Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.Paul Lindau. Lindau habe selbst, als er dies geschrieben, mit zweifelndem Auge dreingeschaut, Aber auf der andern Seite liegt hierin gerade das Tadelnswerte -- wenn So kommt es denn, daß die Produktionen dieses verständigen, witzigen Der Vorzug, den Lindau darin besitzt, daß er immer genau so schreibt, wie In "Maria und Magdalena" hätte es etwas werden können, wenn der Paul Lindau. Lindau habe selbst, als er dies geschrieben, mit zweifelndem Auge dreingeschaut, Aber auf der andern Seite liegt hierin gerade das Tadelnswerte — wenn So kommt es denn, daß die Produktionen dieses verständigen, witzigen Der Vorzug, den Lindau darin besitzt, daß er immer genau so schreibt, wie In „Maria und Magdalena" hätte es etwas werden können, wenn der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0138" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/86259"/> <fw type="header" place="top"> Paul Lindau.</fw><lb/> <p xml:id="ID_524" prev="#ID_523"> Lindau habe selbst, als er dies geschrieben, mit zweifelndem Auge dreingeschaut,<lb/> endlich aber die Szene gelassen wie sie war, einmal, weil er nichts besseres<lb/> wußte, dann aber auch, weil er das große Publikum kennt und sich sagte: Sie<lb/> werden das Alberne am leichtesten verstehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_525"> Aber auf der andern Seite liegt hierin gerade das Tadelnswerte — wenn<lb/> wir den Ausdruck hier gebrauchen dürfen. Die Kunst steht Lindau uicht hoch<lb/> genug. Der Zuschauer fürchtet, daß sie ihm nicht die hohe himmlische Göttin,<lb/> sondern eine tüchtige Kuh sei, die ihn mit Butter versorgt. Der Dichter würde<lb/> es sonst wohl nicht übers Herz gebracht haben, so in den Tag hinein zu dichten.<lb/> Er- schreibt aber darauf los und denkt: Am Ende ist die Geschichte besser als<lb/> du denkst.</p><lb/> <p xml:id="ID_526"> So kommt es denn, daß die Produktionen dieses verständigen, witzigen<lb/> Schriftstellers zwar nicht schlecht sind, aber auch uicht gut. Sie haben eine<lb/> gewisse Ähnlichkeit mit den Bildhaucrwerken, mit denen die neueren Italiener<lb/> die Ausstellungen überschwemmen. Es sind das ganz nette Sachen: die Männer<lb/> haben einen Kopf, zwei Arme und zwei Beine, die Weiber außerdem noch einen<lb/> Busen und eine hübsche Frisur, die Kinder dicke Backen oben und unten. Zwischen<lb/> zwei Vasen mit Strohblumen und Zittergräsern auf der Kommode in der besten<lb/> Stube scheu sie hübsch aus und erfreuen das Herz derjenigen, denen die medi-<lb/> ceische Venus unanständig und der Laokoon roh erscheinen, aber in einer stil¬<lb/> vollen Halle würden sie sich übel ausnehmen. So auch Lindaus Theaterstücke.<lb/> Sie haben einen Anfang, einen Fortgang und einen Schluß und erfreuen manche<lb/> gute Seele, für die Moliore und Shakespeare etwas Fatales habe», aber —<lb/> Jünglinge mit feurigen Herzen und Männer von gereiften! Geschmack sehen sie<lb/> nicht gern.</p><lb/> <p xml:id="ID_527"> Der Vorzug, den Lindau darin besitzt, daß er immer genau so schreibt, wie<lb/> der verständige, gebildete und witzige Alltagsmeusch denkt und spricht, dieser Vor¬<lb/> zug erwies sich als schädlich, sobald der Kritiker etwas künstlerisch gestalten wollte.<lb/> Denn unmöglich lassen sich gute dramatische Gesellschaften aus lauter Alltags-<lb/> menschen zusammensetze». Die Dichtkunst verlangt mehr. Sie ist nur insofern<lb/> Kunst, als sie die Realität in ein höheres Gebiet erhebt. Wer die Realität<lb/> so nackt giebt, wie ein Jeder sie zu sehen pflegt, der ist eben kein Dichter. Lindau<lb/> bringt zum Dichten manches mit: scharfe Beobachtung der Äußerlichkeiten, Witz,<lb/> Bühneukunde; nur die Hauptsache sehlt ihm, nämlich das dichterische Genie. Es<lb/> ist nichts und es wird nichts, es ist alles gemacht und nichts geschaffen, der<lb/> Vorwurf, um den das Stück sich dreht, ist nicht wert, daß er dichterisch behandelt<lb/> wird, die Ideen sind uicht ergreifend.</p><lb/> <p xml:id="ID_528" next="#ID_529"> In „Maria und Magdalena" hätte es etwas werden können, wenn der<lb/> hohle Dünkel uoch mehr in den Mittelpunkt gerückt, in seiner Allgemeinheit und<lb/> mit schärferer Satire behandelt worden wäre. Das konnte geschehen, wenn die<lb/> Schwäche des alten Herrn, der die Preise nennt, an der Wurzel gefaßt worden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0138]
Paul Lindau.
