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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Zwei Fcmstkommcnwre.

schicdenartige Ereignisse in Berührung bringt, nachzugehen. Doch müssen wir
es aussprechen, daß uns hierin Ranke noch immer als der erste unter den
lebenden deutschen Geschichtschreibern erscheint.

Um nochmals unser Urteil zusammenzufassen: Rankes Weltgeschichte ist nicht
die Weltgeschichte, auf die wir gehofft haben, und die much jetzt noch ein Bedürfnis
bleibt, aber sie ist ein schönes und wertvolles Buch, das der gcschichtskundige Leser
nicht ohne aufrichtige Freude und reichen Gewinn ans der Hand legen wird.




Zwei Faustkommentare.

it besondrer Vorliebe hat sich neuerdings das Studium unsrer
germanistischen Philologen der deutschen Literaturgeschichte des
18, Jahrhunderts zugewandt. Insbesondre hat jene Periode des
Ringens und Gährens, die in eine neue Zeit hinüberlcitet, die
sogenannte Sturm- und Drangzcit, das Interesse derselben ange¬
zogen. Darum ist aber das Ziel, auf das diese Bestrebungen hindeuten, die
Spitze, in der sie alle gipfeln: Goethe und eine eiudringendere Erkenntnis seines
geistigen Werdens und Poetischen Schaffens, niemals nußer Augen gelassen worden.
Die Goetheliteratur wächst von Jahr zu Jahr in erstaunlicher Weise an, und
den Mittelpunkt derselben bildet, wie natürlich, der "Faust," jenes in allen Lite¬
raturen einzig dastehende Werk des höchsten sich selbst offenbarenden Dichter-
genius. Gerade in den letzten Jahren ist eine große Reihe neuer Faustpubli¬
kationen zu verzeichnen gewesen, durch welche die Kenntnis der Dichtung nach
den verschiedensten Richtungen hin gefördert worden ist.

Gegenüber dieser von den zünftigen Gelehrten ausgehenden Geschäftigkeit
wird wohl der kürzlich mehrfach erhobene Schmerzensschrei, daß auf den Uni¬
versitäten zu wenig für unsre neuere Literaturgeschichte geschähe, verhallen, und
die Forderung, daß besondre Professuren für letztere einzurichten, aber ja nicht
mit Fachgelehrten zu besetzen seien, dieses So-toi <zuo ^'s in'zö notes, in seiner
Nichtigkeit erkannt werden. Der Himmel bewahre uns vor den Literaten auch
in den akademischen Lehrstühlen! Bricht sich doch die Erkenntnis immer mehr
Bahn, daß, soweit überhaupt ein Bedürfnis vorhanden ist, die einer jüngst ver¬
gangenen Zeit angehörenden Dichterwerke der jetzigen Generation näher zu bringen
und in eine richtige Beleuchtung zu rücken, dies auch nur mit der auf andern
Gebieten des gelehrten Studiums erprobten und bewährten kritischen Methode
geschehen könne, daß das naive, voraussetzungslosc Genießen ebensowenig wie
das mit vorgefaßter Meinung herantretende rein ästhetische Beurteilen zu einer


Zwei Fcmstkommcnwre.

schicdenartige Ereignisse in Berührung bringt, nachzugehen. Doch müssen wir
es aussprechen, daß uns hierin Ranke noch immer als der erste unter den
lebenden deutschen Geschichtschreibern erscheint.

Um nochmals unser Urteil zusammenzufassen: Rankes Weltgeschichte ist nicht
die Weltgeschichte, auf die wir gehofft haben, und die much jetzt noch ein Bedürfnis
bleibt, aber sie ist ein schönes und wertvolles Buch, das der gcschichtskundige Leser
nicht ohne aufrichtige Freude und reichen Gewinn ans der Hand legen wird.




Zwei Faustkommentare.

it besondrer Vorliebe hat sich neuerdings das Studium unsrer
germanistischen Philologen der deutschen Literaturgeschichte des
18, Jahrhunderts zugewandt. Insbesondre hat jene Periode des
Ringens und Gährens, die in eine neue Zeit hinüberlcitet, die
sogenannte Sturm- und Drangzcit, das Interesse derselben ange¬
zogen. Darum ist aber das Ziel, auf das diese Bestrebungen hindeuten, die
Spitze, in der sie alle gipfeln: Goethe und eine eiudringendere Erkenntnis seines
geistigen Werdens und Poetischen Schaffens, niemals nußer Augen gelassen worden.
Die Goetheliteratur wächst von Jahr zu Jahr in erstaunlicher Weise an, und
den Mittelpunkt derselben bildet, wie natürlich, der „Faust," jenes in allen Lite¬
raturen einzig dastehende Werk des höchsten sich selbst offenbarenden Dichter-
genius. Gerade in den letzten Jahren ist eine große Reihe neuer Faustpubli¬
kationen zu verzeichnen gewesen, durch welche die Kenntnis der Dichtung nach
den verschiedensten Richtungen hin gefördert worden ist.

