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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Die Lage in Frankreich.

es zu verteidigen. . . Das englische Volk will, daß dieser Krieg seine Kontrole
über den Weg nach Indien und über das wichtige Nilthal feststelle, und zwar
um- jeden Preis. Das kann geschehen durch Verständigung mit dein Sultan
und Annäherung an die deutschen Mächte."

Hierin liegt Wahrheit. England hat gehandelt, Frankreich unthätig zwischen
Widersprüchen hin- und hergeschwaukt, gewollt und nicht gekonnt und zuletzt den
Standpunkt des verdrießlichen, mißtrauischen Zuschauers eingenommen. Es
wollte nicht mit der Psorte und nicht mit England gehen. Es ließ dieses die
Arbeit thun und mochte jetzt den Lohn dafür teilen. Es blieb müßig aus Rück¬
sichten auf deu Nachbar im Osten, Rücksichten, die ein grundloses Mißtrauen
einflößte. Seine ganze Politik, die äußere und nicht minder die innere, wird
von Mißtrauen eingegeben. Man hegt weder zu Gambetta, der handeln, noch
Zu Freycinet, der abwarten wollte, Vertrauen. Wollte man sich nicht an Eng¬
lands Seite stellen, so mußte man sich ohne Vorbehalt dem "europäischen
Konzert" anschließen. Keiner von diesen beiden Wegen wurde betreten. Aber
was man freiwillig nicht thun wollte, wird man schließlich thun müssen, d. h.
wan wird bei der Wahl zwischen der Alternative: Lösung der ägyptischen Frage
K^gen Europa oder Regelung derselben mit Europa der letztern den Vorzug
geben. Dabei wird mau aber von seinen Ansprüchen ans Einfluß in Ägypten
so viel aufgeben müssen, als Englands Opfer und Siege in der Sache wiegen,
^us mag bitter sein, läßt sich aber nicht umgeben. Die östlichen Mächte werden
Keinesfalls den Beruf empfinden, den Franzosen zu helfen, wenn sie versuchen
willen, die Stellung in Ägypten wiederzugewinnen, auf die sie durch Nicht-
Beteiligung um Kriege thatsächlich verzichtet haben. Andrerseits aber wird Eilg¬
eld mit ihnen gewiß gern ans freundschaftlichem Fuße bleiben, aber zu diesem
-Zwecke sicher nicht über ein bestimmtes von seinen Interessen diktirtes Maß von
^chgiebigkeit hinausgehen. Eine Allianz mit Frankreich aber hat für England
weht mehr den Wert, den sie früher besaß, auch hat die Erfahrung gelehrt, daß
"bei nicht viel Vorteil für England abfüllt, wohl aber Beeinträchtigungen dessen
""zutreten Pflegen, was dasselbe als ihm dienlich anzusehen hat. Die Sym¬
pathien der englischen Liberalen für Frankreich wiegen die rechtverstandenen In¬
dessen des britischen Reiches nicht auf, und diese weisen ganz entschieden auf
entschland hin. Deutschland und das mit ihm verbündete Österreich-Ungarn
"erden keine Einwendungen machen, wenn England, wie zu erwarten steht,
"nig und maßvoll sich in Ägypten solche Bürgschaften verschafft, wie sie es zum
^ ehutze seiner Interessen dort für notwendig hält, und sie werden nicht glauben,
^ die Wiederherstellung der gemeinschaftlichen Kontrole ein Gebot der Billig¬
et sei.

So wird die Pariser Deputirtenkammer, wenn sie wieder zusammentritt,
/'n den Erklärungen der Regierung in Bezug auf die Stellung Frankreichs
Orient vermutlich uicht sehr erbaut sein. Man wird da erfahren, daß man


Die Lage in Frankreich.

es zu verteidigen. . . Das englische Volk will, daß dieser Krieg seine Kontrole
über den Weg nach Indien und über das wichtige Nilthal feststelle, und zwar
um- jeden Preis. Das kann geschehen durch Verständigung mit dein Sultan
und Annäherung an die deutschen Mächte."

Hierin liegt Wahrheit. England hat gehandelt, Frankreich unthätig zwischen
Widersprüchen hin- und hergeschwaukt, gewollt und nicht gekonnt und zuletzt den
Standpunkt des verdrießlichen, mißtrauischen Zuschauers eingenommen. Es
wollte nicht mit der Psorte und nicht mit England gehen. Es ließ dieses die
Arbeit thun und mochte jetzt den Lohn dafür teilen. Es blieb müßig aus Rück¬
sichten auf deu Nachbar im Osten, Rücksichten, die ein grundloses Mißtrauen
einflößte. Seine ganze Politik, die äußere und nicht minder die innere, wird
von Mißtrauen eingegeben. Man hegt weder zu Gambetta, der handeln, noch
Zu Freycinet, der abwarten wollte, Vertrauen. Wollte man sich nicht an Eng¬
lands Seite stellen, so mußte man sich ohne Vorbehalt dem „europäischen
Konzert" anschließen. Keiner von diesen beiden Wegen wurde betreten. Aber
was man freiwillig nicht thun wollte, wird man schließlich thun müssen, d. h.
wan wird bei der Wahl zwischen der Alternative: Lösung der ägyptischen Frage
K^gen Europa oder Regelung derselben mit Europa der letztern den Vorzug
geben. Dabei wird mau aber von seinen Ansprüchen ans Einfluß in Ägypten
so viel aufgeben müssen, als Englands Opfer und Siege in der Sache wiegen,
^us mag bitter sein, läßt sich aber nicht umgeben. Die östlichen Mächte werden
Keinesfalls den Beruf empfinden, den Franzosen zu helfen, wenn sie versuchen
willen, die Stellung in Ägypten wiederzugewinnen, auf die sie durch Nicht-
Beteiligung um Kriege thatsächlich verzichtet haben. Andrerseits aber wird Eilg¬
eld mit ihnen gewiß gern ans freundschaftlichem Fuße bleiben, aber zu diesem
-Zwecke sicher nicht über ein bestimmtes von seinen Interessen diktirtes Maß von
^chgiebigkeit hinausgehen. Eine Allianz mit Frankreich aber hat für England
weht mehr den Wert, den sie früher besaß, auch hat die Erfahrung gelehrt, daß
"bei nicht viel Vorteil für England abfüllt, wohl aber Beeinträchtigungen dessen
""zutreten Pflegen, was dasselbe als ihm dienlich anzusehen hat. Die Sym¬
pathien der englischen Liberalen für Frankreich wiegen die rechtverstandenen In¬
dessen des britischen Reiches nicht auf, und diese weisen ganz entschieden auf
entschland hin. Deutschland und das mit ihm verbündete Österreich-Ungarn
"erden keine Einwendungen machen, wenn England, wie zu erwarten steht,
"nig und maßvoll sich in Ägypten solche Bürgschaften verschafft, wie sie es zum
^ ehutze seiner Interessen dort für notwendig hält, und sie werden nicht glauben,
^ die Wiederherstellung der gemeinschaftlichen Kontrole ein Gebot der Billig¬
et sei.

So wird die Pariser Deputirtenkammer, wenn sie wieder zusammentritt,
/'n den Erklärungen der Regierung in Bezug auf die Stellung Frankreichs
Orient vermutlich uicht sehr erbaut sein. Man wird da erfahren, daß man


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/63>, abgerufen am 22.07.2024.