Lindau habe selbst, als er dies geschrieben, mit zweifelndem Auge dreingeschaut,
endlich aber die Szene gelassen wie sie war, einmal, weil er nichts besseres
wußte, dann aber auch, weil er das große Publikum kennt und sich sagte: Sie
werden das Alberne am leichtesten verstehen.
Aber auf der andern Seite liegt hierin gerade das Tadelnswerte — wenn
wir den Ausdruck hier gebrauchen dürfen. Die Kunst steht Lindau uicht hoch
genug. Der Zuschauer fürchtet, daß sie ihm nicht die hohe himmlische Göttin,
sondern eine tüchtige Kuh sei, die ihn mit Butter versorgt. Der Dichter würde
es sonst wohl nicht übers Herz gebracht haben, so in den Tag hinein zu dichten.
Er- schreibt aber darauf los und denkt: Am Ende ist die Geschichte besser als
du denkst.
So kommt es denn, daß die Produktionen dieses verständigen, witzigen
Schriftstellers zwar nicht schlecht sind, aber auch uicht gut. Sie haben eine
gewisse Ähnlichkeit mit den Bildhaucrwerken, mit denen die neueren Italiener
die Ausstellungen überschwemmen. Es sind das ganz nette Sachen: die Männer
haben einen Kopf, zwei Arme und zwei Beine, die Weiber außerdem noch einen
Busen und eine hübsche Frisur, die Kinder dicke Backen oben und unten. Zwischen
zwei Vasen mit Strohblumen und Zittergräsern auf der Kommode in der besten
Stube scheu sie hübsch aus und erfreuen das Herz derjenigen, denen die medi-
ceische Venus unanständig und der Laokoon roh erscheinen, aber in einer stil¬
vollen Halle würden sie sich übel ausnehmen. So auch Lindaus Theaterstücke.
Sie haben einen Anfang, einen Fortgang und einen Schluß und erfreuen manche
gute Seele, für die Moliore und Shakespeare etwas Fatales habe», aber —
Jünglinge mit feurigen Herzen und Männer von gereiften! Geschmack sehen sie
nicht gern.
Der Vorzug, den Lindau darin besitzt, daß er immer genau so schreibt, wie
der verständige, gebildete und witzige Alltagsmeusch denkt und spricht, dieser Vor¬
zug erwies sich als schädlich, sobald der Kritiker etwas künstlerisch gestalten wollte.
Denn unmöglich lassen sich gute dramatische Gesellschaften aus lauter Alltags-
menschen zusammensetze». Die Dichtkunst verlangt mehr. Sie ist nur insofern
Kunst, als sie die Realität in ein höheres Gebiet erhebt. Wer die Realität
so nackt giebt, wie ein Jeder sie zu sehen pflegt, der ist eben kein Dichter. Lindau
bringt zum Dichten manches mit: scharfe Beobachtung der Äußerlichkeiten, Witz,
Bühneukunde; nur die Hauptsache sehlt ihm, nämlich das dichterische Genie. Es
ist nichts und es wird nichts, es ist alles gemacht und nichts geschaffen, der
Vorwurf, um den das Stück sich dreht, ist nicht wert, daß er dichterisch behandelt
wird, die Ideen sind uicht ergreifend.
In „Maria und Magdalena" hätte es etwas werden können, wenn der
hohle Dünkel uoch mehr in den Mittelpunkt gerückt, in seiner Allgemeinheit und
mit schärferer Satire behandelt worden wäre. Das konnte geschehen, wenn die
Schwäche des alten Herrn, der die Preise nennt, an der Wurzel gefaßt worden
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