Gegenüber dieser von den zünftigen Gelehrten ausgehenden Geschäftigkeit
wird wohl der kürzlich mehrfach erhobene Schmerzensschrei, daß auf den Uni¬
versitäten zu wenig für unsre neuere Literaturgeschichte geschähe, verhallen, und
die Forderung, daß besondre Professuren für letztere einzurichten, aber ja nicht
mit Fachgelehrten zu besetzen seien, dieses So-toi <zuo ^'s in'zö notes, in seiner
Nichtigkeit erkannt werden. Der Himmel bewahre uns vor den Literaten auch
in den akademischen Lehrstühlen! Bricht sich doch die Erkenntnis immer mehr
Bahn, daß, soweit überhaupt ein Bedürfnis vorhanden ist, die einer jüngst ver¬
gangenen Zeit angehörenden Dichterwerke der jetzigen Generation näher zu bringen
und in eine richtige Beleuchtung zu rücken, dies auch nur mit der auf andern
Gebieten des gelehrten Studiums erprobten und bewährten kritischen Methode
geschehen könne, daß das naive, voraussetzungslosc Genießen ebensowenig wie
das mit vorgefaßter Meinung herantretende rein ästhetische Beurteilen zu einer


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[0237] Zwei Fcmstkommcnwre. schicdenartige Ereignisse in Berührung bringt, nachzugehen. Doch müssen wir es aussprechen, daß uns hierin Ranke noch immer als der erste unter den lebenden deutschen Geschichtschreibern erscheint. Um nochmals unser Urteil zusammenzufassen: Rankes Weltgeschichte ist nicht die Weltgeschichte, auf die wir gehofft haben, und die much jetzt noch ein Bedürfnis bleibt, aber sie ist ein schönes und wertvolles Buch, das der gcschichtskundige Leser nicht ohne aufrichtige Freude und reichen Gewinn ans der Hand legen wird. Zwei Faustkommentare. it besondrer Vorliebe hat sich neuerdings das Studium unsrer germanistischen Philologen der deutschen Literaturgeschichte des 18, Jahrhunderts zugewandt. Insbesondre hat jene Periode des Ringens und Gährens, die in eine neue Zeit hinüberlcitet, die sogenannte Sturm- und Drangzcit, das Interesse derselben ange¬ zogen. Darum ist aber das Ziel, auf das diese Bestrebungen hindeuten, die Spitze, in der sie alle gipfeln: Goethe und eine eiudringendere Erkenntnis seines geistigen Werdens und Poetischen Schaffens, niemals nußer Augen gelassen worden. Die Goetheliteratur wächst von Jahr zu Jahr in erstaunlicher Weise an, und den Mittelpunkt derselben bildet, wie natürlich, der „Faust," jenes in allen Lite¬ raturen einzig dastehende Werk des höchsten sich selbst offenbarenden Dichter- genius. Gerade in den letzten Jahren ist eine große Reihe neuer Faustpubli¬ kationen zu verzeichnen gewesen, durch welche die Kenntnis der Dichtung nach den verschiedensten Richtungen hin gefördert worden ist. Gegenüber dieser von den zünftigen Gelehrten ausgehenden Geschäftigkeit wird wohl der kürzlich mehrfach erhobene Schmerzensschrei, daß auf den Uni¬ versitäten zu wenig für unsre neuere Literaturgeschichte geschähe, verhallen, und die Forderung, daß besondre Professuren für letztere einzurichten, aber ja nicht mit Fachgelehrten zu besetzen seien, dieses So-toi <zuo ^'s in'zö notes, in seiner Nichtigkeit erkannt werden. Der Himmel bewahre uns vor den Literaten auch in den akademischen Lehrstühlen! Bricht sich doch die Erkenntnis immer mehr Bahn, daß, soweit überhaupt ein Bedürfnis vorhanden ist, die einer jüngst ver¬ gangenen Zeit angehörenden Dichterwerke der jetzigen Generation näher zu bringen und in eine richtige Beleuchtung zu rücken, dies auch nur mit der auf andern Gebieten des gelehrten Studiums erprobten und bewährten kritischen Methode geschehen könne, daß das naive, voraussetzungslosc Genießen ebensowenig wie das mit vorgefaßter Meinung herantretende rein ästhetische Beurteilen zu einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/237>, abgerufen am 26.08.2024.