Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Paul Lindau.

Kraft. Anstatt das Leben selbst zu packen, begnügt sich der Dichter damit, die
Spiegelbilder, die Reflexe des Lebens in eine nochmalige Spiegelung zik bringen.
Man könnte einwerfen, daß der Dichter doch auch ein Mensch sei, das; Dichter
und Bühne doch auch im Leben stünden. Ganz recht, aber das, was am Dichter
und an der Bühne interessirt, ist nicht ihre Existenz an sich, sondern allein ihre
Klarheit in Abspiegelung des außer ihnen besindlichen Lebens. Und davon ist
in dem Stück uicht die Rede. Das Stück steht auf der Stufe der Unterhaltung
über die persönlichen Angelegenheiten der Dichter. Die Personen des Stückes
sagen gerade nichts Dummes, aber sie sagen auch nichts Fesselndes, sie sprechen
eben, wie so in Kaffees, bei Besuchen und im gewöhnlichen Leben, dem wir doch
eben im Theater entrinnen wollen, gesprochen wird. Unbedeutende oder abge¬
brauchte Gedanken und Worte bewegen die Luft von Anfang bis zu Eude.

Der "Johannistrieb," "Tante Therese," "Verschämte Arbeit" ?c. sind ähn¬
lichen Genres. Es ist nicht der Mühe wert, solche Gegenstände dramatisch zu
behandeln. Die Ideen, welche diesen Stücken zum Grunde liegen, sind vortrefflich
geeignet, von alten Tanten beiderlei Geschlechts beim Schälchen Kaffee erwogen
zu werden, aber der Dichter sollte nicht eine Gesellschaft einladen, sie in feier¬
licher Versammlung von der Bühne herab zu hören.

Es ist ein eigenes Ding um das Dichten. Es scheint offenbar ein dichterisches
Genie dazu zu gehöre". Geborne Kritiker aber sind niemals große Dichter.
Wer ein gutes Buch über Moliöre schreibt, ist schwerlich ein Dichter. Denn
der Dichter hat weder Zeit noch Lust noch Fähigkeit dazu; er hat so viel mit
den eige-man Bildern, die in seiner Seele aufsteigen, zu thun, daß er sich so ein¬
gehend nicht mit den Bildern eines andern Dichters beschäftigen kaun. Die Be¬
schäftigung mit den Werken der Dichter ist ähnlich dem Lauschen auf Tafelmusik.
Leute, die nichts zu sagen haben, sind sehr erfreut, wenn ihnen ein Dutzend
Musikanten die Mühe der Unterhaltung abnehmen, aber für gesprächige Leute
in angenehmer Gesellschaft ist die Musik bei Tische lästig. So wird ein Dichter
schwerlich gern, gewiß nicht viel lesen, ein Kritiker aber liest mit Passion.

Kritiker und Dichter vereinigen sich kaum in einer Person. Das sah
Lessing ein, dessen Stücke ebenfalls gleich denen Lindaus gemacht und nicht ge¬
schaffen sind. Sie sind unendlich viel besser gemacht, weil Lessings Geist un¬
endlich viel tiefer und seiner war; in ihnen vertiefen sich die von den handelnden
Personen getragenen Ideen bis auf deu letzte" Grund der Dinge, was bei Lindau
niemals der Fall ist. Gleichwohl sind auch Lessings Stücke mit dem Verstände
konstruirt, aber nicht aus dem Genius erflossen, und nur der reiche Gehalt ein
Gedanke" und die logische Durchführung des Planes, nicht aber das innere
Lebensfeuer der handelnden Personen giebt ihnen Wert und hat sie bis heute
erhalten.

Das sagt Lessing selbst, dieser höchst liebenswürdige, weil die Wahrheit
über alles liebende Geist. Er sagt von sich:^ Ich bin weder Schauspieler noch


Paul Lindau.

