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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Magyaren und Deutsche.

dauern heranzuziehen, da entblödeten sich jene psendv-ungarischen Korrespondenten,
ein Halloh über "das neue Botany-Bay" zu erheben, und deutsche Zeitungen
gaben sich dazu her, durch Verbreitung solcher Schmach die Ausführung eines
Unternehmens zu verhindern, welches von humanster Denkart und wichtigen wirt¬
schaftlichen Anschauungen eingegeben worden war. ^

Jene Zeiten sind vorüber. Die Magyaren haben alles Erreichbare erreicht,
die Emigranten sind heimgekehrt, erkennen dus am 14. April 1849 für ewige
Zeiten abgesetzte Haus Habsburg-Lothringen wieder an, und das letztere legt
ihnen nichts in den Weg, den parlamentarischen Musterstaat zu etabliren. Im
allgemeinen geht es auch ganz programmmäßig zu, Minister werden ein- und
abgesetzt, Parteien wirtschaften ab, und die Staatsschuld wuchert. Nur die
schlimmen Deutschen verkümmern den Herren das Leben. In deutschen Blät¬
tern ist von Zeit zu Zeit zu lesen, das Deutschtum in Ungarn und Siebenbürgen
werde von der herrschenden Nationalität bedrängt. Dergleichen Berichte er¬
scheinen zwar nicht so häufig wie dereinst die magyarischen Schmerzensschreie,
die Berichterstatter tragen auch nicht die Farben so dick auf. Aber daß über¬
haupt jemand wagt, den Leuten da draußen zu erzählen, wie es im heiligen
ungarischen Reiche zugeht, das erregt deu flammenden Zorn der Parlamentarier
und Zeitungsschreiber. Und nun nimmt sich vollends der deutsche Schulvereiu
heraus, seinen Stammesgenossen beizubringen, der systematischen Magyarisirung
der Schwaben und Sachsen entgegenzuarbeiten! Unverzeihliche Einmischung!
Denn erstens ist es nicht wahr, daß das Deutschtum verfolgt wird, zweitens ist
es eine Ehre und Wohlthat für die Deutschen, wem, man sie mit Gewalt zu
Magyaren macht, und drittens geht das überhaupt niemand etwas an.

Wir übertreiben nicht: um kein Haar besser ist die Logik der Reden und
Artikel, die, leider manchmal sogar in deutscher Sprache, gegen jene losgelassen
werden, welche ihr Volkstum gegen Raub und gegen Eskamotage verteidigen.
Selbst Koloman Tisza, der Ministerpräsident, der ja unstreitig einen schärferen
und klareren Verstand besitzt als die Mehrzahl seiner Landsleute und, seitdem er
am Ruder steht, mit deu Velleitäten des Fraktionsführers gebrochen hat, selbst
Tisza wagt es in diesem Falle nicht, dem Chauvinismus heimzuleuchten, was
er doch sonst vorzüglich versteht. Bisher hielt man ihn deswegen für ebenso
verblendet wie die übrigen; aber seitdem der gewöhnlich so schlagfertige und
schneidige Redner ans die Beschwerden der sächsischen Abgeordneten nur eine
teils erbärmlich lahme, teils rabulistische Autwort hatte, kann man nicht mehr
daran zweifeln, daß er sich seiner traurigen Rolle bewußt ist. Oder rechnet er
etwa darauf, daß seine "aufklärende" Rede in Deutschland unbeachtet bleiben
werde, weil man dort anderes zu thun hat, als die Verhandlungen im ungarischen
Reichstage zu verfolgen? Dann dürfte er sich doch verrechnet haben. Die
Sitzung am Januar dieses Jahres und die Äußerungen des Ministerpräsi¬
denten in derselben sind zu charakteristisch für das Verhältnis zwischen Magyaren


Magyaren und Deutsche.

dauern heranzuziehen, da entblödeten sich jene psendv-ungarischen Korrespondenten,
ein Halloh über „das neue Botany-Bay" zu erheben, und deutsche Zeitungen
gaben sich dazu her, durch Verbreitung solcher Schmach die Ausführung eines
Unternehmens zu verhindern, welches von humanster Denkart und wichtigen wirt¬
schaftlichen Anschauungen eingegeben worden war. ^

Jene Zeiten sind vorüber. Die Magyaren haben alles Erreichbare erreicht,
die Emigranten sind heimgekehrt, erkennen dus am 14. April 1849 für ewige
Zeiten abgesetzte Haus Habsburg-Lothringen wieder an, und das letztere legt
ihnen nichts in den Weg, den parlamentarischen Musterstaat zu etabliren. Im
allgemeinen geht es auch ganz programmmäßig zu, Minister werden ein- und
abgesetzt, Parteien wirtschaften ab, und die Staatsschuld wuchert. Nur die
schlimmen Deutschen verkümmern den Herren das Leben. In deutschen Blät¬
tern ist von Zeit zu Zeit zu lesen, das Deutschtum in Ungarn und Siebenbürgen
werde von der herrschenden Nationalität bedrängt. Dergleichen Berichte er¬
scheinen zwar nicht so häufig wie dereinst die magyarischen Schmerzensschreie,
die Berichterstatter tragen auch nicht die Farben so dick auf. Aber daß über¬
haupt jemand wagt, den Leuten da draußen zu erzählen, wie es im heiligen
ungarischen Reiche zugeht, das erregt deu flammenden Zorn der Parlamentarier
und Zeitungsschreiber. Und nun nimmt sich vollends der deutsche Schulvereiu
heraus, seinen Stammesgenossen beizubringen, der systematischen Magyarisirung
der Schwaben und Sachsen entgegenzuarbeiten! Unverzeihliche Einmischung!
Denn erstens ist es nicht wahr, daß das Deutschtum verfolgt wird, zweitens ist
es eine Ehre und Wohlthat für die Deutschen, wem, man sie mit Gewalt zu
Magyaren macht, und drittens geht das überhaupt niemand etwas an.

