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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Das vor flösse"^: Jahr.

zu übernehmen, war ebensowenig zu befürchten, auch wenn man nicht daran dachte,
daß opponiren leichter ist als verantwortlich regieren, und daß die Liberalen wie
das Centrum bisher mir negative Gedanken und Zwecke an den Tag gelegt
hatten. Insofern konnte man von vornherein keinen Augenblick im Ernste glauben,
der Kanzler werde genötigt werden, zurückzutreten. Man mußte vielmehr an¬
nehmen, er werde mit der Minorität, die ihm geblieben, so lange weiter regieren,
bis die oppositionelle Majorität durch ihre Opposition hinreichend bewiesen, daß
sie nur Stillstand aller Reform zuwege zu bringen wisse, und dann bei ge¬
eigneter Gelegenheit den unnützen Reichstag auflösen und an die bessere Ein¬
sicht des Volkes appelliren. Man war zu dieser Voraussage umsomehr berech¬
tigt, als die Botschaft des Kaisers, mit welcher der Reichstag eröffnet wurde,
die vollständige Uebereinstimmung des Souveräns mit seinem obersten Rat in
deutlichster Sprache kundgab.

Der weitere Verlauf der Dinge im Reichstag ist in frischer Erinnerung.
Die großen Reden des Kanzlers, mit denen er die Angriffe seiner liberalen
Gegner beantwortete, hallen noch nach. Darauf Ablehnung der Vorlage in
Betreff des deutscheu Volkswirtschaftsrats, auch durch eiuen Teil des Centrums,
mit dem sich anscheinend ein besseres Verhältnis entwickeln wollte. Gleich darauf
der Streit zwischen dem officiösen Organe des Kanzlers und dem Hauptführer
der Klerikalen, für den diese einmütig Partei nahmen. Zuletzt der Antrag des
Centrums, wegen Aufhebung des Gesetzes, welches Jnternirung und Aus¬
weisung von Geistlichen fordert, die ohne Befugnis kirchliche Handlungen voll¬
ziehen. Nach etwa vierwöchentlicher Thätigkeit sind die Herren in die Weih¬
nachtsferien gegangen. Mau hatte sie mit keinen hochgespannter Erwartungen
empfangen, und so konnten sie keine Enttäuschung hinterlassen.

Ueber das Ausland wollen wir uns kurz fassen. Im allgemeinen ist zu¬
nächst zu constcitiren, daß unsre Stellung zwischen den fremden Mächten in der
letzten Zeit sich immer mehr verbessert hat, sodaß die Erhaltung des Weltfriedens
auf lange Zeit hinaus gesichert scheint. Wir erfreuen uns des besten Einver¬
nehmens mit dem großen Doppelstaat des Dvnaulcmdcs, und die Lage der Ver¬
hältnisse verbürgt die Dauer dieser Freundschaft. Wir stehen seit geraumer Zeit
wieder auf gutem Fuße mit Rußland, dessen neuer Kaiser durch die Zusammen¬
kunft mit dem unsern in Danzig seiner Geneigtheit, und uns in Frieden zu
leben, Ausdruck verlieh. Italien wünscht zu uns in nähere Beziehung zu treten.
Auch der Sultan bringt der deutschen Politik sein Vertrauen entgegen und be¬
müht sich um deren Wohlwollen. Mögen in Frankreich die Revanchegelüste
noch fortglimmen, so haben sie sich im letztverflossnen Jahre wenigstens nicht
mehr so lebhaft geäußert wie früher, und es ist bei der Stellung, die das deutsche
Reich einnimmt, zu hoffen, daß sie allmählich ganz erlöschen werden.

Daß in England die jetzige Regierung kein besonders inniges Wohlwollen
gegen uns empfindet, hat nicht viel zu bedeuten; denn ihre Politik ist Qncikertum.


Das vor flösse»^: Jahr.

zu übernehmen, war ebensowenig zu befürchten, auch wenn man nicht daran dachte,
daß opponiren leichter ist als verantwortlich regieren, und daß die Liberalen wie
das Centrum bisher mir negative Gedanken und Zwecke an den Tag gelegt
hatten. Insofern konnte man von vornherein keinen Augenblick im Ernste glauben,
der Kanzler werde genötigt werden, zurückzutreten. Man mußte vielmehr an¬
nehmen, er werde mit der Minorität, die ihm geblieben, so lange weiter regieren,
bis die oppositionelle Majorität durch ihre Opposition hinreichend bewiesen, daß
sie nur Stillstand aller Reform zuwege zu bringen wisse, und dann bei ge¬
eigneter Gelegenheit den unnützen Reichstag auflösen und an die bessere Ein¬
sicht des Volkes appelliren. Man war zu dieser Voraussage umsomehr berech¬
tigt, als die Botschaft des Kaisers, mit welcher der Reichstag eröffnet wurde,
die vollständige Uebereinstimmung des Souveräns mit seinem obersten Rat in
deutlichster Sprache kundgab.

Der weitere Verlauf der Dinge im Reichstag ist in frischer Erinnerung.
Die großen Reden des Kanzlers, mit denen er die Angriffe seiner liberalen
Gegner beantwortete, hallen noch nach. Darauf Ablehnung der Vorlage in
Betreff des deutscheu Volkswirtschaftsrats, auch durch eiuen Teil des Centrums,
mit dem sich anscheinend ein besseres Verhältnis entwickeln wollte. Gleich darauf
der Streit zwischen dem officiösen Organe des Kanzlers und dem Hauptführer
der Klerikalen, für den diese einmütig Partei nahmen. Zuletzt der Antrag des
Centrums, wegen Aufhebung des Gesetzes, welches Jnternirung und Aus¬
weisung von Geistlichen fordert, die ohne Befugnis kirchliche Handlungen voll¬
ziehen. Nach etwa vierwöchentlicher Thätigkeit sind die Herren in die Weih¬
nachtsferien gegangen. Mau hatte sie mit keinen hochgespannter Erwartungen
empfangen, und so konnten sie keine Enttäuschung hinterlassen.

Ueber das Ausland wollen wir uns kurz fassen. Im allgemeinen ist zu¬
nächst zu constcitiren, daß unsre Stellung zwischen den fremden Mächten in der
letzten Zeit sich immer mehr verbessert hat, sodaß die Erhaltung des Weltfriedens
auf lange Zeit hinaus gesichert scheint. Wir erfreuen uns des besten Einver¬
nehmens mit dem großen Doppelstaat des Dvnaulcmdcs, und die Lage der Ver¬
hältnisse verbürgt die Dauer dieser Freundschaft. Wir stehen seit geraumer Zeit
wieder auf gutem Fuße mit Rußland, dessen neuer Kaiser durch die Zusammen¬
kunft mit dem unsern in Danzig seiner Geneigtheit, und uns in Frieden zu
leben, Ausdruck verlieh. Italien wünscht zu uns in nähere Beziehung zu treten.
Auch der Sultan bringt der deutschen Politik sein Vertrauen entgegen und be¬
müht sich um deren Wohlwollen. Mögen in Frankreich die Revanchegelüste
noch fortglimmen, so haben sie sich im letztverflossnen Jahre wenigstens nicht
mehr so lebhaft geäußert wie früher, und es ist bei der Stellung, die das deutsche
Reich einnimmt, zu hoffen, daß sie allmählich ganz erlöschen werden.

Daß in England die jetzige Regierung kein besonders inniges Wohlwollen
gegen uns empfindet, hat nicht viel zu bedeuten; denn ihre Politik ist Qncikertum.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/16>, abgerufen am 24.08.2024.