Kraft. Anstatt das Leben selbst zu packen, begnügt sich der Dichter damit, die
Spiegelbilder, die Reflexe des Lebens in eine nochmalige Spiegelung zik bringen.
Man könnte einwerfen, daß der Dichter doch auch ein Mensch sei, das; Dichter
und Bühne doch auch im Leben stünden. Ganz recht, aber das, was am Dichter
und an der Bühne interessirt, ist nicht ihre Existenz an sich, sondern allein ihre
Klarheit in Abspiegelung des außer ihnen besindlichen Lebens. Und davon ist
in dem Stück uicht die Rede. Das Stück steht auf der Stufe der Unterhaltung
über die persönlichen Angelegenheiten der Dichter. Die Personen des Stückes
sagen gerade nichts Dummes, aber sie sagen auch nichts Fesselndes, sie sprechen
eben, wie so in Kaffees, bei Besuchen und im gewöhnlichen Leben, dem wir doch
eben im Theater entrinnen wollen, gesprochen wird. Unbedeutende oder abge¬
brauchte Gedanken und Worte bewegen die Luft von Anfang bis zu Eude.

Der „Johannistrieb," „Tante Therese," „Verschämte Arbeit" ?c. sind ähn¬
lichen Genres. Es ist nicht der Mühe wert, solche Gegenstände dramatisch zu
behandeln. Die Ideen, welche diesen Stücken zum Grunde liegen, sind vortrefflich
geeignet, von alten Tanten beiderlei Geschlechts beim Schälchen Kaffee erwogen
zu werden, aber der Dichter sollte nicht eine Gesellschaft einladen, sie in feier¬
licher Versammlung von der Bühne herab zu hören.

Es ist ein eigenes Ding um das Dichten. Es scheint offenbar ein dichterisches
Genie dazu zu gehöre». Geborne Kritiker aber sind niemals große Dichter.
Wer ein gutes Buch über Moliöre schreibt, ist schwerlich ein Dichter. Denn
der Dichter hat weder Zeit noch Lust noch Fähigkeit dazu; er hat so viel mit
den eige-man Bildern, die in seiner Seele aufsteigen, zu thun, daß er sich so ein¬
gehend nicht mit den Bildern eines andern Dichters beschäftigen kaun. Die Be¬
schäftigung mit den Werken der Dichter ist ähnlich dem Lauschen auf Tafelmusik.
Leute, die nichts zu sagen haben, sind sehr erfreut, wenn ihnen ein Dutzend
Musikanten die Mühe der Unterhaltung abnehmen, aber für gesprächige Leute
in angenehmer Gesellschaft ist die Musik bei Tische lästig. So wird ein Dichter
schwerlich gern, gewiß nicht viel lesen, ein Kritiker aber liest mit Passion.

Kritiker und Dichter vereinigen sich kaum in einer Person. Das sah
Lessing ein, dessen Stücke ebenfalls gleich denen Lindaus gemacht und nicht ge¬
schaffen sind. Sie sind unendlich viel besser gemacht, weil Lessings Geist un¬
endlich viel tiefer und seiner war; in ihnen vertiefen sich die von den handelnden
Personen getragenen Ideen bis auf deu letzte» Grund der Dinge, was bei Lindau
niemals der Fall ist. Gleichwohl sind auch Lessings Stücke mit dem Verstände
konstruirt, aber nicht aus dem Genius erflossen, und nur der reiche Gehalt ein
Gedanke» und die logische Durchführung des Planes, nicht aber das innere
Lebensfeuer der handelnden Personen giebt ihnen Wert und hat sie bis heute
erhalten.

