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Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal.

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Altfränkische Bilder und Geschichten aus dem Koburger Ländchen.

Sie mir recht bald: ich möchte es haben, ehe denn ich vielleich von hinnen scheide.
Denn es hängt nur noch an einigen Zwirnfädchen, daß ich meinem Bruder noch
nicht nachgelaufen bin, der bereits nach Würzburg ist, um der erste zu sein, sich
dein ergangenen Aufrufe der Freiwilligen zu stellen. Mich hält -nau hier im Hause
an alleu Rvckschöszeu.

Seinem zweifelhaften Plan, selbst mit ins Feld zu ziehen, leistete der Dichter
bekanntlich keine Folge, sondern fuhr fort, wie es sein eigentlicher Beruf war,
die kriegerischen Ereignisse mit seinem Liederspiel aus der Ferne zu begleiten,
während Stockmar, halbgenesen, den siegreichen Heeren sofort als Arzt (Ober¬
arzt der sächsischen.Kontingente) nacheilte, Frau Vergner aber den Winter mit
militärischer Ansrüstuugsarbeit und Krankenpflege verbrachte, bis sie am 11, April
1814, früh am Ostermontag, durch blähende Postillone geweckt wurde, die durch
die Stadt reitend die Einnahme von Paris verkündeten. Den heiligen Jubel
dieses Morgens und Tages, dieses zwiefachen großen Auferstehungsfestes, hat
Frau Bergner ihr ganzes Leben lang nachempfunden und jüngern Bekannten
später oft zugerufen: "Ihr junges Volk wißt garnicht, was Freude ist; nur
wer den Einzug unsrer Truppen in Paris erlebt hat, der weiß es."

Den so viel größern Sieg von 1871 hat unsre Freundin freilich nicht
mehr erlebt; wohl aber die Ereignisse von 1866, die denselben vorbereiteten und
die sie in diesen: Vorgefühl mit Frende begrüßte und gegen alle dagegen er¬
hobenen Zweifel noch auf ihrem Sterbebette prophetisch rechtfertigte -- ganz in
der Weise, wie es Stockmar und Rückert, wenn sie gelebt hätten, gethan haben
würden, besonders der erstere. Und diese Geistesverwandtschaft der Frau Bergner
mit den: Jugendfreunde betrifft, wie viele Züge ihrer Autobiographie zeigen,
keineswegs bloß die patriotische -- preußisch-deutsche -- Gesinnungsweise, sondern
erstreckt sich auf die gesamte Anlage und Entwicklung des Gemütes und Tem¬
peramentes, auf jenen ihn auszeichnenden und auch bei ihr deutlich bemerkbaren
jovialen Mut und Übermut des Empfindens, Handelns und Redens, um-merklich
auch auf jenen bildnerischen, dramatisch-lebendigen Stil des mündlichen Erzählens,
der uns an vielen Stellen des von der Tochter nacherzählten Büchleins mit
echt Stockmarschem Ton und Humor zu Ohren klingt. Und so freuen wir uns
des Büchleins vor allein wegen der darin enthaltenen Fortsetzung und Vervoll¬
ständigung der Stockmarscheu Deickwürdigkeiten und der Rückertschen Erinne¬
rungen und weil uns darin auf dem Hintergründe altfränkischer Zustände das
Doppelbild der beideu Freunde in erneuter Lebendigkeit entgegentritt.


F. L. M.


Altfränkische Bilder und Geschichten aus dem Koburger Ländchen.

Sie mir recht bald: ich möchte es haben, ehe denn ich vielleich von hinnen scheide.
Denn es hängt nur noch an einigen Zwirnfädchen, daß ich meinem Bruder noch
nicht nachgelaufen bin, der bereits nach Würzburg ist, um der erste zu sein, sich
dein ergangenen Aufrufe der Freiwilligen zu stellen. Mich hält -nau hier im Hause
an alleu Rvckschöszeu.

Seinem zweifelhaften Plan, selbst mit ins Feld zu ziehen, leistete der Dichter
bekanntlich keine Folge, sondern fuhr fort, wie es sein eigentlicher Beruf war,
die kriegerischen Ereignisse mit seinem Liederspiel aus der Ferne zu begleiten,
während Stockmar, halbgenesen, den siegreichen Heeren sofort als Arzt (Ober¬
arzt der sächsischen.Kontingente) nacheilte, Frau Vergner aber den Winter mit
militärischer Ansrüstuugsarbeit und Krankenpflege verbrachte, bis sie am 11, April
1814, früh am Ostermontag, durch blähende Postillone geweckt wurde, die durch
die Stadt reitend die Einnahme von Paris verkündeten. Den heiligen Jubel
dieses Morgens und Tages, dieses zwiefachen großen Auferstehungsfestes, hat
Frau Bergner ihr ganzes Leben lang nachempfunden und jüngern Bekannten
später oft zugerufen: „Ihr junges Volk wißt garnicht, was Freude ist; nur
wer den Einzug unsrer Truppen in Paris erlebt hat, der weiß es."

