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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Paul Lindau.

Dichter , . , was in den neueren (meiner Theaterstücke) erträgliches ist, davon
bin ich mir sehr bewußt, daß ich es einzig "ut allein der Kritik zu ver¬
danken habe. Ich fühle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigne Kraft
sich emporgearbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen
aufschießt, ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus mir heraufpressen.
Ich würde so arm, so kalt, so kurzsichtig sein, wenn ich nicht einigermaßen ge¬
lernt hätte, fremde Schütze bescheiden zu borgen, an fremdem Feuer mich zu
Wärmen :e. Mau lese über das Verhältnis der Kritik zur schaffende" Kraft
seine köstlichen Worte in der-Hamburger Dramaturgie, wo sich im 101.--104.
Stück auch jene Äußerung findet. Lessing war im eminentester Sinne Kritiker,
schaffender Kritiker, darum verstand er auch so gut den "Herrn von Voltaire."
Es gewährt den größten Genuß, Lessing über Voltaire zu hören. Er stellt
Voltaire als tragischen Dichter über den jüngern Corneille, und dabei merken
wir doch ans seiner feinen, reizend witzigen Behandlung Voltaires, daß er diesen
selbst nicht für einen Dichter hält. Er durchschaute ihn wunderbar, denn Vol¬
taire, obwohl von höherem und reicherem Genius als Lessing, war von dem¬
selben Fleisch und Blut wie er.

Und ans demselben Stoff gebildet sind sie schließlich alle drei: Lindau,
Lessing und Voltaire -- nur in sehr verschiedener Statur. Lindau hat eine
hübsche Mittelgroße, Lessing überragt ihn um Haupteslänge, und Voltaire ist
ein Niese.

Aber mit der Strafe, die Lindau traf, indem er dichtete, -- beiläufig be¬
merkt, sind seine Novellen ebenso schwach wie seine Theaterstücke -- ging es
noch weiter. Sein Einfluß und seine Freunde erweiterten und vermehrten sich.
Er fühlte sich so wohl, daß er anfing -- zu loben. Er that dieser guten,
scharfen Feder die Schmach an, mittelmäßige Werke zu loben, teils guten Freunden,
teils dem Publikum, das ihm ja auch gut Freund, zu Gefallen. Er ankerte mit
der "Klinge von toledanischem Stahl." Wir lasen -- oder singen wenigstens an zu
lesen -- eine endlose Tirade Lindaus über Frchtags "Ahnen" in "Nord und Süd."
Dieser Aufsatz war beinahe ebenso lang wie die "Ahnen" selbst, was ein schreck¬
licher Gedanke ist. Wie mußte Lindaus Esprit heruntergekommen sein, wenn
er benutzt werden konnte, um dies große Werk sorgfältig durchzustudircu und
dann einen halben Oktavband darüber zusammenzubringen! Was, denkt Lindau,
würde wohl sei" Vorbild Molivre gethan haben, wenn man ihm so etwas zu¬
gemutet hätte, er, dem schon die Romane des Fräulein de Scudery die Galle
ins Blut trieben?

Wenn mau jetzt liest, wie Lindau die Werke derjenigen kritisirt, die früher
die Zielscheibe seines Spottes waren, und wie holdselig dafür nun die Stimmen
der Presse über ihn selber lauten, so glaubt man sich in das goldene Zeitalter
bersetzt zu scheu, wo die Wölfe neben den Böcken weiden, und wo der Löwe
und die Giraffe aus einem Napf saufen.


Paul Lindau.

Dichter , . , was in den neueren (meiner Theaterstücke) erträgliches ist, davon
bin ich mir sehr bewußt, daß ich es einzig »ut allein der Kritik zu ver¬
danken habe. Ich fühle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigne Kraft
sich emporgearbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen
aufschießt, ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus mir heraufpressen.
Ich würde so arm, so kalt, so kurzsichtig sein, wenn ich nicht einigermaßen ge¬
lernt hätte, fremde Schütze bescheiden zu borgen, an fremdem Feuer mich zu
Wärmen :e. Mau lese über das Verhältnis der Kritik zur schaffende» Kraft
seine köstlichen Worte in der-Hamburger Dramaturgie, wo sich im 101.—104.
Stück auch jene Äußerung findet. Lessing war im eminentester Sinne Kritiker,
schaffender Kritiker, darum verstand er auch so gut den „Herrn von Voltaire."
Es gewährt den größten Genuß, Lessing über Voltaire zu hören. Er stellt
Voltaire als tragischen Dichter über den jüngern Corneille, und dabei merken
wir doch ans seiner feinen, reizend witzigen Behandlung Voltaires, daß er diesen
selbst nicht für einen Dichter hält. Er durchschaute ihn wunderbar, denn Vol¬
taire, obwohl von höherem und reicherem Genius als Lessing, war von dem¬
selben Fleisch und Blut wie er.

Und ans demselben Stoff gebildet sind sie schließlich alle drei: Lindau,
Lessing und Voltaire — nur in sehr verschiedener Statur. Lindau hat eine
hübsche Mittelgroße, Lessing überragt ihn um Haupteslänge, und Voltaire ist
ein Niese.