Das sagt Lessing selbst, dieser höchst liebenswürdige, weil die Wahrheit
über alles liebende Geist. Er sagt von sich:^ Ich bin weder Schauspieler noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0140" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86261"/>
          <fw type="header" place="top"> Paul Lindau.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_532" prev="#ID_531"> Kraft. Anstatt das Leben selbst zu packen, begnügt sich der Dichter damit, die<lb/>
Spiegelbilder, die Reflexe des Lebens in eine nochmalige Spiegelung zik bringen.<lb/>
Man könnte einwerfen, daß der Dichter doch auch ein Mensch sei, das; Dichter<lb/>
und Bühne doch auch im Leben stünden. Ganz recht, aber das, was am Dichter<lb/>
und an der Bühne interessirt, ist nicht ihre Existenz an sich, sondern allein ihre<lb/>
Klarheit in Abspiegelung des außer ihnen besindlichen Lebens. Und davon ist<lb/>
in dem Stück uicht die Rede. Das Stück steht auf der Stufe der Unterhaltung<lb/>
über die persönlichen Angelegenheiten der Dichter. Die Personen des Stückes<lb/>
sagen gerade nichts Dummes, aber sie sagen auch nichts Fesselndes, sie sprechen<lb/>
eben, wie so in Kaffees, bei Besuchen und im gewöhnlichen Leben, dem wir doch<lb/>
eben im Theater entrinnen wollen, gesprochen wird. Unbedeutende oder abge¬<lb/>
brauchte Gedanken und Worte bewegen die Luft von Anfang bis zu Eude.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_533"> Der &#x201E;Johannistrieb," &#x201E;Tante Therese," &#x201E;Verschämte Arbeit" ?c. sind ähn¬<lb/>
lichen Genres. Es ist nicht der Mühe wert, solche Gegenstände dramatisch zu<lb/>
behandeln. Die Ideen, welche diesen Stücken zum Grunde liegen, sind vortrefflich<lb/>
geeignet, von alten Tanten beiderlei Geschlechts beim Schälchen Kaffee erwogen<lb/>
zu werden, aber der Dichter sollte nicht eine Gesellschaft einladen, sie in feier¬<lb/>
licher Versammlung von der Bühne herab zu hören.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_534"> Es ist ein eigenes Ding um das Dichten. Es scheint offenbar ein dichterisches<lb/>
Genie dazu zu gehöre». Geborne Kritiker aber sind niemals große Dichter.<lb/>
Wer ein gutes Buch über Moliöre schreibt, ist schwerlich ein Dichter. Denn<lb/>
der Dichter hat weder Zeit noch Lust noch Fähigkeit dazu; er hat so viel mit<lb/>
den eige-man Bildern, die in seiner Seele aufsteigen, zu thun, daß er sich so ein¬<lb/>
gehend nicht mit den Bildern eines andern Dichters beschäftigen kaun. Die Be¬<lb/>
schäftigung mit den Werken der Dichter ist ähnlich dem Lauschen auf Tafelmusik.<lb/>
Leute, die nichts zu sagen haben, sind sehr erfreut, wenn ihnen ein Dutzend<lb/>
Musikanten die Mühe der Unterhaltung abnehmen, aber für gesprächige Leute<lb/>
in angenehmer Gesellschaft ist die Musik bei Tische lästig. So wird ein Dichter<lb/>
schwerlich gern, gewiß nicht viel lesen, ein Kritiker aber liest mit Passion.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_535"> Kritiker und Dichter vereinigen sich kaum in einer Person. Das sah<lb/>
Lessing ein, dessen Stücke ebenfalls gleich denen Lindaus gemacht und nicht ge¬<lb/>
schaffen sind. Sie sind unendlich viel besser gemacht, weil Lessings Geist un¬<lb/>
endlich viel tiefer und seiner war; in ihnen vertiefen sich die von den handelnden<lb/>
Personen getragenen Ideen bis auf deu letzte» Grund der Dinge, was bei Lindau<lb/>
niemals der Fall ist. Gleichwohl sind auch Lessings Stücke mit dem Verstände<lb/>
konstruirt, aber nicht aus dem Genius erflossen, und nur der reiche Gehalt ein<lb/>
Gedanke» und die logische Durchführung des Planes, nicht aber das innere<lb/>