Wir übertreiben nicht: um kein Haar besser ist die Logik der Reden und
Artikel, die, leider manchmal sogar in deutscher Sprache, gegen jene losgelassen
werden, welche ihr Volkstum gegen Raub und gegen Eskamotage verteidigen.
Selbst Koloman Tisza, der Ministerpräsident, der ja unstreitig einen schärferen
und klareren Verstand besitzt als die Mehrzahl seiner Landsleute und, seitdem er
am Ruder steht, mit deu Velleitäten des Fraktionsführers gebrochen hat, selbst
Tisza wagt es in diesem Falle nicht, dem Chauvinismus heimzuleuchten, was
er doch sonst vorzüglich versteht. Bisher hielt man ihn deswegen für ebenso
verblendet wie die übrigen; aber seitdem der gewöhnlich so schlagfertige und
schneidige Redner ans die Beschwerden der sächsischen Abgeordneten nur eine
teils erbärmlich lahme, teils rabulistische Autwort hatte, kann man nicht mehr
daran zweifeln, daß er sich seiner traurigen Rolle bewußt ist. Oder rechnet er
etwa darauf, daß seine „aufklärende" Rede in Deutschland unbeachtet bleiben
werde, weil man dort anderes zu thun hat, als die Verhandlungen im ungarischen
Reichstage zu verfolgen? Dann dürfte er sich doch verrechnet haben. Die
Sitzung am Januar dieses Jahres und die Äußerungen des Ministerpräsi¬
denten in derselben sind zu charakteristisch für das Verhältnis zwischen Magyaren


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[0357] Magyaren und Deutsche. dauern heranzuziehen, da entblödeten sich jene psendv-ungarischen Korrespondenten, ein Halloh über „das neue Botany-Bay" zu erheben, und deutsche Zeitungen gaben sich dazu her, durch Verbreitung solcher Schmach die Ausführung eines Unternehmens zu verhindern, welches von humanster Denkart und wichtigen wirt¬ schaftlichen Anschauungen eingegeben worden war. ^ Jene Zeiten sind vorüber. Die Magyaren haben alles Erreichbare erreicht, die Emigranten sind heimgekehrt, erkennen dus am 14. April 1849 für ewige Zeiten abgesetzte Haus Habsburg-Lothringen wieder an, und das letztere legt ihnen nichts in den Weg, den parlamentarischen Musterstaat zu etabliren. Im allgemeinen geht es auch ganz programmmäßig zu, Minister werden ein- und abgesetzt, Parteien wirtschaften ab, und die Staatsschuld wuchert. Nur die schlimmen Deutschen verkümmern den Herren das Leben. In deutschen Blät¬ tern ist von Zeit zu Zeit zu lesen, das Deutschtum in Ungarn und Siebenbürgen werde von der herrschenden Nationalität bedrängt. Dergleichen Berichte er¬ scheinen zwar nicht so häufig wie dereinst die magyarischen Schmerzensschreie, die Berichterstatter tragen auch nicht die Farben so dick auf. Aber daß über¬ haupt jemand wagt, den Leuten da draußen zu erzählen, wie es im heiligen ungarischen Reiche zugeht, das erregt deu flammenden Zorn der Parlamentarier und Zeitungsschreiber. Und nun nimmt sich vollends der deutsche Schulvereiu heraus, seinen Stammesgenossen beizubringen, der systematischen Magyarisirung der Schwaben und Sachsen entgegenzuarbeiten! Unverzeihliche Einmischung! Denn erstens ist es nicht wahr, daß das Deutschtum verfolgt wird, zweitens ist es eine Ehre und Wohlthat für die Deutschen, wem, man sie mit Gewalt zu Magyaren macht, und drittens geht das überhaupt niemand etwas an. Wir übertreiben nicht: um kein Haar besser ist die Logik der Reden und Artikel, die, leider manchmal sogar in deutscher Sprache, gegen jene losgelassen werden, welche ihr Volkstum gegen Raub und gegen Eskamotage verteidigen. Selbst Koloman Tisza, der Ministerpräsident, der ja unstreitig einen schärferen und klareren Verstand besitzt als die Mehrzahl seiner Landsleute und, seitdem er am Ruder steht, mit deu Velleitäten des Fraktionsführers gebrochen hat, selbst Tisza wagt es in diesem Falle nicht, dem Chauvinismus heimzuleuchten, was er doch sonst vorzüglich versteht. Bisher hielt man ihn deswegen für ebenso verblendet wie die übrigen; aber seitdem der gewöhnlich so schlagfertige und schneidige Redner ans die Beschwerden der sächsischen Abgeordneten nur eine teils erbärmlich lahme, teils rabulistische Autwort hatte, kann man nicht mehr daran zweifeln, daß er sich seiner traurigen Rolle bewußt ist. Oder rechnet er etwa darauf, daß seine „aufklärende" Rede in Deutschland unbeachtet bleiben werde, weil man dort anderes zu thun hat, als die Verhandlungen im ungarischen Reichstage zu verfolgen? Dann dürfte er sich doch verrechnet haben. Die Sitzung am Januar dieses Jahres und die Äußerungen des Ministerpräsi¬ denten in derselben sind zu charakteristisch für das Verhältnis zwischen Magyaren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/357>, abgerufen am 29.06.2024.