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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal.

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Line neue Erkenntnistheorie,

schaften der Dinge, wie Farbe, Geruch, Geschmack, prvduzire die Seele allein für
sich aus einen äußern Anstoß hin, aber die primären Eigenschaften, die Aus¬
dehnung sowie vorzugsweise alle Qualitäten des Tastsinnes, Härte, Glätte,
Schärfe und dergl., wurden derart ihr aufgezwungen, daß sie nicht anders
könne, als in einen Zustand.von Spannung (iirtsutio) zu geraten, in welchem
die Gewißheit von etwas Realen außer ihr entspringe. Daher der Name
intentionaler Realismus. Die weitere Schwierigkeit, wie es möglich sei, daß ein
immaterielles Wesen wie die Seele etwas ihr so Fremdes und Ungleichartiges
wie die Materie erkennen könne, soll dadurch gehoben werden, daß die Materie
etwas Jntclligibles, Immaterielles hinter sich habe, welches ihr eigentlich den
Charakter bestimme und sie gesetzmäßig ordne, sodaß also in der Sinneswahr-
nehmung nicht etwa, wie die gewöhnliche Meinung ist, nur materielle Dinge
wahrgenommen werden, sondern daß die intelligible, immaterielle Seele hinter
der Materie oder durch sie hindurch das Intelligible derselben zu erfassen im¬
stande sei.

Die großen Schwierigkeiten, welche der Verfasser in mühsamem Ringen be¬
seitigen zu müssen glaubt, entspringen einmal dadurch, daß er dem Worte Vor¬
stellung einen ganz andern Sinn beilegt als Kant, und dann daraus, daß er
diesen überhaupt nicht im Original, sondern nur aus den Schriften von Lange,
Vaihinger, Laas, Volkelt u. a. kennen gelernt hat, die er häufig zitirt.

Bei Kant ist dasjenige, was ich mir vorstelle, meine Vorstellung, und da
ich unmöglich von etwas anderm reden kann als von vorgestellten Dingen, so
sind die Dinge in der Welt, so weit sie zu meiner Kenntnis kommen, meine Vor¬
stellungen, und es kommt nur darauf an, ob ich sie richtig vorstelle oder falsch.
Ersteres erkenne ich, wenn ich alle Kräfte und Prinzipien des Verstandes in
Anwendung bringe, letzteres begegnet nur, wenn ich mir weniger Mühe gebe
und nur einige Kategorien oder Funktionen des Verstandes wirken lasse. Daß
die Vorstellung dagegen nur eine subjektive Thätigkeit der Seele sei, deren Resultate
nur subjektive Giltigkeit haben könnten, ist die kMo oonvvnuv, die sich von den
"großen" Nachfolgern Kants bis auf die heutigen Pscudokanticmer fortgesetzt hat
und auch von Heman ohne weiteres geglaubt wird. In Wahrheit ist nach Kant
das Dasein der Dinge außer mir eben dadurch bewiesen, daß die Dinge meine
Vorstellungen sein müssen, und ich mir meiner Vorstellungen ebenso sicher bewußt
bin wie meiner selbst. Der ganze Pseudokantianismus hält es dagegen für die
Hauptaufgabe der menschlichen Vernunft, zu untersuchen, ob wir nicht auch das¬
jenige, was außerhalb unsrer Vorstellung ist, erkennen können, also dasjenige,
was wir uns nicht vorstellen können, eine Aufgabe, die man gar nicht anders
als sinnlos nennen kann, und die nur auftauchen konnte, weil man die Bedeutung
des Wortes Vorstellung nicht verstand. Knut erklärt es für einen Skandal in
der Philosophie und allgemeine" Mcnschenvernunft, daß man das wirkliche Dasein
der Dinge außer uns früher nicht habe beweisen können. Hennen dagegen ist


Line neue Erkenntnistheorie,

schaften der Dinge, wie Farbe, Geruch, Geschmack, prvduzire die Seele allein für
sich aus einen äußern Anstoß hin, aber die primären Eigenschaften, die Aus¬
dehnung sowie vorzugsweise alle Qualitäten des Tastsinnes, Härte, Glätte,
Schärfe und dergl., wurden derart ihr aufgezwungen, daß sie nicht anders
könne, als in einen Zustand.von Spannung (iirtsutio) zu geraten, in welchem
die Gewißheit von etwas Realen außer ihr entspringe. Daher der Name
intentionaler Realismus. Die weitere Schwierigkeit, wie es möglich sei, daß ein
immaterielles Wesen wie die Seele etwas ihr so Fremdes und Ungleichartiges
wie die Materie erkennen könne, soll dadurch gehoben werden, daß die Materie
etwas Jntclligibles, Immaterielles hinter sich habe, welches ihr eigentlich den
Charakter bestimme und sie gesetzmäßig ordne, sodaß also in der Sinneswahr-
nehmung nicht etwa, wie die gewöhnliche Meinung ist, nur materielle Dinge
wahrgenommen werden, sondern daß die intelligible, immaterielle Seele hinter
der Materie oder durch sie hindurch das Intelligible derselben zu erfassen im¬
stande sei.

Die großen Schwierigkeiten, welche der Verfasser in mühsamem Ringen be¬
seitigen zu müssen glaubt, entspringen einmal dadurch, daß er dem Worte Vor¬
stellung einen ganz andern Sinn beilegt als Kant, und dann daraus, daß er
diesen überhaupt nicht im Original, sondern nur aus den Schriften von Lange,
Vaihinger, Laas, Volkelt u. a. kennen gelernt hat, die er häufig zitirt.

Bei Kant ist dasjenige, was ich mir vorstelle, meine Vorstellung, und da
ich unmöglich von etwas anderm reden kann als von vorgestellten Dingen, so
sind die Dinge in der Welt, so weit sie zu meiner Kenntnis kommen, meine Vor¬
stellungen, und es kommt nur darauf an, ob ich sie richtig vorstelle oder falsch.
Ersteres erkenne ich, wenn ich alle Kräfte und Prinzipien des Verstandes in
Anwendung bringe, letzteres begegnet nur, wenn ich mir weniger Mühe gebe
und nur einige Kategorien oder Funktionen des Verstandes wirken lasse. Daß
die Vorstellung dagegen nur eine subjektive Thätigkeit der Seele sei, deren Resultate
nur subjektive Giltigkeit haben könnten, ist die kMo oonvvnuv, die sich von den
„großen" Nachfolgern Kants bis auf die heutigen Pscudokanticmer fortgesetzt hat
und auch von Heman ohne weiteres geglaubt wird. In Wahrheit ist nach Kant
das Dasein der Dinge außer mir eben dadurch bewiesen, daß die Dinge meine
Vorstellungen sein müssen, und ich mir meiner Vorstellungen ebenso sicher bewußt
bin wie meiner selbst. Der ganze Pseudokantianismus hält es dagegen für die
Hauptaufgabe der menschlichen Vernunft, zu untersuchen, ob wir nicht auch das¬
jenige, was außerhalb unsrer Vorstellung ist, erkennen können, also dasjenige,
was wir uns nicht vorstellen können, eine Aufgabe, die man gar nicht anders
als sinnlos nennen kann, und die nur auftauchen konnte, weil man die Bedeutung
des Wortes Vorstellung nicht verstand. Knut erklärt es für einen Skandal in
der Philosophie und allgemeine» Mcnschenvernunft, daß man das wirkliche Dasein
der Dinge außer uns früher nicht habe beweisen können. Hennen dagegen ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_89804/123>, abgerufen am 02.07.2024.