Aber mit der Strafe, die Lindau traf, indem er dichtete, — beiläufig be¬
merkt, sind seine Novellen ebenso schwach wie seine Theaterstücke — ging es
noch weiter. Sein Einfluß und seine Freunde erweiterten und vermehrten sich.
Er fühlte sich so wohl, daß er anfing — zu loben. Er that dieser guten,
scharfen Feder die Schmach an, mittelmäßige Werke zu loben, teils guten Freunden,
teils dem Publikum, das ihm ja auch gut Freund, zu Gefallen. Er ankerte mit
der „Klinge von toledanischem Stahl." Wir lasen — oder singen wenigstens an zu
lesen — eine endlose Tirade Lindaus über Frchtags „Ahnen" in „Nord und Süd."
Dieser Aufsatz war beinahe ebenso lang wie die „Ahnen" selbst, was ein schreck¬
licher Gedanke ist. Wie mußte Lindaus Esprit heruntergekommen sein, wenn
er benutzt werden konnte, um dies große Werk sorgfältig durchzustudircu und
dann einen halben Oktavband darüber zusammenzubringen! Was, denkt Lindau,
würde wohl sei» Vorbild Molivre gethan haben, wenn man ihm so etwas zu¬
gemutet hätte, er, dem schon die Romane des Fräulein de Scudery die Galle
ins Blut trieben?

Wenn mau jetzt liest, wie Lindau die Werke derjenigen kritisirt, die früher
die Zielscheibe seines Spottes waren, und wie holdselig dafür nun die Stimmen
der Presse über ihn selber lauten, so glaubt man sich in das goldene Zeitalter
bersetzt zu scheu, wo die Wölfe neben den Böcken weiden, und wo der Löwe
und die Giraffe aus einem Napf saufen.


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[0141] Paul Lindau. Dichter , . , was in den neueren (meiner Theaterstücke) erträgliches ist, davon bin ich mir sehr bewußt, daß ich es einzig »ut allein der Kritik zu ver¬ danken habe. Ich fühle die lebendige Quelle nicht in mir, die durch eigne Kraft sich emporgearbeitet, durch eigne Kraft in so reichen, so frischen, so reinen Strahlen aufschießt, ich muß alles durch Druckwerk und Röhren aus mir heraufpressen. Ich würde so arm, so kalt, so kurzsichtig sein, wenn ich nicht einigermaßen ge¬ lernt hätte, fremde Schütze bescheiden zu borgen, an fremdem Feuer mich zu Wärmen :e. Mau lese über das Verhältnis der Kritik zur schaffende» Kraft seine köstlichen Worte in der-Hamburger Dramaturgie, wo sich im 101.—104. Stück auch jene Äußerung findet. Lessing war im eminentester Sinne Kritiker, schaffender Kritiker, darum verstand er auch so gut den „Herrn von Voltaire." Es gewährt den größten Genuß, Lessing über Voltaire zu hören. Er stellt Voltaire als tragischen Dichter über den jüngern Corneille, und dabei merken wir doch ans seiner feinen, reizend witzigen Behandlung Voltaires, daß er diesen selbst nicht für einen Dichter hält. Er durchschaute ihn wunderbar, denn Vol¬ taire, obwohl von höherem und reicherem Genius als Lessing, war von dem¬ selben Fleisch und Blut wie er. Und ans demselben Stoff gebildet sind sie schließlich alle drei: Lindau, Lessing und Voltaire — nur in sehr verschiedener Statur. Lindau hat eine hübsche Mittelgroße, Lessing überragt ihn um Haupteslänge, und Voltaire ist ein Niese. Aber mit der Strafe, die Lindau traf, indem er dichtete, — beiläufig be¬ merkt, sind seine Novellen ebenso schwach wie seine Theaterstücke — ging es noch weiter. Sein Einfluß und seine Freunde erweiterten und vermehrten sich. Er fühlte sich so wohl, daß er anfing — zu loben. Er that dieser guten, scharfen Feder die Schmach an, mittelmäßige Werke zu loben, teils guten Freunden, teils dem Publikum, das ihm ja auch gut Freund, zu Gefallen. Er ankerte mit der „Klinge von toledanischem Stahl." Wir lasen — oder singen wenigstens an zu lesen — eine endlose Tirade Lindaus über Frchtags „Ahnen" in „Nord und Süd." Dieser Aufsatz war beinahe ebenso lang wie die „Ahnen" selbst, was ein schreck¬ licher Gedanke ist. Wie mußte Lindaus Esprit heruntergekommen sein, wenn er benutzt werden konnte, um dies große Werk sorgfältig durchzustudircu und dann einen halben Oktavband darüber zusammenzubringen! Was, denkt Lindau, würde wohl sei» Vorbild Molivre gethan haben, wenn man ihm so etwas zu¬ gemutet hätte, er, dem schon die Romane des Fräulein de Scudery die Galle ins Blut trieben? Wenn mau jetzt liest, wie Lindau die Werke derjenigen kritisirt, die früher die Zielscheibe seines Spottes waren, und wie holdselig dafür nun die Stimmen der Presse über ihn selber lauten, so glaubt man sich in das goldene Zeitalter bersetzt zu scheu, wo die Wölfe neben den Böcken weiden, und wo der Löwe und die Giraffe aus einem Napf saufen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/141>, abgerufen am 23.07.2024.