Den so viel größern Sieg von 1871 hat unsre Freundin freilich nicht
mehr erlebt; wohl aber die Ereignisse von 1866, die denselben vorbereiteten und
die sie in diesen: Vorgefühl mit Frende begrüßte und gegen alle dagegen er¬
hobenen Zweifel noch auf ihrem Sterbebette prophetisch rechtfertigte — ganz in
der Weise, wie es Stockmar und Rückert, wenn sie gelebt hätten, gethan haben
würden, besonders der erstere. Und diese Geistesverwandtschaft der Frau Bergner
mit den: Jugendfreunde betrifft, wie viele Züge ihrer Autobiographie zeigen,
keineswegs bloß die patriotische — preußisch-deutsche — Gesinnungsweise, sondern
erstreckt sich auf die gesamte Anlage und Entwicklung des Gemütes und Tem¬
peramentes, auf jenen ihn auszeichnenden und auch bei ihr deutlich bemerkbaren
jovialen Mut und Übermut des Empfindens, Handelns und Redens, um-merklich
auch auf jenen bildnerischen, dramatisch-lebendigen Stil des mündlichen Erzählens,
der uns an vielen Stellen des von der Tochter nacherzählten Büchleins mit
echt Stockmarschem Ton und Humor zu Ohren klingt. Und so freuen wir uns
des Büchleins vor allein wegen der darin enthaltenen Fortsetzung und Vervoll¬
ständigung der Stockmarscheu Deickwürdigkeiten und der Rückertschen Erinne¬
rungen und weil uns darin auf dem Hintergründe altfränkischer Zustände das
Doppelbild der beideu Freunde in erneuter Lebendigkeit entgegentritt.


F. L. M.


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[0619] Altfränkische Bilder und Geschichten aus dem Koburger Ländchen. Sie mir recht bald: ich möchte es haben, ehe denn ich vielleich von hinnen scheide. Denn es hängt nur noch an einigen Zwirnfädchen, daß ich meinem Bruder noch nicht nachgelaufen bin, der bereits nach Würzburg ist, um der erste zu sein, sich dein ergangenen Aufrufe der Freiwilligen zu stellen. Mich hält -nau hier im Hause an alleu Rvckschöszeu. Seinem zweifelhaften Plan, selbst mit ins Feld zu ziehen, leistete der Dichter bekanntlich keine Folge, sondern fuhr fort, wie es sein eigentlicher Beruf war, die kriegerischen Ereignisse mit seinem Liederspiel aus der Ferne zu begleiten, während Stockmar, halbgenesen, den siegreichen Heeren sofort als Arzt (Ober¬ arzt der sächsischen.Kontingente) nacheilte, Frau Vergner aber den Winter mit militärischer Ansrüstuugsarbeit und Krankenpflege verbrachte, bis sie am 11, April 1814, früh am Ostermontag, durch blähende Postillone geweckt wurde, die durch die Stadt reitend die Einnahme von Paris verkündeten. Den heiligen Jubel dieses Morgens und Tages, dieses zwiefachen großen Auferstehungsfestes, hat Frau Bergner ihr ganzes Leben lang nachempfunden und jüngern Bekannten später oft zugerufen: „Ihr junges Volk wißt garnicht, was Freude ist; nur wer den Einzug unsrer Truppen in Paris erlebt hat, der weiß es." Den so viel größern Sieg von 1871 hat unsre Freundin freilich nicht mehr erlebt; wohl aber die Ereignisse von 1866, die denselben vorbereiteten und die sie in diesen: Vorgefühl mit Frende begrüßte und gegen alle dagegen er¬ hobenen Zweifel noch auf ihrem Sterbebette prophetisch rechtfertigte — ganz in der Weise, wie es Stockmar und Rückert, wenn sie gelebt hätten, gethan haben würden, besonders der erstere. Und diese Geistesverwandtschaft der Frau Bergner mit den: Jugendfreunde betrifft, wie viele Züge ihrer Autobiographie zeigen, keineswegs bloß die patriotische — preußisch-deutsche — Gesinnungsweise, sondern erstreckt sich auf die gesamte Anlage und Entwicklung des Gemütes und Tem¬ peramentes, auf jenen ihn auszeichnenden und auch bei ihr deutlich bemerkbaren jovialen Mut und Übermut des Empfindens, Handelns und Redens, um-merklich auch auf jenen bildnerischen, dramatisch-lebendigen Stil des mündlichen Erzählens, der uns an vielen Stellen des von der Tochter nacherzählten Büchleins mit echt Stockmarschem Ton und Humor zu Ohren klingt. Und so freuen wir uns des Büchleins vor allein wegen der darin enthaltenen Fortsetzung und Vervoll¬ ständigung der Stockmarscheu Deickwürdigkeiten und der Rückertschen Erinne¬ rungen und weil uns darin auf dem Hintergründe altfränkischer Zustände das Doppelbild der beideu Freunde in erneuter Lebendigkeit entgegentritt. F. L. M.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 41, 1882, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341835_359176/619>, abgerufen am 01.07.2024.