabei ängstlich das häusliche Budget überwachte und ihre Kinder für hohe Lebensstellungen zu er¬ ziehen bestrebt war. Sie studirte Rodbertus, Malthus und Adam Smith, die sie durch ihren gelehrten Bruder kennen gelernt hatte, und achtete weder auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/365>, abgerufen am 29.06.2024.