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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Verbotene Bücher.

Georg II. von 1661 ordnete an, daß die theologische, juristische und medizi¬
nische Literatur von den Dekanen der betreffenden Fakultäten censirt werden
sollte; in der philosophischen Fakultät sollte jeder ordentliche Professor das
Ceusurrecht über die in feine Wissenschaft einschlagenden Schriften haben, außer¬
dem der Dekan über die Werke gemischten Inhalts. Für die Untersuchung und Be¬
strafung von Vergehen gegen die Ceusurgesetze gab es aber bis gegen das Ende des
siebzehnten Jahrhunderts kein festes Verfahren. Die Buchdrucker und Buch¬
händler galten zwar für "Universitätsverwaudte" und drängten sich als solche,
wo es ihren Vorteil galt, nur gar zu gern in den Schatten der akademischen Ge¬
richtsbarkeit. Dennoch konnte die Regierung in Strafsachen die Mitwirkung des
Rates nicht entbehren, und so übertrug sie die Untersuchung und Ahndung von
Censnrvergehen bald dem Rate allein, bald dem Rate und der Universität zu¬
gleich, bald einem oder mehreren Professoren und dem Rate zugleich. Erst 1687
wurde mit der Einsetzung der "Kurfürstlichen Bücherkvinmissiou" eine feste Be¬
hörde geschaffen, vor deren Forum von nun an alle Übertretungen der Censur¬
gesetze und -- wie gleich noch hinzugefügt sein mag -- alle Privileg- und Nach-
druckstreitigkeiten gewiesen wurden.

Diese Bücherkvmmissivu bestand aus zwei Gliedern: ans einem Professor
der Universität und aus dem Rate der Stadt. Alle ihre Schriftstücke tragen
die Unterschrift eines Professors, und darunter die Worte: Der Rat zu Leipzig.
In der Praxis bestand die Kommission freilich nur aus zwei Personen, aus
dem betreffenden Professor, dem dieses Amt auf Lebenszeit übertragen war,
und dein jedesmaligen Deputirten des Rates, der alljährlich bei der Ratswahl
zu Bartholomäi (im August) neu ernannt wurde. Man richtete dabei sein
Augenmerk in der Regel auf Müuner, die in literarischen Dingen besonders be¬
wandert waren.

Das umfängliche Aktenmaterial dieser Bücherkommission, aus Hunderten von
Aktenbänden bestehend, eine reiche Quelle für die Geschichte des deutscheu Buch¬
handels, namentlich während des achtzehnten Jahrhunderts, bewahrt das Leip¬
ziger Ratsarchiv. Im nachfolgenden teile ich ein paar Lesefrüchte aus den
Ceusurakten mit, die dein Literarhistoriker nicht unwillkommen sein werden. Sie
"mspanneu die Zeit von Thomas und Gottsched bis zu Lessing und Goethe.
Für später behalte ich mir vor, einige auf unsre Klassiker bezügliche Mitteilungen
aus den Privilegakten zu geben.

Der erste, der die Segnungen des neuen Instituts gründlich zu schmecken
bekam, war Christian Thomas. Seit Luthers Tagen war niemand so plan¬
mäßig von deu Leipziger Theologen verfolgt und gemaßregelt worden wie dieser
kühne Neuerer und Aufklärer. Das Schlimme war, daß gleich anfangs zwei
seiner Hauptgegner, die beiden theologischen Professoren Valentin Alberti und
Benedict Carpzvv, nach einander Mitglieder der Bücherkommission waren, Alberti
bis 1697. Cnrvzov bis 1699.


Grenzbvtei! I. 1882. 34
Verbotene Bücher.

Georg II. von 1661 ordnete an, daß die theologische, juristische und medizi¬
nische Literatur von den Dekanen der betreffenden Fakultäten censirt werden
sollte; in der philosophischen Fakultät sollte jeder ordentliche Professor das
Ceusurrecht über die in feine Wissenschaft einschlagenden Schriften haben, außer¬
dem der Dekan über die Werke gemischten Inhalts. Für die Untersuchung und Be¬
strafung von Vergehen gegen die Ceusurgesetze gab es aber bis gegen das Ende des
siebzehnten Jahrhunderts kein festes Verfahren. Die Buchdrucker und Buch¬
händler galten zwar für „Universitätsverwaudte" und drängten sich als solche,
wo es ihren Vorteil galt, nur gar zu gern in den Schatten der akademischen Ge¬
richtsbarkeit. Dennoch konnte die Regierung in Strafsachen die Mitwirkung des
Rates nicht entbehren, und so übertrug sie die Untersuchung und Ahndung von
Censnrvergehen bald dem Rate allein, bald dem Rate und der Universität zu¬
gleich, bald einem oder mehreren Professoren und dem Rate zugleich. Erst 1687
wurde mit der Einsetzung der „Kurfürstlichen Bücherkvinmissiou" eine feste Be¬
hörde geschaffen, vor deren Forum von nun an alle Übertretungen der Censur¬
gesetze und — wie gleich noch hinzugefügt sein mag — alle Privileg- und Nach-
druckstreitigkeiten gewiesen wurden.