Lebensfeuer der handelnden Personen giebt ihnen Wert und hat sie bis heute<lb/>
erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_536" next="#ID_537"> Das sagt Lessing selbst, dieser höchst liebenswürdige, weil die Wahrheit<lb/>
über alles liebende Geist.  Er sagt von sich:^ Ich bin weder Schauspieler noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0140] Paul Lindau. Kraft. Anstatt das Leben selbst zu packen, begnügt sich der Dichter damit, die Spiegelbilder, die Reflexe des Lebens in eine nochmalige Spiegelung zik bringen. Man könnte einwerfen, daß der Dichter doch auch ein Mensch sei, das; Dichter und Bühne doch auch im Leben stünden. Ganz recht, aber das, was am Dichter und an der Bühne interessirt, ist nicht ihre Existenz an sich, sondern allein ihre Klarheit in Abspiegelung des außer ihnen besindlichen Lebens. Und davon ist in dem Stück uicht die Rede. Das Stück steht auf der Stufe der Unterhaltung über die persönlichen Angelegenheiten der Dichter. Die Personen des Stückes sagen gerade nichts Dummes, aber sie sagen auch nichts Fesselndes, sie sprechen eben, wie so in Kaffees, bei Besuchen und im gewöhnlichen Leben, dem wir doch eben im Theater entrinnen wollen, gesprochen wird. Unbedeutende oder abge¬ brauchte Gedanken und Worte bewegen die Luft von Anfang bis zu Eude. Der „Johannistrieb," „Tante Therese," „Verschämte Arbeit" ?c. sind ähn¬ lichen Genres. Es ist nicht der Mühe wert, solche Gegenstände dramatisch zu behandeln. Die Ideen, welche diesen Stücken zum Grunde liegen, sind vortrefflich geeignet, von alten Tanten beiderlei Geschlechts beim Schälchen Kaffee erwogen zu werden, aber der Dichter sollte nicht eine Gesellschaft einladen, sie in feier¬ licher Versammlung von der Bühne herab zu hören. Es ist ein eigenes Ding um das Dichten. Es scheint offenbar ein dichterisches Genie dazu zu gehöre». Geborne Kritiker aber sind niemals große Dichter. Wer ein gutes Buch über Moliöre schreibt, ist schwerlich ein Dichter. Denn der Dichter hat weder Zeit noch Lust noch Fähigkeit dazu; er hat so viel mit den eige-man Bildern, die in seiner Seele aufsteigen, zu thun, daß er sich so ein¬ gehend nicht mit den Bildern eines andern Dichters beschäftigen kaun. Die Be¬ schäftigung mit den Werken der Dichter ist ähnlich dem Lauschen auf Tafelmusik. Leute, die nichts zu sagen haben, sind sehr erfreut, wenn ihnen ein Dutzend Musikanten die Mühe der Unterhaltung abnehmen, aber für gesprächige Leute in angenehmer Gesellschaft ist die Musik bei Tische lästig. So wird ein Dichter schwerlich gern, gewiß nicht viel lesen, ein Kritiker aber liest mit Passion. Kritiker und Dichter vereinigen sich kaum in einer Person. Das sah Lessing ein, dessen Stücke ebenfalls gleich denen Lindaus gemacht und nicht ge¬ schaffen sind. Sie sind unendlich viel besser gemacht, weil Lessings Geist un¬ endlich viel tiefer und seiner war; in ihnen vertiefen sich die von den handelnden Personen getragenen Ideen bis auf deu letzte» Grund der Dinge, was bei Lindau niemals der Fall ist. Gleichwohl sind auch Lessings Stücke mit dem Verstände konstruirt, aber nicht aus dem Genius erflossen, und nur der reiche Gehalt ein Gedanke» und die logische Durchführung des Planes, nicht aber das innere Lebensfeuer der handelnden Personen giebt ihnen Wert und hat sie bis heute erhalten. Das sagt Lessing selbst, dieser höchst liebenswürdige, weil die Wahrheit über alles liebende Geist. Er sagt von sich:^ Ich bin weder Schauspieler noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/140
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/140>, abgerufen am 23.07.2024.