Diese Bücherkvmmissivu bestand aus zwei Gliedern: ans einem Professor
der Universität und aus dem Rate der Stadt. Alle ihre Schriftstücke tragen
die Unterschrift eines Professors, und darunter die Worte: Der Rat zu Leipzig.
In der Praxis bestand die Kommission freilich nur aus zwei Personen, aus
dem betreffenden Professor, dem dieses Amt auf Lebenszeit übertragen war,
und dein jedesmaligen Deputirten des Rates, der alljährlich bei der Ratswahl
zu Bartholomäi (im August) neu ernannt wurde. Man richtete dabei sein
Augenmerk in der Regel auf Müuner, die in literarischen Dingen besonders be¬
wandert waren.

Das umfängliche Aktenmaterial dieser Bücherkommission, aus Hunderten von
Aktenbänden bestehend, eine reiche Quelle für die Geschichte des deutscheu Buch¬
handels, namentlich während des achtzehnten Jahrhunderts, bewahrt das Leip¬
ziger Ratsarchiv. Im nachfolgenden teile ich ein paar Lesefrüchte aus den
Ceusurakten mit, die dein Literarhistoriker nicht unwillkommen sein werden. Sie
»mspanneu die Zeit von Thomas und Gottsched bis zu Lessing und Goethe.
Für später behalte ich mir vor, einige auf unsre Klassiker bezügliche Mitteilungen
aus den Privilegakten zu geben.

Der erste, der die Segnungen des neuen Instituts gründlich zu schmecken
bekam, war Christian Thomas. Seit Luthers Tagen war niemand so plan¬
mäßig von deu Leipziger Theologen verfolgt und gemaßregelt worden wie dieser
kühne Neuerer und Aufklärer. Das Schlimme war, daß gleich anfangs zwei
seiner Hauptgegner, die beiden theologischen Professoren Valentin Alberti und
Benedict Carpzvv, nach einander Mitglieder der Bücherkommission waren, Alberti
bis 1697. Cnrvzov bis 1699.


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[0273] Verbotene Bücher. Georg II. von 1661 ordnete an, daß die theologische, juristische und medizi¬ nische Literatur von den Dekanen der betreffenden Fakultäten censirt werden sollte; in der philosophischen Fakultät sollte jeder ordentliche Professor das Ceusurrecht über die in feine Wissenschaft einschlagenden Schriften haben, außer¬ dem der Dekan über die Werke gemischten Inhalts. Für die Untersuchung und Be¬ strafung von Vergehen gegen die Ceusurgesetze gab es aber bis gegen das Ende des siebzehnten Jahrhunderts kein festes Verfahren. Die Buchdrucker und Buch¬ händler galten zwar für „Universitätsverwaudte" und drängten sich als solche, wo es ihren Vorteil galt, nur gar zu gern in den Schatten der akademischen Ge¬ richtsbarkeit. Dennoch konnte die Regierung in Strafsachen die Mitwirkung des Rates nicht entbehren, und so übertrug sie die Untersuchung und Ahndung von Censnrvergehen bald dem Rate allein, bald dem Rate und der Universität zu¬ gleich, bald einem oder mehreren Professoren und dem Rate zugleich. Erst 1687 wurde mit der Einsetzung der „Kurfürstlichen Bücherkvinmissiou" eine feste Be¬ hörde geschaffen, vor deren Forum von nun an alle Übertretungen der Censur¬ gesetze und — wie gleich noch hinzugefügt sein mag — alle Privileg- und Nach- druckstreitigkeiten gewiesen wurden. Diese Bücherkvmmissivu bestand aus zwei Gliedern: ans einem Professor der Universität und aus dem Rate der Stadt. Alle ihre Schriftstücke tragen die Unterschrift eines Professors, und darunter die Worte: Der Rat zu Leipzig. In der Praxis bestand die Kommission freilich nur aus zwei Personen, aus dem betreffenden Professor, dem dieses Amt auf Lebenszeit übertragen war, und dein jedesmaligen Deputirten des Rates, der alljährlich bei der Ratswahl zu Bartholomäi (im August) neu ernannt wurde. Man richtete dabei sein Augenmerk in der Regel auf Müuner, die in literarischen Dingen besonders be¬ wandert waren. Das umfängliche Aktenmaterial dieser Bücherkommission, aus Hunderten von Aktenbänden bestehend, eine reiche Quelle für die Geschichte des deutscheu Buch¬ handels, namentlich während des achtzehnten Jahrhunderts, bewahrt das Leip¬ ziger Ratsarchiv. Im nachfolgenden teile ich ein paar Lesefrüchte aus den Ceusurakten mit, die dein Literarhistoriker nicht unwillkommen sein werden. Sie »mspanneu die Zeit von Thomas und Gottsched bis zu Lessing und Goethe. Für später behalte ich mir vor, einige auf unsre Klassiker bezügliche Mitteilungen aus den Privilegakten zu geben. Der erste, der die Segnungen des neuen Instituts gründlich zu schmecken bekam, war Christian Thomas. Seit Luthers Tagen war niemand so plan¬ mäßig von deu Leipziger Theologen verfolgt und gemaßregelt worden wie dieser kühne Neuerer und Aufklärer. Das Schlimme war, daß gleich anfangs zwei seiner Hauptgegner, die beiden theologischen Professoren Valentin Alberti und Benedict Carpzvv, nach einander Mitglieder der Bücherkommission waren, Alberti bis 1697. Cnrvzov bis 1699. Grenzbvtei! I. 1882. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/273>, abgerufen am 29.06.2024.